Kompressionstechniken für IP-Videoüberwachung

Videokompression um jeden Preis?

12. Oktober 2016, 8:00 Uhr | Von Timo Sachse.

Eigentlich ist es paradox: Einerseits sollen IP-Videoüberwachungssysteme rund um die Uhr aufzeichnen und so viele Informationen wie möglich liefern. Andererseits spielen Themen wie Band-breite und Speicherplatz aus technischer Sicht eine ebenfalls wichtige Rolle. Viele Hersteller lösen diese Herausforderung, indem sie vorab Kompressionseinstellungen für H.264 definieren. Typischerweise verlässt sich der Errichter auf diese Default-Einstellungen. Dies kann später in der Praxis jedoch zu undeutlichen Bildern führen und den forensischen Wert eines Überwachungsbilds deutlich schmälern.

Videokompression war lange Zeit ein kaum beachtetes Thema in der Videoüberwachungsbranche. Die technische Ausstattung der Kameras stand mehr im Fokus. Erst in den letzten Jahren gewann der Bereich zunehmend an Aufmerksamkeit. Hersteller von Sicherheitskameras haben inzwischen die Wichtigkeit erkannt und präsentieren neuartige Techniken zur Kompression, wie etwa die von Axis Communications entwickelte Zipstream-Technik. Diese reduziert die Bandbreite und den Speicherbedarf um bis zu 50 Prozent oder mehr, ohne dass dabei wichtige Bilddetails verloren gehen, und kommt sogar in PTZ-Kameras zum Schwenken, Neigen und Zoomen zum Einsatz. Dies ist notwendig, da die Bewegungen einer PTZ-Kamera extrem hohe Bandbreiten verursachen. Ein dynamischer Bitraten-Controller vermeidet diese hohen Bandbreiten und reduziert zudem den benötigten Speicherplatz.

Wenn es auf Details ankommt

Grundsätzlich analysiert und optimiert diese Kompressionstechnik die Bitrate des Video-Streams einer Netzwerkkamera in Echtzeit. Sie zeichnet Szenen, die interessante Details enthalten, mit voller Bildqualität und Auflösung auf, während andere Bereiche herausgefiltert werden, um die verfügbare Bandbreite und den Speicherplatz optimal zu nutzen. Dabei erkennt diese Technik wichtige forensisch relevante Details wie beispielsweise Gesichter, Tattoos oder Autokennzeichen und komprimiert diese nicht zusätzlich, während sie irrelevante Bereiche wie etwa weiße Wände, Wiesen und Vegetation gefahrlos stärker komprimiert und so Speicherplatz spart.

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Bild 1. Komplexe Szene: Details sind mit Zipstream-Technik (rechts) deutlich besser zu erkennen als bei Bitraten-Limitierung (links).

Die Differenzierung der Kompression anhand von Strukturen und Bewegungen im Bild erreicht exakt das, was sich die Forensiker der Ermittlungsbehörden immer wünschen: Bewahrung relevanter Bilddetails. Standardmethoden zur Kompression wie beispielsweise die beliebte "maximale Bitrate" (MBR) arbeiten hingegen mit einem auf das gesamte Bild bezogenen Ansatz (global) und vernichten genau dann am meisten Informationen, wenn die Szene sehr komplex ist.

Fall 1: Komplexe Szene

Der Vergleich in Bild 1 stellt links die Bildqualität eines Video-Streams mit aktivierter Bitratenbegrenzung (MBR: 2,5 MBit/s) und rechts mit aktiviertem Zipstream-Algorithmus dar. Die Szene ist sehr komplex, die originale Bitrate entsprechend hoch. Statt stumpf die Bitrate zu beschneiden und stärker zu komprimieren, gibt die intelligente Zipstream-Kompressionstechnik den Bilddetails genügend Raum und lässt die Bitrate steigen. Der Algorithmus erachtet die Bildinhalte als relevant und behandelt sie entsprechend nicht über den Default-Kompressionswert hinaus.

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Bild 2. Bitraten-Limitierung: Mit zunehmender Komplexität der Szene und der originalen Bitrate (blau) führt die Kompression zu immer höheren Informationsverlusten (rot).

Während der Unterschied der beiden Verfahren in der Übersichtsdarstellung kaum zu erkennen ist, zeigt er sich in der Detailansicht, die in der Regel erst später von Relevanz ist, deutlich. Darin liegt ein weiteres Problem, denn die meisten Liveansichten werden im Mehrfach-Split dargestellt. Dies bedeutet, dass ein Überwachungsmonitor 2×2, 3×3 oder noch mehr Kameras sehr klein anzeigt. Der Betrachter kann auf den ersten Blick gar nicht erkennen, ob das Kompressionsniveau der einzelnen Streams gut oder schlecht ist.

Die Bitrate rechts in Bild 1 liegt aufgrund der adaptiven Kompressionstechnik deutlich über der Bitrate links, und Details sind besser aufgelöst. Forensische Erfolge hängen daher von der richtig eingesetzten Videotechnik und intelligent gewählten Methoden ab. Allerdings ist dies dem Anwender weniger einfach zu vermitteln, als von einer Bitrate zu sprechen, die niemals ein vorgegebenes Limit überschreitet.

Das Diagramm in Bild 2 zeigt, was in Bild 1 bei Bitratenlimitierung tatsächlich passiert. Die originale Bitrate ist blau dargestellt, die Differenz zwischen der originalen Bitrate und dem MBR-Limit rot. Je größer der rote Balken wird, desto stärker muss die Kamera gegen die Realität arbeiten und Informationen vernichten. Dies geschieht bei stärkerer Kompression. Die Kamera erreicht das Kompressionslimit, aber der Informationsverlust ist dabei sehr hoch.

