Autobauer leiden unter Softwarefehlern

22. April 2004, 0:00 Uhr |

Autobauer leiden unter Softwarefehlern. Die in der Industrie verwendete Software entspricht nur allzu oft nicht den Anforderungen. Konsequenzen sind kostspielige Rückrufaktionen, verringerte Produktivität und Rufschädigungen. Ein unrühmliches Beispiel hierfür bildet die Automobilbranche.

Autobauer leiden unter Softwarefehlern

Designstudien/studie von BMW: Das multimediale Auto von morgen wird vollgestopft mit Software sein, die hoffentlich auch funktioniert wie vorgesehen.

Jedes andere Konsum- und Investitionsgut mit derart geringen Zuverlässigkeitsraten würde im Regal verstauben. Doch bei Software ist es offensichtlich anders. Wie sonst ist erklärlich, dass nach einer aktuellen Untersuchung von IDC und Mercury Interactive, an der 150 deutsche Großunternehmen teilnahmen, 78 Prozent der deutschen IT-Systeme und Anwendungen nur teilweise verfügbar sind oder komplett ausfallen? Immerhin beklagen aus diesem Grunde 69 Prozent der befragten Unternehmen Umsatzeinbußen, 62 Prozent sehen ihr Image ramponiert, ebenfalls 62 Prozent berichten von sinkender Produktivität und Rentabilität.

Einige Beispiele zeigen, wie prekär das Thema ist. Sie stammen aus der Fahrzeugbranche, in der sich die Probleme wegen der fälligen Rückrufaktionen besonders deutlich zeigen. Da wäre zum Beispiel BMW. 2002 musste der Münchner Autobauer den 745i und den 745LI zurückrufen. Grund: Die digitale Motorsteuerungssoftware funktionierte nicht einwandfrei. Die Motoren hätten durch den Softwarefehler einen unruhigen Lauf gehabt und Fehlzündungen erzeugt. 12000 Fahrzeuge waren betroffen. Sie wurden bei den Händlern reprogrammiert. Auch im letzten Jahr fand man in der 700er Serie einen Softwarefehler. Er steckte in einem Embedded-Chip, auf dem Windows CE lief. Die betroffene Version des Microsoft-Betriebssystems für Handhelds sollte in dem Auto iDrive steuern. Dieses Gerät auf dem Armaturenbrett integriert etwa 200 sonst getrennt ausgeführte Steuerfunktionen - vom Einstellen der Sitzposition über Naviagation, Klimatisierung bis zum autointernen Unterhaltungsprogramm. Eine Microsoft-Sprecherin bestritt, es sei jemals erwiesen worden, dass die Software den Fehler verursacht habe, BMW wollte sich nicht äußern. Immerhin hat man einen Ruf zu verlieren. Den eines Vorreiters in neuer Automobiltechnik nämlich.

Kein rein deutsches Problem

Wenigstens ist die Softwareschwäche kein weiters Symptom der derzeit gern zitierten "deutschen Krankheit". Vielmehr sieht es woanders nicht besser aus. So musste Ferrari Nordamerika 1999 353 Wagen wegen Programmierfehlern zurückrufen. Es betraf Fahrzeuge der Typen Ferrari 360 Modena und 360 Modena F1, die im Vorjahr hergestellt wurden: Ein Lämpchen am Armaturenbrett warnte wegen der fehlerhaften Software nicht wie vorgesehen vor Fehlfunktionen an den Bremsen. Nicht ganz ungefährlich bei einem schnellen Sportwagen, dessen Fahrer für ihre Freude an hohen Geschwindigkeiten bekannt sind. Wenigstens hatten sich aufgrund des Fehlers noch keine Unfälle ereignet und niemand war verletzt worden.

