Meinung: Pillen bald vom Wühltisch?

6. Mai 2004, 0:00 Uhr | Markus Bereszewski

Meinung: Pillen bald vom Wühltisch?.   Jörg Medelnik ist General Manager von Dendrite International für Deutschland, Österreich, Schweiz.  Foto: Dendrite International   Der Pharmaindustrie dämmert es allmählich: Die Zeiten der fetten Marg ...

Meinung: Pillen bald vom Wühltisch?

Jörg Medelnik ist General Manager von Dendrite International für Deutschland, Österreich, Schweiz.

Foto: Dendrite International

Der Pharmaindustrie dämmert es allmählich: Die Zeiten der fetten Margen sind vorbei. Noch sträuben sich die Interessensverbände gegen weitere Einschnitte im Gesundheitsmarkt. Doch angesichts knapper Mittel wird der Gesetzgeber die Kassenleistungen voraussichtlich weiter einschränken. Mit der Aufhebung der Preisbindung für re-zeptfreie over-the-counter (OTC) Medikamente können die Apotheker schon jetzt Arzneimittel zu niedrigeren Preisen anbieten. Preisschlachten werden vor allem die etablierten Marken zu spüren bekommen. Damit sind Apotheker und die Patienten selbst als Kunden in den Fokus gerückt. Auch Drogeriemärkte und Einzelhändler haben sich bereits in Stellung gebracht. Die Gerüchte um eine Übernahme der Internet-Apotheke Doc Morris durch Karstadt-Quelle belegen ein Interesse der großen Handelsketten am Pharmamarkt. Die Arzneimittelhersteller müssen sich jetzt völlig neu orientieren.

Es führt kein Weg an IT vorbei

Im Kampf um Image und Marktanteile setzt die Pharmaindustrie zunehmend auf das IT-gestützte Customer Relationship Management (CRM). Schätzungsweise 70 Prozent der Unternehmen überlegen, eine CRM-Lösung einzuführen oder haben sie bereits implementiert. Es fällt ihnen aber noch schwer, sich vom produktorientierten Denken gänzlich zu verabschieden. Daran führt aber kein Weg vorbei. Bei der Image- und Kontaktpflege zielen die meisten Unternehmen nach wie vor auf die verschreibenden Ärzte ab. Mit Hilfe von CRM soll der Außendienst effektiver gestaltet und durch klassische Marketingmaßnahmen wie Telemarketing und Mailings flankiert werden. Im Vergleich dazu werden Apotheker und Patienten gegenwärtig noch kaum in die Kampagnen einbezogen. Das ist riskant, denn als Reaktion auf die steigenden Zuzahlungen für Medikamente und der neu eingeführten Praxisgebühr ist mit einer Zunahme der Selbstmedikation zu rechnen. Gerade im OTC-Markt spielen die Apotheker als Gesundheitsberater eine Schlüsselrolle. Wenn die Europäische Union wie geplant das Verbot, direkt bei den Patienten zu werben, lockert, werden sich auch im Markt für verschreibungspflichtige Medikamente Verschiebungen ergeben.

Pharmaspezifische CRM-Lösungen

Damit folgt der deutsche Pharmamarkt einem Trend, der in den USA schon seit geraumer Zeit zu beobachten ist. Jenseits des Atlantiks hat sich ein ganzer Dienstleistungssektor auf die neuen Bedürfnisse der Pharmaindustrie spezialisiert. Neben pharmaspezifischen CRM-Lösungen werden dort auch Datenbanken mit präzisen Informationen zu Ärzten und Kliniken sowie Serviceleistung zur Identifizierung von Meinungsbildnern und Multiplikatoren innerhalb der Ärzteschaft angeboten. In Europa gibt es bereits ähnliche Services, wie zum Beispiel den Datenpool Pharbase mit rund 300000 tagesaktuelle Adressdaten zu Ansprechpartnern aus dem deutschen Gesundheitswesen. Dass wie in den USA auch die Krankenversicherungen Daten zur Verfügung stellen, werden die deutschen Datenschützer zu verhindern wissen. Es ist vielmehr damit zu rechnen, dass der Einsatz von CRM und klassischen Marketinginstrumenten weiterhin durch eine Fülle von gesetzlichen Vorschriften reglementiert wird. Und nicht nur das. Der Umgang mit Daten erfordert ein besonderes Fingerspitzengefühl sowie ein Höchstmaß an Datensicherheit, insbesondere dort, wo Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Patienten möglich sind.

Die Macht der Verbände bröckelt

Ob Ärzte, Apotheker und Patienten bereit sind, an Kundenbindungsmaßnahmen teilzunehmen wird sich zeigen. Die Tabletten vom Wühltisch wird es wohl nicht so schnell geben. Doch sollte dies nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Macht der Verbände dort bröckelt, wo angesichts leerer Kassen die Kompromissfähigkeit der Politik weiter schwindet. Schon jetzt belastet die im Januar in Kraft getretene Gesundheitsreform die Pharmaindustrie um rund drei Milliarden Euro pro Jahr. Für die Pharmaunternehmen führt kein Weg daran vorbei: Sie müssen nicht nur ihre Kosten senken, um wettbewerbsfähige Produkte anbieten zu können. Sie müssen zusätzlich CRM als Unternehmensphilosophie etablieren, um dem Informationsbedürfnis ihrer Kunden entsprechen zu können.


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