Tech Data-Zentraleuropachef Andreas Dürst hat Konzern verlassen: »Ich gehe mit erhobenem Kopf«. Die Personalie kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Andreas Dürst verlässt Tech Data. Zwei Monate hat der Zentraleuropachef mit sich gerungen. Dann zog er die Konsequenzen. CRN sprach mit Dürst über seine Beweggründe und die Situation in der Branche.
Warum wirft jemand das Handtuch, der »Spaß an dem Superjob hatte«, dem »die Firma viel gegeben hat«, der »viele gute Leute verlässt«, die an ihn geglaubt haben, »für die ich ein gewisser Garant war«? Ist es die Verlockung von noch mehr Geld und Macht, ist es Überheblichkeit, vielleicht auch Ausgebranntsein oder einfach nur die Erkenntnis, mit den eigenen Ansprüchen im Unternehmen am falschen Platz zu sein?
Andreas Dürst, Schweizer bis zur letzten Haarspitze ? die Mutter stammt aus dem Tessin, der Vater aus den Glarner Bergen ?, hält es mit ein paar einfachen Grundsätzen: Gradlinigkeit und Offenheit., konsequentes Handeln und das Wissen, dass es die Mitarbeiter sind, die ein Unternehmen leben lassen. Damit gibt er keinesfalls den von Börsianern so geliebten knallharten Manager ab. Obwohl Dürst, 44 Jahre alt, in seinen 20 Berufsjahren sehr wohl hat lernen müssen, worauf es ankommt. Und, wie er selbst zugibt, hat lernen müssen, »dass diese Branche mehr als andere Branchen eine knallharte Branche ist, in der sehr viel Geld bei kleinsten Gewinnmargen bewegt wird«. Das nötigt ihm nicht nur Respekt, sondern konsequentes Handeln ab. Darum habe er »sehr viel Verständnis für das Antizipieren von Problemen und Reagieren, bevor die Probleme überhaupt da sind«. So kann er einerseits vor sich selbst auch schwere und harte Entscheidungen verantworten; andererseits ist er aber auch selbst bereit, Opfer zu bringen.
Dieses unternehmerische Denken und Führen vermisst er vor allem bei börsennotierten Konzernen. Da werde häufig nur kurzfristig agiert, seien Mitarbeiter zuerst Kostenfaktoren. Zudem stünde deren Top-Management ständig unter dem Druck der Aktionäre. Aus diesem Grund »halten vor allem US-amerikanische Unternehmen den unternehmerische Freiraum des Managements sehr klein«. Mit dieser Kritik steht er nicht allein. Der Quartalsdruck bereitet vielen Managern Unwohlsein. Auch in der Distribution gibt es immer wieder Abgänge, die diese kurzsichtige Denkweise nicht länger mitmachen wollten, die erkannt haben, dass die so genannte »Wallstreet Logic« und mit ihr Hauptaktionäre und Analysten häufig zum Hemmschuh für lebendige Unternehmen werden. »Langfristige Konzepte werden von vornherein torpediert, negative Entwicklungen im Unternehmen müssen mit allen Mitteln kurzfristig vom Tisch.«
Dürst, der vier Jahre Walter Rentsch AG (heute Canon Schweiz), fünf Jahre DEC, fünf Jahre Lucent und jetzt fast fünf Jahre Tech Data hinter sich hat, kann auf reichlich Erfahrung im direkten und indirekten Vertrieb, im Channelmanagement und anderen Arbeitsbereichen zurückblicken. »Ich habe viele Dinge gelernt, die ich bei Tech Data nicht einsetzen konnte«, sagt er dazu, denn ein Distributor sei vor allem ein prozessorientierter Betrieb. Da seien viele seiner Fähigkeiten brach gelegen. Deshalb wünscht sich Dürst für die künftige Tätigkeit ein Unternehmen, bei dem er deutlich stärker seine Erfahrungen und Kenntnisse einbringen kann.
Dabei hat er allein während seiner Distributionsphase durchaus zeigen können, was in ihm steckt. »Das Arbeitstier«, wie ihn manche Mitstreiter aus unmittelbarer Nähe bezeichnen, strebte immer zielgerichtet nach vorn, ohne emotional aufzufallen. Bereits vor seinem Antritt als Regional Senior Vice President Central Region Anfang 2003 setzte Dürst bei Tech Data Schweiz die Migration von SAP R3 erfolgreich durch. Gleichzeitig musste er die schweizerische Gesellschaft aus dem Umsatz- und Ergebniskeller holen: mit Erfolg. Das hat in der Konzernspitze für Aufmerksamkeit gesorgt und ihn auf den Stuhl des Zentraleuropachefs befördert. In dieser Funktion kümmerte er sich später erfolgreich für die R3-Einführung in Deutschland und Österreich. Und Tech Data Deutschland selbst wandelte er »in die neue Tech Data um«, was heißen soll: wieder zurück zu den lange vernachlässigten SMB-Kunden. Allerdings gab es auch Wunden auf dem Weg zur »neuen Tech Data«. Deutschland-Geschäftsführer Martin Furuseth und Salesdirektor Mario Stollmeier verließen das Unternehmen, mit ihnen eine Reihe weiterer Mitarbeiter. Auf der Habenseite verbuchte Dürst Zugewinne: Er holte Traudl Dawidowitsch aus der Europazentrale ins Finanzressort der deutschen Gesellschaft, holte Marcus Adä von der Tech Data Midrange ins Frontoffice des Broadline-Distributors.
Der entscheidende Zeitpunkt für Dürsts Ausstieg war im Juni dieses Jahres erreicht. Ein schwacher Monat Mai lag hinter Tech Data Deutschland ? und nicht nur hinter Tech Data. Es musste gegengesteuert werden. »Da merkte ich, dass ich weniger unternehmerische Freiheit habe, als ich benötige«, stellt er dazu nur fest. Die Folge: Dürst grübelte drei Monate lang darüber, ob und wann der richtige Moment für einen Ausstieg gekommen ist. Dabei weiß er, »dass es in meiner Position nie den richtigen Moment gibt, da man immer mit einer Auf- oder Ausbauphase beschäftigt ist«. Doch im August war »nach vielen schlaflosen Nächten« die Entscheidung gefällt. Die Restrukturierungen waren zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen, »ich konnte ohne schlechtes Gewissen die Funktion abgeben«. Deshalb könne er auch »mit guten Gefühlen rausgehen, ohne Ressentiments, mit erhobenem Kopf«.
Trotz kontroverser Ansichten über die Bewältigung von Krisen oder Schwächen ist Dürsts Ausstieg auch vom Konzern-Management bedauert worden. Mit seinem Ausstieg wird Tech Data einmal mehr auf die Suche nach einem Top-Manager gehen. Ob noch in diesem Jahr ein Nachfolger gefunden wird, dürfte fraglich sein; dazu ist diese Funktion zu komplex. Bis zu einer Lösung werden Europachef Gerard Youna die DACH-Region und Südeuropachef Alain Amsellem Tschechien und Polen kommissarisch verantworten. Für seinen Nachfolger gibt Dürst mit auf den Weg: »Orientiere dich an den Leuten, denn es sind die Menschen, die das Geschäft ausmachen. Sorge dafür, dass im Geschäft Konstanz, Gradlinigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit vorherrschen. Gerade das braucht diese Industrie.« Er selbst wird, wenn er Ende September alles übergeben hat, nach einem neuen Arbeitgeber Ausschau halten. »Die Größe des Unternehmens spielt keine Rolle. Wichtig ist die Aufgabe und die unternehmerische Freiheit, um längerfristige Konzepte durchziehen zu können.«