Barrierefrei im Web. Die Bundesbehörden müssen laut Gesetz bis zum Jahr 2005 ihre Internetauftritte behindertengerecht gestalten. Der Umbau hat für Behörden allerdings nicht nur Nach-, sondern auch viele Vorteile
Besonders für behinderte und ältere Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sind langwierige Behördengänge eine Last. Damit nun auch sie von öffentlichen Online-Diensten profitieren können, hat die EU ein Regelwerk zur Schaffung nationaler Gesetze herausgebracht: Diese sollen die barrierefreie Gestaltung öffentlicher Webangebote gewährleisten. In Deutschland gibt es deshalb seit rund zwei Jahren die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV). Sie schreibt auch die barrierefreie Gestaltung der Webangebote von Bundesbehörden vor. Bis zum Jahr 2005 sollen nach eigens entwickelten Richtlinien der Web Accessibility Initiative (WAI) alle öffentlichen internetfähigen Dienste des Bundes in Deutschland umgestaltet werden. Danach werden behinderte und ältere Menschen sich manchen Behördengang sparen können.
Für den Umbau der Website sollte der IT-Verantwortliche wissen, dass die meisten körperlichen, kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen nicht isoliert auftreten. Viele Menschen sind von weiteren Behinderungen, sogenannten Sekundärbehinderungen betroffen. Daher kommen einzelne Designanforderungen vielen Betroffenen zugute und nicht nur einer bestimmten Nutzergruppe.
Der Screenreader wird beispielsweise nicht nur von blinden Menschen verwendet, die sich die Inhalte akustisch ausgeben lassen und durch Auflistung aller Links einfacher navigieren können. Auch viele lernbehinderte oder lese-/rechtschreibschwache Menschen profitieren von der Möglichkeit, sich die Inhalte vorlesen lassen zu können.
Genauso sind Webseiten mit Multimediaelementen wie Grafiken nur für blinde Menschen zugänglich, wenn sie alternative Informationen zu diesen Elementen bieten. Dies gilt auch für Nutzer von Textbrowsern und von Endgeräten mit sehr kleinen Displays wie Handys oder PDA´s.
Die Möglichkeit, die Style Sheets einer Webseite anzupassen ist beson-ders für sehbehinderte und farbenblinde Menschen wichtig. Nur so lassen sich Schriftgrößen und -typen sowie Farben individuell einstellen, um zum Beispiel den Farbkontrast zu verändern.
Vergrößerungen sind auch für körperbehinderte Menschen von immenser Bedeutung. Denn vergrößerte Links und Buttons lassen sich treffsicherer auswählen. Schriftgrößen auf Webseiten werden den Anwendern daher am besten nur in relativen Werten vorgegeben.
Die Navigation einer Website sollte außerdem über die Tastatur möglich sein. Motorisch eingeschränkte Nutzer können sich oft nur mit Hilfe der Tastatur über Webseiten bewegen. Bei Formularen hilft eine logische Reihenfolge der Felder, damit sich die Anwender per Druck der Tabulator-Taste von Feld zu Feld bewegen können, ohne dass der Cursor eine Zeile nach unten springt, wenn in der Zeile darüber noch Felder auszufüllen sind.
4 Tipps für behindertengerechtes Webdesign Gestalte Navigation übersichtlich und schlüssig (z.B. Gruppierung und konsistenter Gebrauch von Navigationselementen, aussagekräftige Link-Titel) Trenne Inhalt und Präsentation (nutze CSS, Tabellen nicht für Layoutzwecke) Nutze Semantic Markup (z.B. Auszeichnung von Überschriften, Listen, Tabellen für Daten) Erstelle W3C-validen Quellcode für (X)HTML, XML und CSS
Diese 4 Tipps sind wesentliche Bestandteile der BITV. Ein barrierefreies Webangebot muss allerdings noch erheblich mehr Anforderungen erfüllen (siehe http://www.behindertenbeauftragter.de/gesetzgebung/behindertengleichstellungsgesetz/ rechtsverordnung/rvo11bgg)
Damit die Auftritte der Bundesbehörden auch wirklich behindertengerecht umgestaltet werden, beinhaltet die BITV 14 Richtlinien mit dazugehörigen Prüfkriterien nach der die IT-Verantwortlichen der Behörden ihre Web-Angebote überprüfen müssen. Bis zum Jahr 2005 sollen dann alle Internetangebote von Bundesbehörden diese Richtlinien erfüllen. Aufgrund der Komplexität der Webangebote geht die Umstellung aber nur schrittweise voran und ist ohne fachkundige Unterstützung kaum möglich. Mängel der Online-Dienste lassen sich nur durch Expertenchecks und leistungsfähige automatisierte Verfahren feststellen. Zudem müssen die Überprüfungen in kurzen Zeitabständen immer wieder durchgeführt werden, da sich das Informationsangebot ständig verändert und erweitert. Sowohl Entwickler von Webangeboten als auch Mitarbeiter in Behörden sind hiermit oftmals überfordert. Fachkundiger Rat wird benötigt, um Kosten für zusätzliche Überarbeitungen oder gar Rechtsstreitigkeiten und eine schlechte Presse zu vermeiden. Das Kompetenzzentrum "Barrierefreie I&K für Alle" kurz BIKA am Fraunhofer Institut FIT, bietet deshalb praktische Unterstützung bei der Umsetzung barrierefreier Webangebote für die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft an. Zur komfortablen Überwachung insbesondere komplexer Websites hat BIKA zum Beispiel ein Softwaretool entwickelt. Das Programm namens imergo hilft Experten Webangebote nach den Richtlinien auf Barrierefreiheit hin zu überprüfen. Eine realistische Kostenabschätzung für die Umsetzung eines barrierefreien Webangebotes können Fachleute immer nur in Abhängigkeit von Faktoren wie Komplexität der Website, eingesetzte Medien (zum Beispiel Videofiles) und der verwendeten technischen Plattform vornehmen.
