Mobile World Congress 2010 in Barcelona

Mobiles Internet für den Massenmarkt

30. April 2010, 3:00 Uhr | Stefan Mutschler/jos

Das Internet hat viele Gesichter, und immer mehr davon lachen inzwischen auch von den aufgemotzten Displays multifunktionaler Mobiltelefone. Der Branchenverband Bitkom hat aus den aktuellen Daten des European Information Technology Observatory (EITO) errechnet, dass der Absatz solcher Smartphones in Deutschland im Jahr 2010 um 47 Prozent auf 8,2 Millionen Stück zulegen wird. Damit wird jedes dritte neue Mobiltelefon in diesem Jahr ein Smartphone sein. In Barcelona war dieser Trend klar erkennbar. Die weltgrößte Mobilfunkveranstaltung präsentierte die neuesten Entwicklungen in Sachen Smartphones sowie deren Applikationen und Betriebssysteme.

"Smartphones werden in den nächsten fünf Jahren Laptops und sogar Desktop-PCs weitgehend
verdrängen." Ob es soweit kommt, wie Eugene Kaspersky in Barcelona prophezeite, sei dahingestellt.
Aber die Vision des Technikgurus und Gründers der gleichnamigen russischen
Antiviren-Softwareschmiede scheint durchaus plausibel: Rechenleistung und Speicherkapazität der
mobilen Kleingeräte sollen schon bald ihren größeren Geschwistern für den Schoß und den
Schreibtisch ebenbürtig sein – und damit es gäbe keinen Grund mehr, seine Daten auf
unterschiedliche Gerätetypen zu verteilen. Auf dem Schreibtisch ständen nur noch Monitor und
Tastatur, an die sich das Smartphone als konsolidierte Rechen- und Speichermaschine andocken
ließe.

Natürlich würde damit der Schutz der Smartphones vor Malware und Datenverlust enorm an Bedeutung
gewinnen – was eben Unternehmen wie Kaspersky auf den Plan ruft. Anlass für den visionären Ausblick
war immerhin die Vorstellung der neuen Kaspersky "Mobile Security Suite 9", die neben Antivirus-,
Antispam- (für SMSes) und Firewall-Funktionen auch spezielle Funktionen für den Daten- und
Identitätsschutz umfasst, sollte das Gerät in falsche Hände gelangen. Ein "Privacy Protection"
-Modus etwa erlaubt, bestimmte Kontakte oder Kontaktgruppen inklusive Telefonnummern, Zusatzinfos
und SMS-Verkehr vor fremden Augen zu verstecken. Das gesamte Telefon inklusive eingesteckter
Speicherkarten lässt sich kennwortgeschützt verschlüsseln. Besonders interessant ist eine spezielle
Diebstahlschutzfunktion: Diese erlaubt zum einen, das Telefon per SMS zu sperren, andererseits,
über die GPS-Suchfunktion per Link auf Google-Maps zu lokalisieren. Wechselt der Dieb die
SIM-Karte, sperrt die Software das Gerät ebenfalls sofort und schickt die neue Nummer an eine
vordefinierte E-Mail-Adresse. Sollten solche Funktionen, die sicher bald auch zum Repertoire
sämtlicher Security-Software-Hersteller gehören, sich in der Praxis bewähren, wäre dies eine gute
Basis, dem Smartphone künftig seine sensiblen Daten anzuvertrauen.

Bewusst hat Kaspersky seine Security-­Suite nur für Symbian- und Windows Mobile entwickelt und
nicht etwa für das Iphone, denn diesem gibt er keine große Zukunft: "Ähnlich wie seinerzeit Novell
mit Netware oder IBM mit OS/2 feiert Apple mit seinem Iphone derzeit große Erfolge, die eben
möglich sind, wenn man mit einer pfiffigen Idee einfach loslegt, ohne sich mit dem Rest der Welt
erst langwierig abzustimmen. Langfristig führt dieses Vorgehen jedoch in Isolation und
Bedeutungslosigkeit, wie die populären Beispiele deutlich gezeigt haben."

Für alles eine App

Applikationen machen das Smartphone aus. Die Schlacht um die beste Applikationsbasis ist in
vollem Gange. So präsentierten in Barcelona Hersteller und Industrievereinigungen, wie sie auf die
diesbezüglichen Erfolge von Apple und Google antworten wollen. Microsoft hatte schon letztes Jahr
eingeräumt, sich mit Windows Mobile (WM) "verrannt" zu haben – die neue Mobilversion von Windows 7
kommt daher nicht als Weiterentwicklung des aktuellen WM 6.5, sondern sei von Grund auf neu
konzipiert. Steve Ballmer versprach in Barcelona für Windows-7-Geräte wieder mehr Übersicht und
Konsistenz auf den Geräten unterschiedlicher Hersteller. So gelang es dem Microsoft-Chef, zumindest
einige der großen Smartphone-Player für Teile ihres Produktspektrums noch einmal auf Windows zu
hieven, darunter Sony-Ericsson, Samsung, LG, HTC und Toshiba. Zum Weihnachtsgeschäft dieses Jahres
sollen entsprechende Windows-7-Geräte auf den Markt kommen – in einigen Ländern (nicht Deutschland)
will Microsoft ganz Apple-like eine Anbindung an den hauseigenen Musik- und Spieleladen Zune
integrieren.

