Der Pinguin kommt in die Ämter

25. März 2004, 0:00 Uhr | Werner Fritsch

Der Pinguin kommt in die Ämter. Die Linux-Anbieter versprechen, die Kassen zu entlasten und für mehr Sicherheit zu sorgen. Einige Kommunen steigen deshalb zurzeit auf Open Source um, andere bleiben hingegen in der Microsoft-Welt.

Der Pinguin kommt in die Ämter

Die Auguren des Marktfoschungsunternehmens IDC erwarten in den nächsten Jahren bei Betriebssystemen nur für Windows und für Linux nennenswertes Wachstum. Entscheidend für den zunehmenden Einsatz von Linux in Unternehmen und Behörden sind die geringeren Kosten. Laut einer Untersuchung der Firma Tech Consult ist dieser Aspekt in Deutschland bei 85 Prozent der Fälle ausschlaggebend. Meist wird Linux als Webserver eingesetzt. Die Vorzüge hat beispielsweise die österreichische Metropole Wien schätzen gelernt: mittlerweile laufen dort alle 350 Server mit der Linux-Variante von Red Hat. Die bayerische Landeshauptstadt München will nun als erste Großstadt auch die Arbeitsplatzrechner auf Linux migrieren. Der Beschluss, Linux auch auf dem Desktop einzusetzen, kann im Erfolgsfall für den öffentlichen Sektor, aber auch für die freie Wirtschaft Signalcharakter entfalten. Die französische Kapitale Paris etwa scheint sich dem Münchner Beispiel bereits anschließen zu wollen. Jedenfalls hat Unilog eine Studie angefertigt, wie die 17000 PCs, 400 Server und 600 Anwendungen auf Open Source umgestellt werden können. "Was in der Weltpolitik der Fall der Berliner Mauer war, wird die Münchner Entscheidung pro Linux in der IT", meint gar Richard Seibt, ehedem CEO des Nürnberger Linux-Distributors Suse und nach der Übernahme durch Novell dort zum President für die Region EMEA ernannt.

In Münchens Rathaus dürfte ab Mai Linux in den Computern das Zepter übernehmen, wenn der Stadtrat der Migration endgültig zustimmt.

Prüfstein München

Der Stadtrat von München hat im Mai 2003 eine Grundsatzentscheidung für Linux getroffen, nach der 14000 Computer sukzessive von Windows NT umgestellt werden sollen. Microsoft hatte zuvor den Support für NT 4.0 gekündigt. Ziel des Projekts sind Flexibilität und Offenheit bei gleichzeitiger Investitionssicherheit in Zeiten knapper Kassen. "Wir haben uns die Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht", beteuert Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Zusätzlich zu den Experten des Amtes für Informations- und Datenverarbeitung wurde als externer Gutachter die Beratungsfirma Unilog engagiert und neben den Kosten auch der strategische Nutzen abgewogen. Als Ude im März 2003 mit Microsoft-Chef Steve Ballmer verhandelte, purzelten plötzlich die Preise und die Zusatzangebote häuften sich. "Auch die Nachbesserungen beider Seiten bis zur Sitzung des zuständigen Stadtratsausschusses wurden vom Gutachter noch bewertet", betont Ude. Am Ende fiel die Entscheidung zu Gunsten einer Open-Source-Lösung. Nicht zuletzt, um nicht mehr von einem einzigen Hersteller abhängig zu sein und künftig selbst entscheiden zu können, wann und in welchem Umfang auf ein neues Betriebs- oder Office-System umgestiegen wird.

Das Unilog-Gutachten hatte Vor- und Nachteile einer Umstellung vom derzeitigen städtischen Standard Windows NT/Microsoft Office auf Windows XP/Microsoft Office oder Linux/Open Office bewertet und dabei einen klaren strategisch-qualitativen Vorsprung für die Open-Source-Lösung ermittelt. Bisher gibt es einen Basis-Client sowie ein Test- und Validierungszentrum. Das Administrationskonzept, die Softwareverteilung, das Change- und Release-Management sowie ein Rahmenkonzept für den Produktivbetrieb sind ebenfalls erarbeitet. Bis Mai 2004 soll ein Feinkonzept erstellt werden. In verschiedenen Migrationsszenarien werden die mit der Umstellung verbundenen Kosten- und Zeitbudgets ermittelt. Auf dieser Basis wird der Stadtrat dann im zweiten Quartal dieses Jahres beschließen, wie der Umstieg auf Linux erfolgen soll. Die Umstellung soll dann Anfang 2005 beginnend mit einfachen Anwendungen starten. Die Migrationspartner IBM, Suse und SAP werden Hilfestellung geben.

Leonbergs Oberbürgermeister Bernhard Schuler will mit Linux Lizenzkosten einsparen.

