Die Argumente für Videokonferenzen sind seit Jahren grundsätzlich gleich: Reisekosten einsparen und die Umwelt weniger belasten, aber gleichzeitig flexibler und damit bedarfsgerechter konferieren. Daran hat sich auch mit Videokonferenzsystemen der jüngsten Generation nichts geändert. Neue Techniken und Standards sorgen heute jedoch im Zusammenspiel mit Unified-Communications-Lösungen (UC) dafür, dass sich virtuelles Conferencing tatsächlich auch einfach und effizient in der Praxis umsetzen lässt.
Noch bis vor wenigen Jahren war es besonders in der IT-Industrie üblich, Manager für jeden auf
Verdacht wichtigen Anlass ins Flugzeug zu setzen, um vor Ort mit den Kollegen oder Partnern zu
diskutieren. Eine Ausnahme bildeten die Anbieter von Video-Conferencing- und Telepresence-Systemen,
die – verständlicherweise – ihr eigenes Business in die Unternehmenskultur einflochten.
Mitarbeiter, Partner, Lieferanten und Kunden treten dort über jede mögliche Kombination aus
Sprach- und Videokommunikation, Content Sharing, Presence Awareness und Instant Messaging
miteinander in Verbindung. Einsparungen bei den Reisekosten von 30 Prozent und mehr sind eine
direkt messbare Folge davon.
Allerdings lässt sich das Thema Video-Conferencing heute kaum noch allein stehend betrachten –
die Einbindung in IP-basierende Kommunikationslösungen spielt eine wichtige Rolle. So hat es in den
vergangenen Jahren im Markt der Video-Conferencing-Anbieter eine starke Konsolidierung gegeben:
Eine Reihe wichtiger Anbieter wanderte dabei in die Arme großer Player aus dem IT- oder
Netzwerksektor. Verbleibende unabhängige Anbieter wie beispielsweise Polycom setzen hingegen auf
enge Industriepartnerschaften und offene Standards, um den Anwendern übergreifende integrierte
Lösungen präsentieren zu können. Im Beispiel von Polycom und Avaya etwa unterstützt die
Videokonferenzlösung die UC-Plattform Avaya "Aura" als zentralen Kontrollpunkt bei der
unternehmensweiten Verwaltung und Bereitstellung von Kommunikationsanwendungen.
Technologische Basis für solche Kooperationen ist die gemeinsame Unterstützung des
VoIP-Protokollstandards SIP (Session Initiation Protocol) beziehungsweise im Bereich der
Videokommunikation auch Teilen der H.323-Protokolle. Bei letzteren waren besonders in Sachen Codecs
in den vergangenen Jahren fundamentale Fortschritte zu verzeichnen. Im Wesentlichen geht es dort um
den H.264-Standard, der zwar seitens der ITU (Internationale Telekommunikationsunion der Vereinten
Nationen) bereits 2003 mit einer Reihe von Grundprofilen verabschiedet wurde, der jedoch erst im
Zug der Verbreitung von HDTV (High Definition TV) und Blue-ray verstärkt in
Video-Conferencing-Produkten Eingang fand. Vergleichsweise hohe Lizenzgebühren für H.264-Codecs
verhinderten sehr oft eine frühzeitige Integration. Die ersten Versionen des H.264-Video-Codecs
definierten das "Baseline"-, das "Main"- und das "High"-Profil. Im Lauf der Zeit kamen die Profile "
High 10", "High 4:2:2", und "High 4:4:4" hinzu. Diese Profile legen die zu verwendenden Parameter
für die Kodierung fest (maximale Videogrößen, Bitraten, Anzahl der erlaubten Makroblöcke etc.),
denn nach Standardnorm dürfen nicht alle Merkmale beliebig verwendet werden. Worum es aktuell im
Speziellen geht, sind die High Profiles (HP): "H.264 HP" weist etwa im Vergleich zum früher
verbreiteten Standard H.263 eine dreifach bessere Code-Effizienz auf. In der Praxis ergibt sich
daraus ein um etwa 50 Prozent reduzierter Bandbreitenbedarf, was wiederum zu klaren Einsparungen
bei den Übertragungskosten führt. Hochauflösende Konferenzen und die daraus resultierenden
Produktivitätsgewinne wurden so erst möglich.
Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der H.264-Protokolle stellte die Verabschiedung des "
Anhang G" Ende 2007 dar. Was auf den ersten Blick ziemlich unspektakulär als ein "Anhängsel" unter
vielen daherkommt, bedeutet in Wahrheit eine kleine Revolution bei der Art und Weise, wie
Videodaten übermittelt werden. Dies geschieht bislang in Form eines singulären Streams, was bei
voll zur Verfügung stehender Bandbreite zwar zu einem perfekten Bild führt, jedoch schon bei
vergleichsweise geringen Schwankungen zu Totalaussetzern führen kann. "Ganz oder gar nicht", ist
hier gleichsam die Devise. Das Problem ist bekannt, und Hersteller haben mit intelligenten
Packet-Loss-Recovery-Techniken reagiert, um die Videokommunikation bei schwankenden Bandbreiten,
wie sie bei Strecken über das öffentliche Internet durchaus üblich sind, zu stabilisieren. Die
Single-Stream-Methode bot dabei jedoch nur wenig Spielraum. "Anhang G" oder "H.264 SVC" (Scalable
Video Codec), wie das neue Verfahren auch bezeichnet wird, definiert nun erstmals eine
mehrschichtige Übertragung. In Abhängigkeit von der in Echtzeit gemessenen Bandbreite kommt eine
entsprechende Zahl von "Layern" zum Einsatz, wobei die Schärfe und Detailtreue von Layer zu Layer
zunimmt. Bei miserablen Verbindungen kann es also sein, dass die Videobilder streckenweise nur die
Qualität eines "Thumbnails" oder Vorschaubilds besitzen. Nimmt die Bandbreite wieder zu, werden
entsprechend mehr Layer übertragen, die das Bild nach und nach perfektionieren.
Hochwertige Video-Conferencing-Systeme ergeben allerdings auch mit der neuen Technik nur Sinn,
wenn prinzipiell eine HD-geeignete Bandbreite zur Verfügung steht. Schwankungen, die oft nur im
Bereich von wenigen Millisekunden liegen, führen nun aber nicht mehr zum Abbruch der Verbindung,
sondern schlimmstenfalls zur kurzzeitigen "Vergröberung" der Bildqualität. Bei sehr schlechten
Verbindungen bietet SVC auch die Möglichkeit, die Bildwiederholrate entsprechend herunterzufahren,
sodass sich eventuell schnellere Bewegungen temporär nicht mehr ganz flüssig abbilden lassen.
Hersteller arbeiten inzwischen mit Hochdruck daran, aus den gewonnenen Freiheitsgraden der
H.264-SVC-Technik (Auflösung und Bildwiederholrate) in Verbindung mit den bereits entwickelten
intelligenten Packet-Loss-Recovery-Techniken in jeder Bandbreitensituation die bestmögliche "
Quality of Experience", bereitstellen zu können. In aufwändigen Versuchen wird dabei eruiert, wie
sich bandbreitenbedingte Qualitätseinbußen bei der Video- und Audioübertragung so mit den
Toleranzwerten der menschlichen Sinne in Deckung bringen lassen, dass das subjektive
Präsenzerlebnis möglichst wenig leidet. Die automatische Steuerung der Parameter ist daraufhin
entsprechend abzustimmen. SVC-fähige Lösungen werden beispielsweise bei Polycom ab etwa Jahresmitte
2010 verfügbar sein. Experten erwarten, dass die Akzeptanz der videogestützten Kommunikation dank
der neuen Technik deutlich zulegen wird und Unternehmen videointegrierte Unified Communications
erheblich stärker als bisher nutzen.
Integration an der Oberfläche
Das Thema Kompatibilität und Standards setzt sich auch in der Bedienung fort. Seit Apple das
Iphone herausgebracht hat, hat sich "wisch und weg" als Interaktionsmethode für
bildschirmorientierte Geräte etabliert. Neben Smartphones und PDAs betrifft dies beispielsweise
mobile und stationäre Tablet-PCs, Home-Entertainment-Geräte, Navigationssysteme und neuerdings auch
IP-TK-Anlagen. Es ist daher nur konsequent, wenn sich nun auch die wesentlichen Aspekte von
Videoverbindungen über einen Touchscreen steuern lassen. Auf der Roadmap entsprechender Anbieter
steht das Ziel, von einfachen Wählfunktionen über den Austausch von Multimediainhalten bis hin zu
komplizierteren Systemfunktionen alles auf die berührungsempfindlichen Monitore zu bringen. Mit der
grafischen Benutzeroberfläche lassen sich so auch in unternehmensweiten Verzeichnissen, lokalen
Adressbüchern oder Listen präsenzfähige Kontakte finden und entsprechende Videoverbindungen
starten.
Neben der Bedienung an sich vereinfachen die per Finger auf dem Bildschirm zu steuernden
Benutzeroberflächen die Integration in vorhandene UC-Umgebungen, sofern dazu die entsprechenden
Schnittstellen geschaffen sind. Ein einfaches Beispiel ist etwa der nahtlos durchführbare Start von
Videoverbindungen aus Unified-Communications-Applikationen von Fremdanbietern heraus. Bei Polycom
etwa lassen sich durch die Integration von Microsoft Outlook die im Terminkalender von Outlook
gespeicherten Termine eines Nutzers oder eines Raums im "Touch Control"-Bedienfeld anzeigen. Dabei
können sich Anwender durch einfaches Antippen einer auf dem Bildschirm dargestellten "Join now"
-Schaltfläche in ein Telepresence-Meeting einschalten.