Mit Bauch und Rechner hochrechnen

15. September 2005, 0:00 Uhr |

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Mit Bauch und Rechner hochrechnen (Fortsetzung)

Auf die Feinheiten kommt es an
»Wahlforschung kann man nicht studieren «, erläutert Diplom-Volkswirt Matthias Jung, Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, »nicht einmal gescheite Lehrbücher gibt es.« Dafür jede Menge individuelles Know-how, das die elitäre Gemeinschaft der Urnen-Auguren im laufe der Jahrzehnte zusammengetragen hat. »Unsere Mitarbeiter sind alle gute Empiriker«, sagt Matthias Jung, »das ist wichtiger als alle Theorie, denn die mathematischen Grundlagen sind eigentlich trivial.» Ein wenig statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung, das war?s. Doch auf die Feinheiten kommt es an.
Die Institute verwenden eine besondere Form der statistischen Verfahren, der Regressionsanalyse, bei der immer wieder eine Schätzung mit dem realen Ergebnis, also der erfolgten Wahl, verglichen wird. So ergibt sich für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein erstaunlich präzises Bild des Wählerverhaltens. Allerdings gibt es nicht nur ein Modell, sondern jeweils verschiedenen Varianten mit geringfügig unterschiedlichen Parametern. Unterschiedliche Modelle ergeben auch bei gleichem Datensatz unterschiedliche Ergebnisse, erläutert Matthias Jung, »welches wir auswählen, entscheiden wir aus dem Bauch heraus.« Forsa macht zur IT-Infrastruktur keine Angaben. »Wir sind von der Wahl mitten in der Urlaubszeit überrascht worden«, sagt Frau Löffler von Forsa, »es ist niemand da, der Fragen beantworten könnte.«
Zwischen den Wahlen ist das Telefon der wichtigste Arbeitsgegenstand der Wahlforscher. An 300 bis 600 Telefonarbeitsplätzen sammeln Mitarbeiter die aktuelle Stimmungslage des Volkes ein. Am Wahltag schwärmen die Meinungsforscher dann aus. Quer über das Land warten Korrespondenten in ausgesuchten Stimmbezirken auf Wähler. Infratest Dimap ist an 800 bis 900 Orten vertreten, die Forschungsgruppe Wahlen begnügt sich mit einer Stichprobe von 250 Bezirken. Selbstverständlich gibt es zwischen infratest- dimap, der Forschungsgruppe und Forsa keinen Datenaustausch. Schließlich konkurriert man miteinander um die beste Prognose und die schnellste Hochrechnung. Gefragt wird nicht nur nach dem Ort, an dem der Wähler sein Kreuz gemacht hat, sondern auch nach Geschlecht, Alter Religions- und Gewerkschaftsmitgliedschaft sowie Beruf und Schulbildung sowie nach der Häufigkeit des Kirchganges.
»Ein Katholik der häufig in die Kirche geht, wählt zu 75 Prozent CDU, ein Arbeiter der Gewerkschaftsmitglied ist, macht mit derselben Wahrscheinlichkeit sein Kreuzchen bei der SPD«, erläutert Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Immer mehr spontane Wechselwähler
Zum Leidwesen der Demoskopen nimmt die Gruppe der klar zuzuordnenden Wähler dramatisch ab. Immer mehr Urnengänger gehören dem Typ spontaner Wechselwähler an. Eine Wählerspezies, die selbst wenige Tage vor der Wahl noch nicht darüber entscheiden hat, ob sie an der Wahl teilnimmt, und wen sie wählt. Die Meßlatte liegt trotzdem unverändert hoch. Selbst hinter dem Komma sollen die Hochrechnungen korrekt sein, trotz Wechselwählern und mangelndem Kirchgang. Trotzdem kann es auch diesmal wieder zum »Stoiber Effekt« kommen. Bei der letzten Bundestagswahl lag der Bayerische Ministerpräsident bei der ARD zunächst klar in Führung und wurde doch geschlagen. Die Wahlprognostiker kommen mit erstaunlich wenig Rechenleistung aus. Zu Zeiten von Infas ratterten noch Mainframes, ab 1986 setzte man dann allerdings schon auf eine Client- Server-Lösung mit Macintosh Grafik. Heute genügen Standard PCs, die zu einem Rechnernetz verknüpft sind. »Jeder Feld-, Wald- und Wiesen-PC hat genug Leistung, um eine Hochrechnung zu bewältigen«, erläutert, Stefan Krüger. »Worauf es ankommt, ist die Erfahrung und eine gute Datenbasis.« Diese liegt bei Infratest-Dimap auf einer unter Smalltalk programmierten Versant-Datenbank. Das Rechnernetz läuft unter dem Betriebssystem Windows NT. Von zwei Dutzend PC-Arbeitsplätzen aus versorgen Mitarbeiter die Datenbank mit frischen Umfragen. Kommt es zum Schwur, errechnet die Datenbank anhand eines statistischen Modells eine Wahlprognose.

Die Forschungsgruppe Wahlen vertraut noch auf ein Novell-6-Netzwerk. Irgendwann wird man migrieren müssen, das weiß man dort. Bei Infratest-Dimap hat man auch schon entschieden. Ab 2006 zieht Microsofts Dotnet ein. »Es wird einen parallel Betrieb geben«, erläutert Stefan Krüger. »Der Übergang von Novell/Macintosh auf Microsoft NT Client Server auf Microsoft NT hat 1997 viel Kraft gekostet« erinnert er sich. Diesmal hoffen Krüger und seine Mitarbeiter auf einen problemlosen Rutsch in die Zukunft.


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