Foto: Leonberg

Auch die Schwaben wollen sparen

Die Millionen-Stadt München ist nicht die einzige Linux-Referenz in deutschen Landen. Die sprichwörtlich sparsamen Schwaben setzen schon länger auf Linux. Die Stadtverwaltung Schwäbisch Hall, einer Gemeinde mit 36000 Einwohnern, beispielsweise hat sich schon im Jahr 2002 für den Aufbau einer vollständig Linux-basierten IT-Infrastruktur entschieden. Suse-Linux auf Servern und Desktop-PCs löst eine vorhandene Windows-Infrastruktur ab. "Das Einsparpotential allein durch die Senkung der Software-Lizenzgebühren liegt bei 200000 Euro und trägt maßgeblich zur Entlastung unseres Haushaltes bei", sagt Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim. Außerdem soll die IT-Struktur durch das Open-Source-Betriebssystem sicherer werden. "Die Fachleute stellen Linux in dieser Hinsicht hervorragende Noten aus", begründet Pelgrim. Nicht zuletzt will sich die Kommune durch offene Standards Wahlfreiheit bei den technischen Angeboten sichern.

In der Endausbaustufe sollen 400 PCs auf der Client-Seite von Windows und Microsoft-Office auf Suse Linux Enterprise Client und Open Office migriert werden. Auf der Server-Seite wird Suse Linux Enterprise Server auf einem Intel-basierten Cluster aus Rechnern des Typs eServer xSeries in Kombination mit Blade-Servern von IBM eingesetzt. Das Projekt wird mit Suse und IBM realisiert und soll in diesem Jahr abgeschlossen sein.

Angesichts der Lizenz- und Support-Situation wäre auch die Stadt Leonberg heuer gezwungen, bei den PCs einen Wechsel auf Windows XP vorzunehmen. Dies hätte wegen der Hardwareanforderungen den Austausch fast aller rund 430 PCs erforderlich gemacht. Somit wären nicht nur Lizenzkosten für das neue Betriebssystem und die neuen Office-Pakete angefallen, sondern darüber hinaus auch Kosten für neue Hardware. Vor diesem Hintergrund entschied sich die Kommune, den Einsatz von Open-Source-Software zu prüfen. Auf Basis einer Machbarkeitsstudien/studie der Beratungsfirma Soluzione entschied sich die 45000-Einwohner-Stadt für einen sanften Wechsel: Sie strebt nun einen langfristigen Umstieg auf Open Source an. "Durch den Wegfall der hohen Lizenzgebühren und die Weiterverwendung der stadteigenen Computer rechnet sich diese Umstellung bereits im ersten Jahr", freut sich Oberbürgermeister Bernhard Schuler.

Heidenheim will umsteigen

"Die Chancen für Leonberg stehen nicht schlecht, bei der Migration auf Linux Schwäbisch Hall zu überholen", meint Soluzione-Geschäftsführer Frank Rodà. Das Unternehmen berät auch die Stadt Heidenheim beim Aufbau eines Content-Management-Systems. "Wir haben uns das Ziel gesetzt, so weit wie möglich und wo sinnvoll auf Open-Source-Software umzusteigen", sagt der dort für Informations- und Kommunikationstechniken zuständige Geschäftsbereichsleiter Carsten Urban.

Doch Microsoft will sich den lukrativen Markt des E-Government, der dem Marktforschungsunternehmen Gartner zufolge von fünf Milliarden Euro im Jahr 2002 auf 19 Milliarden Euro im Jahr 2007 wachsen soll, nicht aus der Hand nehmen lassen und hat deshalb zum Beispiel ihr Government Gateway entwickelt. Diese Software wurde als Verbindungsstück für 200 zentrale und 480 lokale Behörden sowie für drei Millionen Firmen und 60 Millionen Einwohner in Großbritannien entwickelt. "Es handelt sich um eine Middleware, die der Verteilung elektronischer Informationen über heterogene IT-Systeme dient", erläutert Jürgen Gallmann, Geschäftsführer der deutschen Microsoft-Tochter. Besondere Funktionen seien sichere Authentifizierung und Autorisierung zur Nutzung spezifischer Dienste sowie einmalige Anmeldung (single sign-on) für alle Anwendungen. Letztere basiere nicht auf dem hauseigenen Verzeichnisdienst Active Directory, sondern auf einer neutralen Datenbanklösung mit XML- und SQL-Datensätzen entsprechend dem Nutzerprofil. Die Affinität zu Microsoft in britischen Kommunen wird dadurch gestärkt.

Frankfurt bleibt bei Windows

Auch die Stadt Frankfurt am Main hält die Umstellung auf Open Source offenbar für ein unnötiges Risiko. Oberbürgermeisterin Petra Roth und Microsoft unterzeichneten im Mai 2003 einen Rahmenvertrag über eine langfristige Zusammenarbeit. Frankfurt tritt damit dem im Jahr 2002 geschlossenen Vertrag zwischen Microsoft und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) bei. In der Vereinbarung mit dem DStGB wurden den Kommunen günstigere und flexiblere Konditionen für den Erwerb und die Nutzung von Microsoft-Produkten eingeräumt, beispielsweise ein Ratenkauf. "Wir erhalten damit nicht nur ein höheres Maß an Planungssicherheit. Auch unser Verwaltungsaufwand verringert sich erheblich, was zu einer Entlastung aller Dezernate führt", kommentiert Roth die Entscheidung pro Microsoft.


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