Kaum hat sich mit 802.11n eine in weiten Teilen grundlegend verbesserte WLAN-Technik etabliert, erscheint mit "Wigig" bereits ein neuer Leistungssprung am Horizont. Ähnlich wie im verkabelten LAN Gigabit Ethernet und 10 Gigabit Ethernet noch lange Zeit koexistieren werden, sollen sich auch 802.11n und Wigig eher ergänzen als um eine Vorherrschaft streiten. Dies ist sinnvoll, denn mit der aktuellen Technik lassen sich auch Zusatzanwendungen wie die derzeit stark gefragte Echtzeitlokalisierung sehr effizient abbilden. WLANs beginnen mit diesen Entwicklungen, die Funktionen verkabelter Netzwerke zu übertreffen.
Mit 802.11n und den damit verbundenen Entwicklungen existieren heute Standards, die den Aufbau
sehr leistungsfähiger und stabiler WLAN-Umgebungen erlauben – sowohl im Consumer- als auch im
Unternehmenssektor. Ein nennenswert anwendungsgetriebener Druck, über die derzeit realisierbare
Übertragungsrate von bis zu 600 MBit/s hinausgehen zu müssen, ist nicht spürbar. Aber die Tatsache,
dass es aktuell keinen Bedarf für neue Anforderungen gibt, war für technische Entwicklungen seit
jeher eher sekundär. Die Erfahrung zeigt: Ist die Messlatte einmal hochgesetzt, findet sich auch
rasch irgendeine Anwendung, die den gewonnenen Spielraum ausnutzt oder gar unverzichtbar macht.
In Sachen Gigabit-WLANs sind schneller als von vielen erwartet große Fortschritte zu
verzeichnen. Getrieben und koordiniert durch die "Wireless Gigabit Alliance" (Wigig,
www.wigig.org), existiert seit Mitte Mai dieses Jahres eine einheitliche Spezifikation für das
superschnelle WLAN (den Angaben nach bis zu 7 GBit/s) ebenso wie ein so genanntes Adopter Program,
über das interessierte Hersteller Drahtlosprodukte mit Multi-Gigabit-Geschwindigkeit entwickeln
können. Die Wigig-Spezifikation basiert auf dem 60-GHz-Frequenzband, das ebenso wie die
traditionellen WLAN-Frequenzbänder um 2,4 und 5 GHz zu den lizenzfreien Bändern zählt. Ebenfalls
seit Mai besteht auch eine Kooperation mit der Wi-Fi Alliance, die Wigig nun als Erweiterung
bisheriger WLAN-Anwendungen sieht und 60-GHz-Systeme in ihr Zertifizierungsprogramm aufnehmen will.
Insbesondere will sie auch die Entwicklung von Tri-Band-WLAN-Systemen fördern, in denen neben den
Prozessoren für 2,4 und 5 GHz auch solche für 60 GHz ticken – passende Antennenausrüstung
inklusive. Nach den Vorstellungen der Wi-Fi Alliance soll zumindest ein großer Teil der
Gigabit-WLANs als Tri-Band realisiert werden, am liebsten nahezu alle. Dies würde die
Rückwärtskompatibilität mit der bisherigen WLAN-Welt sichern und damit auch einen gemischten
Betrieb ermöglichen.
"Die Technik ist so gestaltet, dass sie eine Vielzahl von Applikation sowohl auf Geräten mit
niedrigem Energieverbrauch als auch mit hoher Leistung unterstützt", so der Wi-Fi-Alliance-CEO
Edgar Figueroa. "Dazu gehören zahlreiche Haushaltsgeräte, Musik- und Videoanlagen, PCs, Handhelds
und Geräte für die Heimvernetzung. Im Ergebnis ist Wigig in der Lage, ein globales Ökosystem aus
Unterhaltungselektronik, Rechnersystemen und Kommunikationsgeräten zu schaffen, in dem alles ganz
im Sinne des digitalen Zeitalters nahtlos zusammenarbeitet." Diese Zusammenarbeit muss aber auf
vergleichsweise engem Raum stattfinden – derzeit geht man von Reichweiten zwischen zehn und 20
Metern aus. Und selbst diese Entfernungen sind nur möglich, wenn Mini-Antennen-Arrays zum Einsatz
kommen, die die Funkstrahlung für den bestmöglichen Empfang intelligent lenken. Wigig unterstützt
dabei die "Beam Forming"-Technik, die vor rund fünf Jahren vom damaligen WLAN-Newcomer Ruckus
Wireless entwickelt wurde. Für die Einbindung spezifischer Systemschnittstellen wie etwa Datenbusse
für PC-Peripheriegeräte oder Display Interfaces für HDTV-Geräte, Monitore und Projektoren sind
bestimmte Protokollschichten (Protocol Adaption Layer) vorgesehen.