Nokia hat mit seiner Symbian-Plattform ebenfalls seit längerem Probleme, ein lebendiges
Applikationsbusiness zu entwickeln. Auch die Linux-basierende Alternative Maemo, die gerade
erstmals mit dem N9000-High-end-Volltastatur-Slider ausgeliefert wird, scheint dem
Handyplatzhirschen offenbar nicht stark genug, um der Konkurrenz etwas Ebenbürtiges
entgegenzusetzen. In Barcelona verkündeten Nokia und Intel, ihre Linux-Plattformen künftig in einer
gemeinsamen Linie zu verschmelzen. In Meego fließt also neben Nokia Maemo auch das Intel Moblin mit
ein. Größter Trumpf des neuen Systems soll die Qt-Entwicklerplattform sein. Dafür geschriebene
Applikationen sollen ohne Änderungen auf einer breiten Meego-Gerätepalette (PDAs, Netbooks,
Notebooks, Tablets, Mediaphones und Infotainment-Systemen fürs Auto) unterschiedlicher Hersteller
laufen. Die Vermarktung soll sowohl über Nokias OVI-Store als auch Intels Appsup-SM-Center laufen.
Schirmherr der Intel-Nokia-Gemeinschaftsentwicklung ist die Linux Foundation. Die erste
Meego-Version soll im zweiten Quartal dieses Jahres verfügbar sein, erste Meego-Geräte werden im
Laufe der zweiten Jahreshälfte erwartet. Einer Reihe von (primär asiatischen) Herstellern und
Entwicklern geht die Offenheit solcher Linux-Initiativen wie Meego oder auch Android nicht weit
genug. Letztlich würden auch hier immer die Interessen eines oder weniger Markt-Player im
Mittelpunkt stehen. Wahre Offenheit und Unabhängigkeit von Einzelinteressen reklamiert die
Linux-Mobile-Foundation (Limo) für sich. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Unterstützung seitens der
Industrie deutlich angewachsen und mit Vodafone England hat Limo nun erstmals auch im europäischen
Markt Fuß gefasst. Zu den wichtigsten Protagonisten der Limo-Initiative gehören auf Herstellerseite
Samsung, NEC, Panasonic und LG. Auf Provider-Seite sind es neben NTT Docomo und eben Vodafone unter
anderem Orange, Verizon, Telefonica und SK Telekom. Zu den Neuankündigungen in Barcelona gehörten
die neue R3-Limo-Plattform sowie neue Handsets (von ELSE, NEC und Panasonic).

Erstmalig wollen nun auch die Mobilfunk-Provider direkt ins Applikationsgeschehen eingreifen. In
der Wholesale Applications Community haben sich in Barcelona 24 der weltgrößten Provider für genau
diesen Zweck zusammengeschlossen, darunter AT&T, China Unicom, Deutsche Telekom, KT, Mobilkom
Austria, MTN Group, NTT Docomo, Orange, Telecom Italia, Telefonica, Telenor, TeliaSonera, SingTel,
SK Telecom und Sprint. Für ihre zusammen etwa drei Milliarden Kunden wollen sie innerhalb der
nächsten zwölf Monate ein auf offene Web-Standards (geplant ist eine Zusammenführung von JIL und
OMTP Bondi) gegründetes Applikations-Interface bereitstellen. Dafür entwickelte Anwendungen sollen
ohne Änderung auf allen entsprechend ausgestatteten Smartphones laufen. Während Google die
Initiative sofort verbal in der Luft zerrissen hat, haben bereits die ersten Smartphone-Hersteller
(darunter LG und Samsung) ihre Unterstützung angekündigt.

Eines der präsentesten Themen in Barcelona war der Breitbandmobilfunk – und hier insbesondere
der Long-Term-Evolution- (LTE)Standard des 3rd Generation Partnership Project (3GPP). Für den
superschnellen Mobilfunk sowohl nach LTE- als auch nach HSPA – und Wimax-Spezifikationen gibt es
inzwischen eine erkleckliche Auswahl an Laptop-Einsteckkarten, USB-Adaptern und Femtozellen
(Kleinstbasisstationen für Anwender), ebenso wie Basisstationen und Zusatzkomponenten, Antennen,
Messgeräte und vieles mehr für Provider. Das auf dem MWC gezeigte Angebot in Sachen LTE, HSPA und
Wimax war geradezu gigantisch, und auch die Zahl der groß angelegten Feldversuche bei den Providern
kündigt vom nahenden Praxis-Rollout. Der erste kommerzielle LTE-Service wurde im vergangenen
Dezember von Teliasonera in Oslo und Stockholm in Betrieb genommen, Fachleute erwarten jedoch für
2010 nur wenige weitere kommerzielle Rollouts, dafür umso mehr Feldtests. Nach der Pleite von
Nortel konnte hier Alcatel-Lucent als LTE-Partner vieler Provider erheblich Boden gut machen –
aktuell gewann das Unternehmen etwa AT&T, Orange Frankreich, Telefonica und China Mobile. In
Barcelona konnte Alcatel zudem langfristige neue Partnerschaften mit Telecom Italia, Vivacom
Bulgarien und KPN (Niederlande) ankündigen.

LTE war bislang als reiner Datendienst konzipiert – derzeit liegen die in der Praxis erzielbaren
Datenraten bei etwa 100 MBit/s (LTE Release 8). In künftigen Ausbaustufen (ab LTE Release 9) soll
sich LTE über die nächsten drei bis fünf Jahre bis an die Gigabit-Marke heran schrauben.


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