Ausgewandert

1. April 2004, 0:00 Uhr |

Ausgewandert. Es ist eine alte Weisheit: Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande. Großspurige Dampfplauderer haben dagegen scheinbar die besten Chancen, auch in ihrer Heimat gehört zu werden.

Ausgewandert

Bei dem Wort »großspurig« werden wir Bundesbürger hellhörig und denken an unsere geliebten Autobahnen ? und leider auch an die versäumten Möglichkeiten, für diese Perlen europäischer Verkehrsinfrastruktur eine Benutzungsgebühr zu erheben. Und wahre Krokodilstränen treten jedem echten Patrioten in die Augen, wenn er nun noch hören muss, dass ein von Wissenschaftlern aus Kassel konzipiertes Mikrowellen-Mautsystem in Österreich erfolgreich läuft. Den Älteren unter den CRN-Lesern steigen bei solchen Meldungen gleich wieder Bilder in den Kopf, die der Radioreporter Edi Finger am 21.06.1978 mit folgenden Worten beschrieb: »Da kommt Krankl in den Strafraum, Schuss, Tor, Tor, Tor, Tor, Tor, Tor. I werd narrisch ? Krankl schießt ein, 3:2 für Österreich. Wir busseln uns ab. 3:2 für Österreich durch ein großartiges Tor unseres Krankl«. Worte, die schnell als die »Schmach von Cordoba« in die Fußballgeschichte eingingen. Die 2:3-Niederlage gegen Österreich im letzten Spiel der WM-Finalrunde bedeutete damals das Aus für die DFB-Elf. Helmut Schön nahm seinen Hut.

Josef Brauner ist auch gegangen, aber immer noch verspricht »Stefan« auf der Webseite des Toll-Collect-Konsortiums: »Der Verkehr der Zukunft braucht Service. Toll Collect sorgt für Komfort mit System«. Komfort bietet allerdings auch das neue Toilettenpapier, das mit den lustigen Bären wirbt und das ist auch für den … .

Schon vor zehn Jahren bauten Wissenschaftler des Fachgebietes Hochfrequenztechnik der Universität Kassel gemeinsam mit der Robert Bosch GmbH und ANT Telefunken einen Vorläufer der »GO-Box«, die heute in Österreich eingesetzt wird. Der kleine Kasten wird an der Windschutzscheibe des LKW angebracht. Antennenbrücken entlang der Straße kommunizieren per Mikrowellen mit der Box. Passiert ein Fahrzeug diese Mautstationen, sollte die fällige Autobahngebühr von einem Guthaben auf einer Chipkarte in der Box abgebucht werden.

»Deutschland hat Glück gehabt, dass ich heute nicht in Form war«, prahlte Hans Krankl 1978. Doch die Zeiten änderten sich: Bei der Qualifikation zur EM 1980 scheiterte das Cordoba-Team knapp an Belgien, Portugal, Schottland und Norwegen. Bei der Qualifikation zur EM 1984 konnte Deutschland durch ein 0:0 und ein 3:0 gegen die Alpen-Kicker das Debakel zumindest aus dem Kurzzeitgedächtnis streichen. Wenn es stimmt, dass sich Geschichte wiederholt, dann haben wir also Aussichten, dass im Jahr 2010 Toll Collect funktioniert ? und sogar besser als der derzeit installierte österreichische Pickerl-Ersatz.


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