Fall 2: Geringe Szenenkomplexität

Bei gleicher Bitratenbegrenzung sieht das Ergebnis deutlich anders aus, wenn die Szene weniger stark bewegt ist (Bild 3). Der Unterschied zwischen realer Bitrate und dem eingestellten Limit ist kleiner, und entsprechend geringer fällt die zusätzliche Kompression aus. Der Qualitätsunterschied zwischen MBR- und Zipstream-Technik ist dementsprechend unwesentlich.

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Bild 3. Bei geringer Szenenkomplexität, wie sie oft während der Kamerainstallation gegeben ist, sind - auch im Detail - kaum Qualitätsunterschiede zwischen den unterschiedlichen Kompressionstechniken erkennbar.

Dieses Vergleichsbeispiel zeigt aber eines der elementaren Probleme von Kompressionstechniken: Installiert der Betreiber eine Kamera, so geschieht dies typischerweise außerhalb der Hauptbetriebszeiten und nicht genau dann, wenn am meisten im Überwachungsbereich los ist. Die Szene ist in diesem Zeitraum weit weniger komplex als später in der Realität, und nachteilige Kompression fällt bei der Installation kaum auf.

Die Zipstream-Technik lässt sich auch bei einigen PTZ-Kameramodellen verwenden. Neben der typischen Funktion zur Bitratenreduzierung und Beibehaltung relevanter Details nutzt sie bei PTZ-Kameras den Sachverhalt, dass die Schwenk-Neige-Steuerung den Zipstream-Algorithmus mit Informationen versorgt. So kann dieser zu jeder Zeit "vorhersehen", wohin sich die Kamera bewegt und wo neue Bildinformationen im Bild auftauchen beziehungsweise alte den Bildbereich verlassen werden.

Zipstream für PTZ-Kameras

Er kann neue Inhalte entsprechend anders behandeln als Bereiche, die bereits bekannt sind. Die Grafik in Bild 4 zeigt die Sparpotenziale beim PTZ-Betrieb deutlich:

  • Phase A beschreibt die Kamera ohne mechanische Bewegung, Bildveränderungen kommen aus der Szene selbst und werden gemäß Standard-Zipstream-Algorithmus behandelt - also differenziert zwischen Bewegungs- und Strukturanteil.
  • Phase B zeigt die Aktivität eines Operators: Die PTZ-Funktion der Kamera ist in Betrieb und Zipstream kann in dieser Phase dabei helfen, die Bitrate signifikant zu senken.
  • Phase C ist erneut eine Phase ohne mechanisches PTZ, die Standardfunktionen von Zipstream sind hier wieder aktiv und reduzieren, wo dies möglich ist.
  • In Phase D arbeitet der Operator mit der Kamera und scannt einen Bereich ab, die Bitrate lässt sich mit Zipstream wieder deutlich reduzieren.
  • Der technische Ansatz ist in allen Fällen der gleiche: Einsparen, wo es möglich ist, so granular, wie es die Szene erlaubt, und ohne eventuell forensisch wertvolle Inhalte zu vernichten.
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Bild 4. Sparpotenziale beim PTZ-Betrieb: Zipstream kann in Phasen aktiver Schwenk-/Neige-Operationen (B und D) dabei helfen, die Bitrate signifikant zu senken.

Es gibt eine Reihe von Anwendungsfällen in denen eine 24/7-Livebetrachtung erforderlich ist und/oder in denen eine permanente Aufzeichnung erfolgt. Beide Fälle profitieren bereits deutlich von der initialen Kompressionsbehandlung durch die Zipstream-Algorithmen.

Dynamische Bildwiederholrate

Mit der zusätzlichen, neuen Funktion zur Dynamisierung der Bildwiederholrate kann diese Technik jetzt ein Maximum an Einsparung herausholen und die Bitrate auf ein Minimum reduzieren. Einfach ausgedrückt reduziert sie die Bildrate immer dann, wenn der relevante Bildveränderungsanteil auf ein Minimum absinkt. Sobald eine relevante Veränderung geschieht, steigt die Bildwiederholrate ohne Verzögerung wieder auf das gewünschte Niveau (Bild 5):

  • Phase A zeigt die Szene in der maximalen Bildwiederholrate (hier 30 fps).
  • In Phase B sinkt die Szenenkomplexität immer weiter ab, und Zipstream reduziert die Bildrate entsprechend Schritt für Schritt.
  • In Phase C ist die Szenenkomplexität minimal, die Bildrate liegt stabil bei 1 fps.
  • In Phase D steigt die Szenenkomplexität an und die Bildrate springt zurück auf die eingestellten 30 fps.
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Bild 5. Die Funktion zur Dynamisierung der Bildwiederholrate kann bei sinkender Szenekomplexität ein Maximum an Einsparung herausholen und die Bitrate auf ein Minimum (Phase B und C) reduzieren.

Der Vorteil dieses Verfahrens: Der Anwender verpasst keine relevanten Details, und der Video-Stream wird nie unterbrochen - dennoch ermöglicht die dynamische Frame-Rate signifikante Einsparungen bei der Bandbreite.

Positiver Nebeneffekt

Ein weiterer sehr interessanter Nebeneffekt ergibt sich auf der Visualisierungsebene. Durch die Reduzierung der Stream-Komplexität ist die Decoding-Hardware weit weniger beansprucht als bei höheren Bildraten. Stromverbrauch, Wärmeentwicklung und Hardwarebelastung sinken und tragen so zu weiteren Kosteneinsparungen und längeren Lebenszeiten der Hardware bei.

Timo Sachse ist Product Analyst EMEA bei Axis Communications ().

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