Gipfeltreffen läutet Ende der Digitalen Abhängigkeit ein
Angeführt von Deutschland und Frankreich hat sich die EU-Polit- und IT-Elite in Berlin getroffen, um die digitale Unabhängigkeit Europas voranzubringen. Auch Digitalminister aus nahezu alle anderen EU-Nationen waren vor Ort – mit positiven Absichtserklärungen. Über den Erfolg wird am Ende jedoch nicht zuletzt entscheiden, wie viel Geld zukünftig in europäische Lösungen fließt.
Dass der deutsche Bundeskanzler und der französische Premierminister zu einem Gipfeltreffen laden, um die digitale Abhängigkeit Europas von den USA zu beenden, war bis vor Kurzem schwer vorstellbar. Zu eng waren die transatlantischen politischen und diplomatischen Beziehungen. Hinzu kam eine große Portion Lethargie.
Seitdem Diplomatie und historische Beziehungen im Weißen Haus nicht mehr viel wert sind, scheint es nun allerdings auch mit der Lethargie vorbei zu sein. Spätestens als Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in den Haag, plötzlich nicht mehr auf sein Microsoft-Konto zugreifen konnte, dürften die Alarmglocken in den oberen Etagen der europäischen Politik geläutet haben. Denn die Sperr-Aktion des US-Konzerns wurde wohl auf Druck der US-Regierung initiiert.
Mittlerweile hat der Internationale Strafgerichtshof verkündet, dass man von Microsoft zu openDesk wechselt. Dabei handelt es sich um einen digitalen Arbeitsplatz, der unter der Leitung des Zentrums für Digitale Souveränität (ZenDiS) von mehreren europäischen Software-Herstellern auf Open-Source-Basis entwickelt wurde. Ursprünglich wurde openDesk in erster Linie als Lösung für die öffentliche Verwaltung entwickelt. Doch das ZenDiS hat kürzlich verkündet, dass mittels Partner und Lizenzen auch private Unternehmen von der europäischen Lösung profitieren sollen.
„Ob Europa es schafft, digital unabhängig zu werden, hängt vom politischen Willen ab“
Bereits im Vorfeld des EU-Digitalgipfels betonte der europäische Dachverband der Open-Source-Verbände (APELL) in einem offenen Brief, dass Europa durchaus über die Kapazitäten und das Talent verfüge, um digitale Technologien zu gestalten, die eine digitale Unabhängigkeit ermöglichen. Der offene Brief wurde von einer langen Liste an Verbänden und Unternehmen unterzeichnet, unter anderem auch vom deutschen Open-Source-Lösungsanbieter Open-Xchange. „Ob Europa es schafft, digital unabhängig zu werden, hängt letztlich vom politischen Willen ab, etwas zu ändern“, sagte Frank Hoberg, Co-Founder von Open-Xchange, auf dem Summit. „Jetzt geht es darum, starke Signale zu setzen und voranzugehen. Aufträge für Lösungen wie openDesk müssen jetzt bevorzugt erteilt werden. Wichtig ist dabei die Bereitschaft zu akzeptieren, dass etwas anders ist als zuvor“, so Hoberg. „Sonst wird sich nichts ändern.“
Wie es geht, zeigt sich gerade in Schleswig-Holstein, wo man unter der Leitung von Digitalisierungsminister Dirk Schrödter trotz einiger Widerstände eine Umstellung auf Open-Source-Lösungen vollzieht. Die Umstellung von 40.000 Postfächern mit insgesamt über 100 Millionen E-Mails und Kalendereinträgen von Microsoft Exchange und Outlook auf Open-Source-Lösungen wurde hier im Oktober nicht zuletzt aufgrund der großen Unterstützung aus der Politik erfolgreich abgeschlossen.
BDI-Präsident wünscht sich klare Botschaft – und bekommt sie
Die Tatsache, dass mit Deutschland und Frankreich die beiden größten europäischen Wirtschaftsmächte auf eine Trendwende drängen, lässt hoffen, dass Europa die Abnabelung von den USA gelingt. Vor allem bei wichtigen Punkten wie Künstlicher Intelligenz (KI), Cybersicherheit und Cloud-Lösungen gibt es allerdings derzeit noch großen Nachholbedarf. Laut Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), muss vom Digital-Gipfel daher die Botschaft ausgehen: „Europa erkennt seine Schwächen und wird sie strategisch angehen.“
Auf dem Gipfeltreffen sah es dann so aus, als wäre die Botschaft angekommen. „Von diesem Gipfel geht ein klares Signal aus: Wir Europäer können und wollen bei Schlüsseltechnologien zu den Spitzenreitern gehören“, versprach Bundesdigitalminister Dr. Karsten Wildberger in Berlin. Europa habe starke Unternehmen, das Können, die Kompetenzen und die kreativen Köpfe. „Deutschland und Frankreich wollen Motor für mehr europäische digitale Souveränität sein“, so der Digitalminister. „Dafür brauchen wir mutige Entscheidungen auf EU-Ebene: Mutige Reformen bei den Gesetzen zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz, den entschlossenen Abbau von Bürokratie und deutlich mehr Raum für Innovation.“
Frankreichs Digitalministerin Anne Le Hénanff zeigte sich in Berlin ebenfalls kämpferisch. „Heute bekräftigen wir, dass digitale Souveränität keine Kür, sondern eine Pflicht ist! Frankreich und Deutschland sind von dem Ehrgeiz getrieben, unsere Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen und unsere Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen – durch gemeinsame und anspruchsvolle Positionen beim Datenschutz, eine gezielte Vereinfachung der digitalen Regulierung und die Unterstützung eines starken europäischen digitalen Ökosystems“, so Anne Le Hénanff. „Gemeinsam schaffen wir die Voraussetzungen für eine sichere und ambitionierte digitale Zukunft Europas.“
Gemeinsam – und mit mehr Geld – kann es klappen
Damit die Aufholjagd gelingt, ist es jedoch essentiell, dass nicht nur Deutschland und Frankreich, sondern idealerweise alle europäischen Länder an einem Strang ziehen. Diese Erkenntnis scheint auch in der Politik angekommen zu sein. Denn neben Bundesdigitalminister Karsten Wildberger sowie Frankreichs Digitalministerin Anne Le Hénanff waren auch 23 weitere Digitalminister aus der EU vor Ort auf dem Summit.
Das stimmt hoffnungsfroh. Doch am Ende wird es nicht zuletzt darauf ankommen, dass auch wesentlich mehr Geld in europäische Lösungen fließt. Solange weiterhin Milliarden-Beträge allein für Software-Lizenzen in die USA fließen, europäische Unternehmen dagegen mit niedrigen Millionensummen auskommen müssen, dürfte es schwierig werden mit der digitalen Unabhängigkeit in Europa.
Tillmann Braun ist freier Journalist.