Schwarzbuch Börse 2005 erschienen

Der hässliche Kapitalismus

9. Februar 2006, 0:00 Uhr | Martin Fryba

Der hässliche Kapitalismus. Eine wundersame Stimmenvermehrung auf der Hauptversammlung, die Umwandlung des Unternehmenszwecks in ein persönliches Steuersparmodell des Vorstands, mündliche Auftragszusagen sofort als Umsatz verbucht ? die Phantasie von Managern kennt keine Grenzen, bereits abgezockte Aktionäre ein zweites Mal über den Tisch zu ziehen. Das neue »Schwarzbuch Börse« ist erschienen.

Der hässliche Kapitalismus

Der »Neue Markt« ist zwar schon seit geraumer Zeit geschlossen, die skandalösen Methoden, derer sich Vorstände und Aufsichträte im Zusammenspiel mit Wirtschaftsprüfern und Banken dieser einst in diesem Börsensegment gelisteten Firmen bedienten, sind aber unausrottbar. Wie Aktionäre gnadenlos geprellt und hintergangen werden, kann man im neuen »Schwarzbuch Börse 2005« lesen, das die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) neu aufgelegt hat. Hierin werden die Schattenseiten auch einiger Firmen im IT-Umfeld beleuchtet.

Trauerspiel CE Consumer Electronic
So zum Beispiel die groteske Hauptversammlung des Münchner Chip-Brokers CE Consumer Electronic Anfang Dezember. Dem Vertreter der SdK auf dieser Versammlung sträubten sich angesichts der skandalösen Vorfälle die Haare. Schlimm genug, dass die Gesellschaft binnen weniger Jahre ihr komfortables Eigenkapital von 112 Millionen Euro aufgebraucht hatte. Schlimmer noch aber, dass die eh schon gebeutelten Altaktionäre einer Kapitalmaßnahe zustimmen sollten, bei der sie für neu zu zeichnende Anteile 4,50 Euro pro Aktie zahlen sollten, während Institutionelle Anleger und der neu ernannte Vorstandsvorsitzende Michael Negel »ihre künftige Beteiligung am Unternehmen zu 1 Euro pro Aktie erwerben würden«. Die Strategie der Verwaltung: Die Präsenz der Aktionäre so gering wie möglich zu halten, um eine Dreiviertelmehrheit für diesen einschneidenden Schritt zu erlangen. So hatten, SdK zufolge, Aktionäre mit hohem Stimmenanteil noch 3 Tage vor der HV keine Stimmkarten vom externen HV-Organisator Acciontec GmbH zugeschickt bekommen. Und als bei der ersten Abstimmung die nötige Dreiviertelmehrheit knapp verfehlt wurde, nutzte die Verwaltung die anschließende Pause von drei Stunden, um offenbar doch noch einen Aktionär ausfindig zu machen, der in einer zweiten Abstimmung der nahezu unverändert vorgelegten Beschlussfassung der Verwaltung seine Ja-Stimme geben würde. So kam es dann auch. Per Fax übertrug Aktionär Kurt Fiebich seine 30.000 Stimmen dem Investor-Relations-Sprecher von CE. »Schurkenspiel«, nannte es ein Hauptversammlungsteilnehmer, als die Verwaltung die Annahme der Kapitalmaßnahme mit denkbar knappen 75,03 Prozent des anwesenden Kapitals verkündete.

Gnadenlos in die eigene Tasche gewirtschaftet: IPC Archtec
Fast 68 Millionen Euro sammelte IPC-Chef Hermann Krassler ein, als er den IT-Vermarkter aus Niederbayern im März 2000 an die Börse brachte. Wenige Jahre später die Ernüchterung: Liquidität drastisch geschmolzen, Finanzamt ermittelt wegen Unregelmäßigkeiten bei der Umsatzsteuer, und jetzt, nachdem die IT-Vermarktung scheiterte, die Flucht in ein neues Geschäftsfeld: Windkraft. »Offensichtlich nicht ohne Eigennutz gewählt«, heißt es im Schwarzbuch. Denn die 3,3 Millionen Euro, die Krassler in zwei gebrauchte Windkraftwerke investierte, verkaufte ein guter alter Bekannter und ehemaliger Großaktionär von IPC: »Krassler-Spezl« Christian Forstmaier. Wenig später musste IPC sein Invest um 1 Million abschreiben, da ein Wertgutachten dies geboten hatte. SdK äußert den Verdacht, dass hier ein »persönliches Steuersparmodell auf Kosten der IPC-Aktionäre entsorgt wurde«, da der Aufsichtsratsvorsitzende Sultanow zugleich als persönlicher Steuerberater von Krassler fungiert haben soll. Nächster Streich: Umwandlung der AG in eine GmbH. Der faire Preis für die freien Aktionäre sah IPC bei 1,95 Euro je Aktie. Zu wenig, meinte ein gerichtlich bestellter Prüfer, der im besten Falle von 4 Euro ausging. Die erforderliche Dreiviertelmehrheit errang die IPC-Verwaltung nicht.

Knapp an der Insolvenz vorbei: FJH
Mündliche Vereinbarungen wurden beim Münchner Softwarehersteller FJH bereits als Forderungen bilanziert, obwohl noch nicht einmal Umsätze oder endgültige schriftliche Verträge vorlagen. Das Ende vom Lied: Wertberichtigungen in Millionenhöhe, ebenso wie zweistellige Millionenverluste aus der Rückabwicklung der überteuert zugekauften Heubeck-Gruppe. Bis auf einen Vorstand musste die Vorstandsriege bei FJH abtreten, Michael Junker jedoch sitzt aber nach wie vor fest im Sattel. Immerhin attestiert die SdK dem neuen FJH-Chef Ulrich Korff, das Unternehmen vor der Insolvenz gerettet und Raum für eine ertragreiche Zukunft geschaffen zu haben. Junker indes möchte oder konnte er noch nicht zum Abdanken bewegen. Er sei Unentbehrlich bei Sonderprojekten und habe Beziehungen zur für die Gesellschaft wichtigen Versicherungsbranche, meinten seine drei Vorstandskollegen auf der außerordentlichen Hauptversammlung im Oktober. Junker ersparte sich den Auftritt vor Aktionären und weilte lieber im Urlaub.


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