Gestaltung europaweiter Distributionsnetzwerke: Erfolgreich im Ausland vertreiben. Die Globalisierung schreitet voran. Das bringt Chancen, aber auch neue vertriebliche Herausforderungen. Eine länderspezifische Trennung der Logistik in Europa ist zwar heutzutage nicht mehr zwangsläufig erforderlich. Doch ein Unternehmen, das international erfolgreich sein will, braucht ein integriertes Distributionskonzept für ganz Europa, das besondere regionale Anforderungen berücksichtigt. Eine Distributionsstudie liefert dafür die notwendigen Informationen.
Autor: Jochen Kröber
Die europäischen Märkte wachsen zusammen. Das eröffnet Chancen für die Verwirklichung grenzüberschreitender Distributionslogistik. Handelsbarrieren fallen, früher länderspezifische Verordnungen weichen allgemeingültigen Standards und unterstützen so die Ausweitung der bisherigen Logistiksysteme.
Kernaufgabe für ein Unternehmen ist hierbei, das optimale Gleichgewicht zwischen Distributionskosten und Lieferservice zu finden. Dafür müssen Strategien und Konzepte entwickelt werden, die optimal auf die individuelle Situation angepasst sind und langfristig Gültigkeit besitzen. Dies geschieht in der Regel in einer Distributionsstudie, in der ein Unternehmen seine Distributionskosten und seinen Lieferservice überprüft und optimiert.
Tendenziell gilt: Ein steigender Zentralisierungsgrad führt zu geringeren Kosten, ein hoher Lieferservice hingegen ist meist nur mit hohen Kosten zu gewährleisten. Abhängig von Branche, Konkurrenzsituation und Kundenstruktur bestehen unterschiedliche Anforderungen an den Lieferservice. Wenn sich Produkteigenschaften und Preis nicht wesentlich unterscheiden ? wie es bei einem Großteil der IT-Produkte der Fall ist ? wird die Logistikleistung zum Kriterium der Kaufentscheidung: Der Kunde wählt meist das Produkt, das am schnellsten verfügbar ist. Lieferzeit und Lieferzuverlässigkeit sind die wesentlichen Wettbewerbsfaktoren, die über den Markterfolg des Unternehmens entscheiden.
Für eine Distributionsstudie muss ein Unternehmen eine auf seine Erfordernisse zugeschnittene Logistikstrategie für die jeweiligen Länder entwickeln. Neben Kunden- und Wettbewerbsanforderungen an den Lieferservice müssen sie Veränderungen von Sortimenten, Produktgruppen und Wachstumserwartungen ebenso berücksichtigen wie geplante Unternehmenszukäufe und Expansionspläne in neue Märkte. Erst wenn alle relevanten Einflussfaktoren vollständig erfasst und bewertet wurden, kann eine umfassende Logistikstrategie entwickelt werden.
Dabei kommt den Kunden- und Wettbewerbsanforderungen eine besondere Bedeutung zu, da eine neue Distributionsstruktur vor allem den bestehenden und zukünftigen Anforderungen an Lieferzeit und Verfügbarkeit genügen muss. In der IT wird häufig eine »Same Day«-Belieferung beispielsweise bei Austauschgeräten mit einer Lieferzeit unter acht Stunden gefordert oder eine »Overnight«-Belieferung. Das erfordert für Europa meist eine dezentrale Netzwerkstruktur. Die Ursache hierfür liegt hauptsächlich an der geringen oder nur eingeschränkten Planbarkeit des Absatzes, die zusätzlich mit einer hohen Dringlichkeit der Bestellung verbunden sein kann.
Bei der Definition möglicher Szenarien und ihrer späteren kostenmäßigen Bewertung muss die Ist-Situation im Unternehmen ausreichend bekannt sein und entsprechend berücksichtigt werden. Das gilt für alle relevanten Prozesse sowie alle Anforderungen und Restriktionen an die Logistik. Eine erst im späteren Verlauf des Projekts auffällige Anforderung kann viel der bis dahin geleisteten Arbeit mit einem Schlag zunichte machen.
