Pro: Hysterie ist völlig fehl am Platz

22. April 2004, 0:00 Uhr |

Pro: Hysterie ist völlig fehl am Platz. RFID - vier Buchstaben erhitzen in der IT-Welt derzeit viele Gemüter.

Pro: Hysterie ist völlig fehl am Platz

Sichtbarer Mehrwert mindert Bedenken gegen RFID, meint Axel Bülow, CIO bei der SAP Systems Integration AG.

Foto: SAP Systems Integration AG

Den einen gilt Radio Frequency Identification als Heilsbringer-Technologie, die alle unternehmensinternen und -übergreifenden Geschäftsprozesse von kostspieligem Ballast befreit und auch private Verbraucher in den Genuss beispiellos komfortabler und persönlicher Einkaufserlebnisse bringt. Manch anderer hingegen zeichnet bereits in schaurigsten Bildern griffige "Big-Brother-Szenarien". Vielen Datenschützern gilt RFID als der entscheidende Dolchstoß, mit dem ein Geheimbund aus gedankenlosen Forschern und mächtigen Unternehmen der Privatsphäre der Menschen endgültig den Garaus macht.

Angesichts einer derart überhitzten Debatte ist es wohl dringend angeraten, sich dem Thema mit vorsichtigem Realismus zu nähern. Wer sich nämlich die aktuellen RFID-Pilotprojekte genauer ansieht, erkennt: Der Fokus liegt eindeutig auf der Optimierung von Geschäftsprozessen, die private Verbraucher und deren Datenschutzbelange überhaupt nicht tangieren.

Logistik birgt Einsparpotenziale

Gängigstes, weil viel versprechendstes Einsatzgebiet ist bisher die Kennzeichnung von Verpackungseinheiten wie etwa Containern, Paletten, Gasflaschen oder Kartons mit den berührungslos über Entfernungen von bis zu 20 Metern ablesbaren Tags: Am Wareneingang und -ausgang ersetzen vollautomatisch arbeitende RFID-Lesegeräte herkömmliche Barcode-Scanner. Dass auf diese Weise entlang der Logistikkette tatsächlich noch erhebliche Einsparpotenziale zu realisieren sind, zeigt das massive Interesse von Unternehmen wie Wal-Mart, Gillette, Metro sowie Procter and Gamble an der Technologie. Aber auch über die eigentliche Supply Chain hinaus ergeben sich für viele Betriebe bereits heute sinnvolle Einsatzoptionen für RFID. So beginnen beispielsweise erste Unternehmen, ausgewählte hochwertige Güter mit so genannten Smart Items auszustatten. RFID-Chips agieren dann beispielsweise als individuelles Gedächtnis einer Feuermeldeanlage. So sind Service-Techniker bei der regelmäßigen Wartung in der Lage, die Konfiguration des Geräts ebenso schnell auszulesen wie die Reparaturhistorie.

RFID auf B2B beschränkt

Kurzum: Der derzeitige Stand der RFID-Technologie macht deren Nutzung fast ausschließlich in Szenarien sinnvoll, bei denen es um Effizienzsteigerung innerhalb unternehmensinterner Abläufe und Business-to-Business-Prozesse (B2B) geht. Der flächendeckende Einsatz der berührungslos ablesbaren Tags auf jedem einzelnen Produkt ist noch ungewisse Zukunftsmusik. Das ist einfach eine Frage der Verhältnismäßigkeit: Noch stehen die Kosten, um RFID-Chips zu fertigen und anzubringen, bei geringwertigen Gütern in keiner Relation zum Produktpreis. Bei einem Sakko mögen sie nicht ins Gewicht fallen, eine Tube Zahnpasta aber würden sie erheblich verteuern.

Für den Durchbruch der RFID-Technologie im Business-to-Consumer-Umfeld (B2C) sind also noch erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich. Über die Frage der reinen Produktionskosten hinaus sollte es vor allem darum gehen, Kundenwünsche nach besserem und individuellerem Service zu befriedigen. Schließlich dürfte auch für RFID gelten: Einzug in unser Alltagsleben finden nur solche Technologien, die sehr deutlich machen, dass ihr Nutzen größer ist als ihre etwaigen Risiken. Das beste Beispiel für diese These liefert die Kreditkarte: Kaum jemand erinnert sich noch daran, mit welch erheblicher Skepsis und massiven Sicherheitsbedenken viele Menschen dieser Innovation begegnet sind. Mittlerweile dürfte sich in fast jeder Brieftasche eine Kreditkarte befinden - ganz einfach deshalb, weil das Gros der Verbraucher deren Komfort als elementarer wahrnimmt als das Missbrauchsrisiko.

Ganz ähnlich dürfte sich auch die weitere Verbreitung der RFID-Technologie vollziehen. Natürlich ist es theoretisch möglich, auf RFID-Chips gespeicherte Informationen unbefugt einzusehen. Aber der technische Aufwand für einen solchen Datenmissbrauch ist erheblich - weitaus größer zumindest als der vermeintliche Nutzen, den er Kriminellen liefert. Zudem bieten andere Technologien wahrlich mehr Ansatzpunkte, um "Big-Brother-Szenarien" wahr werden zu lassen: Um die Wege von Menschen lückenlos zu verfolgen, eignet sich die Ortung von Mobiltelefonen sicherlich eher als auf 20 Meter beschränkte RFID-Lesegeräte.

Verbraucherinteresse im Vordergrund

Noch stecken Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet in den Kinderschuhen. Gelingt es aber, das vorhandene Potenzial zu erschließen, schafft RFID eine echte Win-Win-Situation für Unternehmen und deren Kunden. Mit dem gläsernen Menschen hat das wenig zu tun, sondern einfach mit einem vorbildlich bedienten Verbraucher.


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