Oder Chrysler: Der amerikanische Hersteller musste 1998 30000 Dodge-Ram-LKWs zurückrufen, weil die Software auf einem der Controller verrückt spielte. Der Fehler resultierte in einer falschen Geschwindigkeitsanzeige und verführte die Fahrer daher zu schnellem Fahren mit hohem Risiko. Auch dieser Fehler wurde behoben, die Händler erhielten Ersatzteile und installierten sie in den Wagen.

Die Beispiele zeigen die Bedeutung, die Software für die Autoentwicklung heute hat. In einem neuen Automodell stecken heute bis zu 100 Mikroprozessoren. Die meisten von ihnen werden von winzigen Softwaremodulen gesteuert. Neuartige Features wie automatische Abstandskontrolle sind softwareabhängig. So baut BMW in den BMW 325i eine elektronische Kupplung ein - sprich: es gibt keine mechanische Verbindung zwischen Motor und Kupplungspedal mehr. Vielmehr wird der Kupplungsvorgang elektronisch gesteuert. Geht das schief, könnte es den Fahrer schon mal das Leben kosten. "Neue Software hat nahezu grenzenlose Möglichkeiten", sagt Tony Scott, Cheftechnologe beim Bereich Informationssysteme und -dienste bei General Motors. "Derzeit tauchen die ersten Infotainmentsysteme in Autos auf, demnächst wird man sie ans Internet anschließen. Aber mit diesen Möglichkeiten entstehen auch Risiken."

Konzentrierte Intelligenz

Dennoch wollen Autobauer aus guten Gründen nicht von Software lassen. Sie ist ja nichts als auf engem Raum konzentrierte Intelligenz. Daher eignet sie sich besser als Mechanik, um sehr unterschiedliche Ziele anzustreben - von der Emissionskontrolle bis zur sicheren Führung des Fahrzeuges. Die Fachleute sehen es mit gemischten Gefühlen. "In jedem komplizierten Stück Code, das länger ist als eine einzige Zeile, stecken vielfältige Fehlermöglichkeiten", sagt zum Beispiel Michael Ostermann, der als Direktor des Zentrums für Computer Aided Life Cycle Engineering bei elektronischen Produkten an der Universität von Maryland. "Es ist mittlerweile beinahe unmöglich, jedes Szenario zu testen, das eine Software erzeugen könnte." In Deutschland weiß man das seit Neuestem nur allzu genau - Toll Collect lässt grüßen.

Der hohe Softwareanteil verändert bereits die Arbeitsweise der Automobilindustrie. "Ford hat seine Geschäftsprozesse transformiert, seit wir mehr Software in unseren Produkten einsetzen", sagt zum Beispiel Jeff Wood, Direktor für den Entwurf elektrischer und elektronischer Systeme bei Ford. Zu den größten Herausforderungen gehört die verschärfte Kontrolle der Zulieferer, um sicherzustellen, dass sie stringente Softwareentwicklungs- und Testprozeduren nutzen.

Branchenfachleute behaupten, dass diese Anstrengungen fruchten, und Statistiken unterstützen diese Annahme. Obwohl nicht alle auf Software zurückzuführenden Fehler registriert werden, nahm in den USA die Zahl der Rückrufe von 2002 bis 2003 von sieben auf zwei ab.

Je mehr Software in Autos eingesetzt wird, desto mehr fehlt allerdings eine industrieweit einheitliche Herangehensweise, um mit dem Bedarf nach immer besserer Qualitätskontrolle mitzuhalten. Autobauer sind verschwiegen, wenn es um die Investitionen in die Software-Qualitätsicherung geht. Allerdings haben sie verschiedene Organisationen gegründet oder beteiligen sich an ihnen. Es gibt parallel nebeneinander die von DaimlerChrysler ausgehende Herstellerinitiative Software, die unter anderem durch Ford gegründete Motor Industry Software Reliability Association und die Society of Automotive Engineers. Letztere wird im nächsten Jahr eine erste Version ihrer Empfehlungen für die Softwareentwicklung in der Automobilindustrie veröffentlichen. Es gibt kein deutliches Anzeichen dafür, dass die drei Verbände beabsichtigen, enger zu kooperieren, um ein weltweites Standardisierungsgremium einzurichten, das dann global anerkannte Normen für die Branche entwickeln könnte - auch, wenn sich die Hersteller dafür einsetzen. Schließlich entwickeln Organisationen wie die IEEE (Institute of Electrical and Electronic Engineers) oder die ISO (International Standardization Organisation) für andere Bereiche schon längst weltweit akzeptierte Normen.