Im IEEE-Gremium läuft die Standardisierung von Wigig in der Arbeitsgruppe (Task Group) "ad", der
künftige Standard wird demnach IEEE 802.11ad heißen. Laut offiziellem Zeitplan will sich das IEEE
dafür noch gut zwei Jahre geben – aktuell genannter Verabschiedungstermin ist September 2012.
Erfahrungsgemäß kann sich dieser Termin aber durchaus noch beträchtlich nach hinten verschieben.
Fast ebenso sicher ist davon auszugehen, dass Wi-Fi und Wigig schon deutlich früher mit ihrem
Zertifizierungsprogramm beginnen und erste "Pre-ad"-Produkte wahrscheinlich schon im Lauf des
kommenden Jahres in den Läden stehen, zumindest für den Consumer-Markt.
Nach den jahrelangen Querelen um den 802.11n-Standard ist es bei der IEEE derzeit
vergleichsweise ruhig im WLAN-Standardisierungsdschungel. Noch diesen September steht immerhin
802.11v zur Verabschiedung an – dieser legt fest, auf welche Weise sich Endgeräte von zentraler
Stelle aus konfigurieren lassen, während sie mit einem WLAN Access Point (AP) verbunden sind.
Aufregender ist aber sicher das Wigig-Pendant im traditionellen 5-GHz-Band: Auch dort gilt es den
Durchsatz künftig zu steigern – auf mehr als 1 GBit/s aggregiert über mehrere Stationen und auf
über 500 MBit/s für eine einzelne Verbindung. Der dafür geplante 802.11ac-Standard für "Very High
Throughput" bei 5 GHz zielt auf eine Erhöhung der Spektrumseffizienz – und soll gleichzeitig den
Stromverbrauch senken. Die Verabschiedung ist für Dezember 2012 geplant. Allerdings verschwimmen
bereits jetzt die Leistungsgrenzen zwischen 802.11n und 802.11ac: So erzielt erstere Technik durch
Einsatz von Verfahren wie 4×4 MIMO (Multiple Input Multiple Output) und Beam-Forming-Signaltechnik
schon heute die mit letzterer geplanten Geschwindigkeiten. Es wird spekuliert, dass 802.11ac unter
Einsatz der gleichen technischen "Tricks" im Endeffekt doch erheblich höhere Übertragungsleistungen
erzielen kann als 802.11n, aber dies müssen Praxistests erst beweisen.
Deutlich länger als erwartet scheint sich die Standardisierung für die Steuerung der
Service-Qualität (Priorisierung von QoS-Management-Paketen) hinauszuzögern. War hier ursprünglich
das Jahr 2010 angepeilt, sieht die offizielle Zeitplanung für den entsprechenden 802.11ae-Standard
jetzt den September 2012 vor. Ziel ist dabei, die DECT-Technik für Drahtlostelefonie endgültig
überflüssig zu machen – durch eine adäquate Qualitätssicherung von Gesprächen über WLAN.
Möglicherweise wäre in dieser Hinsicht allerdings schon eine sorgfältige Implementierung von
802.11n-Infrastrukturen sowie die Nutzung der im 802.11e-Standard definierten QoS-Mechanismen
zweckerfüllend – darauf deuten zumindest Erfahrungsberichte von 802.11n-Anwendern hin.
Abseits der Standardisierungsgremien versuchen nach wie vor einzelne Hersteller, sich über
besonders ausgeklügelte, aber eben proprietäre Techniken von den Mitbewerbern abzuheben. In diesem
Sinne besonders frech, aber vergleichsweise erfolgreich agiert der US-Hersteller Aerohive. Mit
seiner "Cooperative Control"-Technik (CC), bei der jeweils kleine, sich dynamisch selbst
organisierende Gruppen von Access Points (so genannte "Hives") die Funktion dedizierter
WLAN-Controller übernehmen, bringt der Hersteller Einfachheit und nach eigenen Aussagen unbegrenzte
Skalierbarkeit ins Funknetz. Auch in puncto Ausfallsicherheit soll sich die verteilte Kontrolle als
vorteilhaft erweisen: "Ein WLAN-Controller ist immer auch ein ?Single Point of Failure?", erklärt
Matthew Gast, Director Product-Management bei Aerohive. "Fällt dieser aus, ist die Funktion des
Wireless LANs massiv beeinträchtigt." Die jüngste Generation von CC-APs ist mit Zwei-Kern-CPUs
ausgestattet, die vor Ort das Verarbeiten von Management-Informationen sowie das Sammeln von Daten
über die Auslastung des Netzes, Service Level Agreements, Firewall-Regeln etc. übernehmen. Die
Funktionsweise der CC-APs ist über drei spezifische Protokolle realisiert:
Die Aufnahme in einen Standardisierungsprozess, wie es seinerzeit bei Ruckus mit "Beam Forming"
geschah, ist bei Aerohive geplant: "Wir bewegen uns in einem harten Mitbewerberumfeld, für uns ist
Cooperative Control ein wichtiger Faktor zur Differenzierung", betont Gast. "Bislang sind wir die
einzigen, die diese Technik einsetzen."