Mit der Lieferzeit einher gehen die geforderte Bestellannahmezeit und die Cut-Off-Zeit, also die Zeit, bis zu der die Sendungen an das Transportunternehmen übergeben sein müssen, um eine Auslieferung innerhalb der geforderten Lieferzeit zu ermöglichen. Der Zusammenhang besteht darin, dass ein Auftrag beispielsweise bis 18 Uhr an das Lager gemeldet sein muss, um noch bis 20 Uhr versandfertig gemacht und an den Transport-Dienstleister übergeben werden zu können. Nur so kann dieser wiederum sicherstellen, dass er die übergebenen Pakete bzw. Ladungen innerhalb bestimmter Zeiten über ein Hub in das Transport-Netzwerk einschleust und pünktlich ausliefern kann.
Die Anforderung eines 24-Stunden-Lieferservice kann für Europa in der Regel nicht mit einem Zentrallager verwirklicht werden. Neben der reinen Entfernung liegt die Ursache darin, dass in vielen Regionen kein flächendeckendes oder reibungslos funktionierendes Liefernetz existiert. Viele sind noch zu stark auf nationale Grenzen ausgerichtet und noch nicht ausreichend entwickelt, um heutigen Leistungsstandards zu genügen. Dementsprechend müssen für eine reibungslose 24- oder 48-Stunden-Anlieferung derzeit fast zwingend mehrere regionale Läger in Spanien, Portugal, Süd-Italien, Großbritannien und Skandinavien unterhalten werden.
Trotz erheblicher Harmonisierungsfortschritte bestehen in Europa noch immer unterschiedliche politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Sie resultieren daraus, dass trotz Binnenmarkt die ökonomischen Voraussetzungen wie Investitionen, Vorschriften, Personalkosten, Steuern, Abgaben, Subventionen oder Genehmigungsverfahren noch längst nicht vollständig vereinheitlicht sind. Es bestehen zwar keine allzu großen Unterschiede zwischen den Ländern West-Europas, anders sieht es jedoch in Süd- und Südost-Europa aus. Zusätzlich wird die europäische Logistik durch die Nicht-Mitgliedschaft der Schweiz in der EU durch Verkehrsbeschränkungen und Zollabwicklung erschwert.
Bei der kostenmäßigen Bewertung unterschiedlicher Zentralisierungsgrade lassen sich vier hauptsächliche Kostengruppen identifizieren: Transport-, Bestands-, Infrastruktur- und Personalkosten. Die Transportkosten werden tendenziell um so geringer, je mehr Distributionsstandorte vorhanden sind. Dem gegenüber wachsen die Kosten für Bestand, Infrastruktur und Personal mit der Anzahl der Distributionsstandorte. Der optimale Zentralisierungsgrad lässt sich nun durch eine Gegenüberstellung dieser gegensätzlich verlaufenden Kosten ermitteln. Auf Basis seiner IST-Distributionskosten über ein Referenzjahr hinweg kann ein Unternehmen im Modell die Distributionskosten für verschiedene Alternativen und Szenarien für einzelne Länder und Regionen ermitteln und bewerten. Dabei werden beispielsweise geographische Unterschiede in der infrastrukturellen Erschließung ebenso berücksichtigt wie unterschiedliche Lohnkosten und Arbeitszeitregelungen.
Der Verlauf der Transportkosten hängt entscheidend von der Struktur des Transportaufkommens ab. Es erhöht sich nicht zwingend bei einer geringeren Anzahl an Distributionsstandorten. Für klassischen Stückgutverkehr besteht eine starke Abhängigkeit zwischen Transportkosten und zugrunde liegender Entfernung, da die Abrechnung üblicherweise nach gefahrenen Tonnenkilometern erfolgt. Demgegenüber sind die Preise für eine Paketsendung innerhalb Deutschlands in der Regel nicht entfernungsabhängig. Bei einer Zentralisierung entstehen somit auch keine steigenden Transportkosten für Paketsendungen. Geklärt werden muss jedoch, inwieweit strukturelle Änderungen (Mengenstruktur, Standort etc.) einen Einfluss auf die Höhe der Paketpreise haben.