Das Kompetenzzetrum BIKA des Fraunhofer Institutes FIT kann Behörden und Ämter beim technischen Umbau ihrer Webseiten unterstützen. Basiert das Webangebot auf Standards des WWW-Consortiums (W3C) für internetbasierte Dienste, so ist die Umsetzung von Barrierefreiheit ohne großen Aufwand möglich.
Einige Bundesbehörden wie das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) haben bereits mit dem Umbau angefangen. Das BIKA unterstützt hier zum Beispiel die Webagentur bei der technischen Umsetzung von Barrierefreiheit. Als weiteres Ergebnis der Beratungsarbeit verfolgt das BMGS innovative Ansätze und bietet jetzt für gehörlose Menschen Informationen in Form von Videos mit Gebärdensprache auf seiner Website (siehe Foto Seite 24).
Bis zum Jahr 2005 muß die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung umgesetzt sein. Sie beinhaltet 14 Richtlinien. Danach können sich behinderte Menschen manchen Behördengang sparen.
Doch nicht nur für behinderte Menschen auch für die Betreiber der Online-Angebote hat der Umbau der Webauftritte Vorteile. Dr. Velasco, Leiter des Kompetenzzentrums BIKA am Fraunhofer Institut FIT: "Barrierefreies Webdesign kommt auch den Betreibern durch messbare Kostenersparnisse zugute". Schließlich können nun alle Bürger unabhängig von der eingesetzten Soft- und Hardware die Onlinedienste von Ämtern nutzen. Die Inhalte lassen sich mit allen gängigen Browsern und assistiven Technologien darstellen, wie beispielsweise Braillezeilen für die Ausgabe in Blindenschrift. Auch für Nutzer von Endgeräten wie UMTS-Telefone mit Bildtelefonie werden die virtuellen Services nur über Standards zugänglich. Darüber hinaus sind die Webangebote besser auffindbar, weil sie in Suchmaschinen durch die bessere Indexierung auf den ersten Listenplätzen landen.
Weitere Vorteile standardkonformer Webangebote bestehen in einer deutlichen Verringerung der Serverlast, weil durch ein geringeres Gesamtvolumen Speichergröße und erforderliche Bandbreite abnehmen. Dadurch wiederum verringern sich ebenfalls die Ladezeiten. Einsparungen im Terabyte-Bereich sollen dadurch nach Auswertungen des amerikanischen TV-Channels ESPN möglich sein (www.espn.com). Der Pflegeaufwand wird außerdem durch die Trennung von Inhalt und Präsentation minimiert, da Änderungen im Layout für tausende von Seiten zentral an einer Stelle vorgenommen werden können. Dies führt insgesamt zu einer deutlichen Kostenersparnis wie das amerikanische Wissenchaftsmagazin Wired ermittelte (www.wired.com).
Ratschläge für IT-Entscheider Auftraggeber sollten bei einem Vertrag mit einer Werbeagentur oder einem IT-Integrator vereinbaren, dass ihre Webseiten barrierefrei nach den Richtlinien der BITV sein müssen. Die Grafikversion der Website muss den Richtlinien der BITV entsprechen. Durch ein gesondertes Angebot wie z.B. einer Textversion ist BITV- Konformität nicht zu erreichen. Die Barrierefreiheit des Onlineauftritts sollte man durch Experten prüfen lassen. Dazu gehört auch, dass der Programmcode auf Einhaltung der W3C-Standards für (X)HTML, XML und CSS mit Hilfe eines Softwaretools überprüft wird.
Im Jahr 2003 war nach einer Kalkulation des Marktforschungsinstituts TNS-EMNID die Hälfte der Deutschen online. Bei einem vergleichbaren Verbreitungsgrad von Internetanschlüssen unter behinderten Menschen ist daher davon auszugehen, dass 3,4 Millionen Internet-Nutzer eine Behinderung haben.
Neben der Zugänglichkeit barrierefrei gestalteter Webangebote für behinderte Menschen profitieren alle Nutzer von klar strukturierten, einfach formulierten und leicht bedienbaren Angeboten. Doch insbesondere für ältere Menschen ist ein barrierefreies Design wichtig. Altersbedingte Beeinträchtigungen wie Einschränkung der Sehfähigkeit und der Feinmotorik stellen die gleichen Anforderungen an die Gestaltung einer Website wie es für behinderte Menschen nötig ist. Bei 7,4 Millionen Internet-Nutzern über 50 Jahre und zunehmender Alterung der Bevölkerung müssen die Bedürfnisse dieser Nutzergruppe unbedingt berücksichtigt werden.