Mit den Techniken aktueller 802.11n-WLANs lassen sich sehr zuverlässige, genaue und
kostengünstige Echtzeitlokalisierungssysteme (Real Time Locating Systems – RTLS) realisieren. Die
Analysten von Abi-Research sehen in WLAN-basierenden RTLS einen aufstrebenden Zukunftsmarkt, dessen
Umsätze bis 2012 auf jährlich 800 Millionen Dollar anwachsen sollen. Mit RTLS lassen sich mit
entsprechenden Transpondern (Tags) ausgestattete Objekte und Personen in Echtzeit lokalisieren –
eine Funktion, für die es in Containerhäfen, Industrieanlagen, Lagerhallen, Fuhrparks,
Krankenhäusern und vielen weiteren Einrichtungen stark wachsenden Bedarf gibt. Das für die Ortung
verwendete Messverfahren ist meist eine mehrfache Abstandsmessung (Multilateration) oder eine
mehrfache Winkelmessung (Triangulation). WLAN-basierende RTLS stehen im Wettbewerb mit Lösungen,
die auf "Ultra-Wideband", "Zigbee", "Ultrasound" oder auch proprietärer Technik basieren und in den
letzten Jahren ebenfalls Verbreitung gefunden haben. Experten geben solchen Systemen künftig
bestenfalls in kleineren Umgebungen noch eine Überlebenschance – bei großflächigen Installationen
haben WLAN-Systeme sowohl technisch als auch wirtschaftlich inzwischen deutlich die Nase vorne.
RTLS-Transponder besitzen gemäß ihren grundlegenden Spezifikationen für das Auslesen einer
Identität immer auch die Funktion von RFID-Tags (Radio Frequency Identification) an Bord. RFID-Tags
allein können allerdings kein RTLS bilden, da sie keine Abstandsmessungen unterstützen, wie es für
eine Ortsinformation erforderlich wäre. Echtzeitlokalisierungssysteme erfassen nicht nur den
aktuellen Ort, sondern auf Wunsch auch die Bewegungshistorie und dokumentieren, wann welches Objekt
sich an welchem Ort befunden hat. Daraus lassen sich beispielsweise Rückschlüsse auf Aspekte wie
Auslastung, Kostenzuordnung und Bevorratung ziehen. Neben der Logistikoptimierung kommen
RTLS-Systeme häufig auch als Diebstahlschutz von Geräten und Objekten zum Einsatz. RTLS-Player sind
etwa Aruba Networks, Cisco Systems, Ekahau, Motorola und Trapeze Networks.
Der finnische Hersteller Ekahau hat sich ausschließlich auf WLAN-basierende RTLS-Lösungen
spezialisiert und bietet nicht – wie die anderen genannten Hersteller – eigene WLAN-Systeme an.
Dafür kooperiert das Unternehmen inzwischen mit fast allen nennenswerten WLAN-Anbietern, darunter
auch Playern im Unternehmens-WLAN-Sektor wie Cisco, HP, Aruba, Ruckus und Aerohive. Unter anderem
bietet Ekahau mit "Site Survey Professional 4.6" eine umfassende und RTLS-gerechte Software für die
WLAN-Planung an, außerdem extrem genaue Lokalisierungs-Tags ("Location Beacon"), WLAN-Armband-Tags
für Patienten, Kinder etc. sowie WLAN-Badges mit Display für Personensicherheit und als
Pager-Lösung – um einige der in jüngerer Zeit vorgestellten Produkte zu nennen.