Durch eine Zentralisierung verringern sich die Lagerbestände, da bei abnehmender Lageranzahl auch die Sicherheitsbestände kleiner werden. Gleichzeitig erhöht sich der Lagerumschlag durch die Aufteilung des Absatzvolumens auf die verbleibenden Standorte, die nach der Zentralisierung verbleiben. Somit werden einmal die Bestandskosten reduziert ebenso wie abhängige Kostenbestandteile und vor allem Handlings- und Flächenkosten.
Dieser Bestandseffekt stellt sich für eine europäische Distribution jedoch nur selten in der vollständigen Höhe ein, da sich die länderspezifischen Sortimente nur geringfügig überschneiden. Dafür sorgen europaweit nach wie vor uneinheitliche Normen, aber auch Marketingaspekte, die wegen länderspezifisch unterschiedlichem Käuferverhaltens zu national unterschiedlichen Produkten bzw. Varianten führen.
Infrastrukturkosten sind, neben regionalen Rahmenbedingungen, vor allem durch die Bestände im Lager und durch die Lagerprozesse und -funktionen bestimmt. Eine Zentralisierung kann beispielsweise dazu führen, dass Kapazitäten wie Handlings-, Bestands- und Sozialflächen, Lagertechnik und IT-Systeme gemeinsam genutzt werden.
Von wesentlicher Bedeutung ist außerdem, ob und in welchem Umfang bestehende Standorte weitergenützt und ausgebaut werden können und welche Investitionen für notwendige Erweiterungen oder den Bau oder Erwerb von neuen Lagerstandorten anfallen. Meist ist es nicht möglich, bisher genutzte Gebäude und Einrichtungen zum gewünschten Zeitpunkt zu verlassen: Bei gemieteten Objekten bestehen in der Regel langfristige Mietverträge; bei Objekten in Eigenbesitz würde ein fehlendes Nachnutzungskonzept hohe Abschreibungen verursachen. In der Praxis ergeben sich erfahrungsgemäß nur geringe Erlöse aus Immobilien- und Anlagenverkäufen aus der bestehenden Struktur.
Die zukünftigen Personalkosten können anhand von Leistungsvergleichen aus Referenzlagern in der bestehenden Struktur oder anhand externer Vergleichswerte ermittelt werden. Je nach Situation können Degressionseffekte zu beachtlichen Leistungssteigerungen führen.
Um echte Kostenvorteile zu erzielen, sollten bei jeder Zentralisierung die meist erhöhten Transportkosten durch die insgesamt geringeren Lagerhaltungskosten deutlich überkompensiert werden. Ein Unternehmen darf keinesfalls übersehen, dass auch die Umsetzung einer Zentralisierung weitere Kosten, wie für die Errichtung des zentralen Logistiksystems, Umzug, Sozialpläne und Abfindungen oder einmalige Abschreibungen, verursachen.
Der Autor ist Senior Consultant
bei Miebach Logistik in Frankfurt
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Mit Hilfe einer Distributionsstudie können also eindeutige Aussagen zu Anzahl und Standorte der Läger, zu Lagerfunktionen und einzusetzender Technik, zu Sortiments- und Bestandsstruktur sowie zur Transportabwicklung gemacht werden. Zusätzlich trägt solch eine Bestandsaufnahme und Bewertung in entscheidendem Maße zu einer Erhöhung der Supply-Chain-Transparenz bei. Schwachstellen durch Informationsdefizite, unwirtschaftliche Prozesse und Methoden, fehlende oder unzureichende Prozessunterstützung werden identifiziert. Und schon deren Beseitigung kann kurzfristig zu einer merklichen Steigerung der Wirtschaftlichkeit beitragen.
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