funkschau: Was zeichnet die agile Softwareentwicklung wie Scrum gegenüber der klassischen Methode aus? Was sind die Nachteile?
Fesser: Die agile Methode geht mehr auf die natürliche Softwareentwicklung ein. Beide, sowohl die Wasserfallmethode als auch das V-Model, werden der natürlichen Softwareentwicklung weniger gerecht. Nach diesen Methoden bleibt für viele Unternehmen das Anforderungsprofil, also was sie genau an Software benötigen, weitgehend im Dunkeln. Das liegt vor allem daran, dass nach der klassischen Entwicklungsmethode von vornherein der gesamte Funktionsumfang definiert, geplant und realisiert wird. So kann es bei der abschließenden Prüfung passieren, dass nach monatelanger Arbeit die Software nicht das eigentliche Anforderungsprofil abdeckt. Außerdem führt die klassische Vorgehensweise ohne bedarfsnahe Entwicklungsziele schnell zu Missverständnissen bei der Kommunikation mit den Entwicklern.
funkschau: Und bei der agilen Softwareentwicklung?
Fesser: Sie bezieht stärker das Unternehmen mit seinen speziellen Anforderungen ein. Dies wird dadurch erreicht, dass vorerst nur ein kleiner Teil der Anwendung definiert, geplant, realisiert und überprüft wird. Dadurch kann nach jedem Teilschritt und Teilergebnis die Weiterentwicklung der Software gezielt beeinflusst und in die richtige Bedarfsrichtung gelenkt werden. Auf diese Weise wird Schritt für Schritt ein Gesamtergebnis erreicht, das dem erforderlichen Funktionsumfang sehr nahe kommt. Aber auch die agile Softwareentwicklung in nicht hinreichend kompetenten Testhänden birgt Risiken. Die größte Gefahr besteht darin, dass das Projektteam das Ziel aus den Augen verliert und sich im Projektverlauf in Details verzettelt. Um dies zu vermeiden, muss sich das Team gut organisieren, wobei jedem Teammitglied die Verantwortung für einen bestimmten Teil einer Applikation zugewiesen werden sollte. Unter diesen Voraussetzungen fördert die agile Softwareentwicklung die Motivation, Zielorientierung und das Qualitätsbewusstsein der Teammitglieder.
Eines steht außer Frage: Die agile Methode stellt im Projektverlauf das eigene wie das externe Testcenter vor große Herausforderungen. Diesen Herausforderungen müssen alle Teammitglieder, ob interne oder externe Spezialisten, gewachsen sein.
funkschau: Inwieweit werden agile Vorgehensweisen wie Scrum von den Unternehmen bereits adaptiert?
Fesser: Große Organisationen scheuen eher noch eine Umstellung auf die agile Softwareentwicklung. Sie favorisieren weiterhin das klassische V- oder Wasserfall-Modell. Hier wird meist nur die Realisierungsphase agil umgesetzt. So braucht sich auch das Testcenter nicht umzustellen. Es kann weiterhin seine Entwicklungen und Tests an den bereits bei Projektbeginn festgelegten Anforderungen orientieren, mit allen daraus für das Unternehmen erwachsenden Nachteilen einer bei Projektende unzureichenden Funktions- und Qualitätsabdeckung.
Abseits von den großen Organisationen nutzen immer mehr Unternehmen ein externes Testcenter, um darüber in eine hundertprozentig agile Softwareentwicklung einzusteigen. Diese Zusammenarbeit mit einem externen Subteam setzt im Vorlauf des Vorhabens eine sehr enge Kommunikation zwischen allen Beteiligten voraus. Diese Art der Kommunikation ist aufwändig und kann die Kostenvorteile eines externen Testcenters schmälern. Dieser erhöhte Kostenaufwand sollte deshalb vor der Entscheidung „internes oder externes Testcenter“ unbedingt in die Kalkulation mit einfließen.