Moderne RTLS-Tags sind mit Bewegungssensoren ausgestattet, die das WLAN-Funkmodul aktivieren. In
Ruhe fallen die Tags in eine Art Bereitschaftsmodus. Hintergrund ist eine Steigerung der
Energieeffizienz – bislang oft noch ein Schwachpunkt der Transponder. Durch den "Standby"-Betrieb
sollen die Batterien in den Tags bis zu fünf Jahre halten – wobei idealerweise das
RTLS-Management-System den Ladezustand überwachen können sollte. Als nichtig haben sich
Befürchtungen erwiesen, der RTLS-Verkehr würde über das WLAN laufende, unternehmenskritische
Anwendungen stören. Ein typischer RTLS-Tag sendet je Positions-Update zwischen fünf und 50 Byte.
Selbst bei mehreren Tausend simultan sendenden Tags entstehen keine Datenmengen, die ein WLAN
beeinträchtigen könnten.
Eine noch nicht vollständig erledigte Baustelle im Zusammenhang mit RTLS-Lösungen stellen
speziell für Industrieumgebungen entwickelte Access Points dar. Diese sind zwar wasser- und/oder
staubdicht, unempfindlich gegenüber Temperaturschwankungen über einen größeren Bereich, robust
gegenüber Stößen/Vibrationen und montierbar an Außenwänden oder DIN-Schienen; auch verfügen sie
meist über spezielle Anschlüsse für Alarmmelder und vieles mehr – WLAN-technisch stellen diese
Geräte aber eher oft Mittelmaß dar. Zudem sind sie je nach Ausgestaltung der Eigenschaften, die
sich hinsichtlich der Robustheit sinnvollerweise in einer IP-Zertifizierung (zum Beispiel IP40,
IP65, IP66 oder IP67) ausdrücken, vergleichsweise teuer. Die einschlägigen Hersteller, unter denen
sich mit Hirschmann (gehört wie Trapeze Networks zur Belden-Gruppe), Siemens, Funkwerk und Lancom
auch wichtige deutsche (beziehungsweise in Deutschland entstandene) Vertreter finden, sind hier
noch gefordert – nicht zuletzt, weil einige der typischen RTLS-Einsatzgebiete genau diese "
gehärtete" Art von APs erfordern.
Ein Standard-Access-Point strahlt über seine Antenne die Signale in alle Richtungen gleich stark
ab – genau wie eine Glühbirne. Räume werden so gleichmäßig ausgeleuchtet, unabhängig davon, wo das
Signal empfangen werden soll. Richtantennen hingegen bündeln die Signale, haben also kaum "
Streuverluste" und überbrücken bei gleicher Leistung erheblich größere Distanzen als ein
Rundstrahler. Allerdings sind Richtfunkantennen nur bei statischen Verbindungen sinnvoll, denn
würde sich das Ziel aus dem Empfangskegel bewegen, fiele die Signalstärke sehr schnell auf
null.
Beam-Forming-Systeme, auch Wi-Fi Arrays genannt, verfügen innerhalb des Gehäuses über eine
größere Anzahl (üblich sind sechs bis 24) verschieden gerichteter kleinerer Antennen. Per Software
wird laufend quasi in Echtzeit gemessen, bei welcher Antennenpaarung zwischen Sender und Empfänger
der beste Empfang herrscht. Über diese Antennen schickt der Sender anschließend jeweils die
Nutzsignale. Bei Bewegung oder Änderung der Funksituation erfolgt sofort eine dynamische Anpassung.
Allein durch die damit erzielte Bündelung der Signale lässt die die Reichweite gegenüber einem
Rundstrahler in etwa verdoppeln. Die Bündelung vermeidet jedoch außerdem Interferenzen zwischen den
Funkzellen – ein Effekt, der sich in der Regel stark positiv auf die Durchsatzraten auswirkt. Neben
Ruckus setzt beispielsweise auch Xirrus eine solche Array-Technik ein.
Wi-Fi Arrays bringen in nahezu jeder Umgebung Vorteile hinsichtlich Distanzen, Durchsatzraten
und Strahlenbelastung. Die deutlichsten Verbesserungen sind überall dort zu erzielen, wo entweder
die Clients oder/und die APs viel in Bewegung sind. Für industrielle Umgebungen ist Beam Forming
damit geradezu prädestiniert, denn hier sind in der Regel sowohl die Clients (etwa Barcode-Scanner)
als auch oft die APs (Montage auf einer Hutschiene) ständig in Bewegung. Ruckus adressiert mit
seinen Systemen ganz gezielt Krankenhäuser und Flughäfen. In diesen Umgebungen entstehen durch die
im Einsatz befindlichen elektronischen Geräte besonders viele Interferenzen. Mittels "Beamflex",
wie Ruckus seine gesteuerten Wi-Fi Arrays nennt, sollen sich auch hier sehr zuverlässige und
gleichzeitig strahlungsarme Netzwerke aufbauen lassen.