Die fehlende Zusammenarbeit könnte die Integration neuer Software in Autos bremsen. Außerdem erhöhen Fehler die Kosten, indem sie die Herstellungszyklen verlängern. Und Software bildet hier das wichtigste Risiko. "Software ist der am schnellsten wachsende Bereich im Automobilbau, besonders, wenn man an die Fortschritte bei Mikroprozessoren und in der Telematik denkt", sagt GM-Manager Scott. Bis zu 40 Prozent vom Wert eines Wagens stecken heute in Software und Elektronik.

Dadurch werden Autos immer komplexer. Bisher verbesserte Software einzelne Funktionen, zum Beispiel die Benzineinspritzung. Aber in einigen neuen Modellen kommunizieren jetzt Softwaremodule selbsttätig über sogenannte Controller-Area-Networks.

Fehler lassen sich in solch komplexen Umgebungen kaum vollständig detektieren, vielmehr können in der Testphase sogar neue Probleme dazukommen. Code, der eigentlich nur Bugs beseitigen soll, verbleibt in der Software, die dann in Autos integriert wird, so verschiedene Ingenieure im Gespräch mit der amerikanischen Ausgabe der Information Week. "Es sollte auf keinen Fall Debugging-Code in der fertigen Software zurückbleiben, weil er andere Funktionen beeinträchtigen könnte", sagt ein Ingenieur, der für einen Zulieferer arbeitet. Dennoch geschieht es - wegen schlampiger Programmierer, die unter dem Druck eng gesetzter Termine versuchen, so schnell wie möglich, statt so sorgfältig wie nötig zu arbeiten.

Ziele der HIS Der Herstellerinitiative Software (www.automotive-his.de) gehören Audi, BMW, Daimler Chrysler, Porsche und Volkswagen an. HIS bündelt Aktivitäten bei Standardsoftwaremodulen für Netzwerke, der Prozessreifegradermittlung, dem Softwaretest, Softwaretools und dem Programmieren von Steuergeräten. Ziel sind einheitliche Standards. Derzeit gibt es neben einem übergeordneten Steuerkreis Arbeitsgruppen für Softwaretest, Standardsoftware, Process Assessment und Flash-Programmierung. Als Ergebnisse liegen bereits eine Reihe von Dokumenten vor. Sie befassen sich besonders mit dem CAN-Bus und der Schnittstellenproblematik.

Positives Signal

Abhilfe könnte neben Standards auch automatisch generierter Code bringen, in den menschliche Programmierer nur noch selten eingreifen müssen. So ließen sich die Programmierfehler wenigstens theoretisch minimieren oder sogar ganz beseitigen. Der Code könnte womöglich von Drittanbietern kommen, Entwickler würden nur noch Spezifikationen schreiben. Allerdings denken Computer nicht wie Menschen. Sie können die Effizienz eines Algorithmus oder einer Funktion im echten Leben kaum testen. Dennoch muss man es als positives Signal betrachten, dass die Autoindustrie nach kreativen Lösungen für das Softwarequalitäts-Problem sucht. Eine einheitliche Herangehensweise ist dafür auf Dauer unvermeidlich. Sie würde zu weniger Rückrufaktionen, zufriedeneren Kunden und einem soliden Framework für die zu erwartende Softwareschwemme in den Autos der nächsten Generation führen.


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Matchmaker+