Verwaltung schlank getrimmt

19. Mai 2004, 0:00 Uhr |

Verwaltung schlank getrimmt. Eine IT-Landschaft mit isoliert nebeneinander bestehenden Systemen erzeugt unnötige Kosten. In den Berliner Verwaltungen soll eine gemeinsame Diensteplattform diese Situation beenden.

Verwaltung schlank getrimmt

Der Berliner Liegenschafts-Informations-Service führt als erste Anwendung Daten über die VeZuDa-Architektur aus unterschiedlichen Fachanwendungen zusammen.

Quelle: Fraunhofer Institut FOKUS

In den Berliner Verwaltungen sind im Laufe von über 30 Jahren zahlreiche Fachanwendungen isoliert voneinander entwickelt worden. Sie arbeiteten unabhängig an verschiedenen Standorten. Anwendungsübergreifende Informationen standen nicht zur Verfügung. Ein Beispiel: Bei der Liegenschaftsverwaltung waren potenzielle Investoren und Verwaltungsangestellte auf der Suche nach Grundstücken oder Gebäuden mit bestimmten Eigenschaften dazu verdammt, Informationen mühsam aus dem Liegenschaftsbuch und aus der Liegenschaftskarte heraus zu suchen und die Auswertung selbst vorzunehmen. Die bestehenden IT-Systeme mit inkompatiblen Datenbeständen boten keine Arbeitserleichterung. Zusätzlich erzeugten eine redundante Datenhaltung sowie inkompatible Datenbestände hohe Kosten. Die Entwicklung von neuen Applikationen begann immer wieder bei Null, da wieder verwendbare Komponenten fehlten.

Dieser Missstand fiel bereits Mitte der 90er Jahre in verschiedenen Teilen der Berliner Verwaltung auf. E-Government stand noch in den Kinderschuhen, und das Potenzial, Kosten zu vermeiden und den Service für Kunden und Mitarbeiter zu verbessern, lag vielerorts brach.

Diensteplattform als Basis

Aus dieser Situation heraus formulierte die Senatsverwaltung für Inneres Mitte der 90er Jahre das Projekt "Vereinheitlichung beziehungsweise Zusammenführung der verschiedenen Datenstrukturen in der Berliner Verwaltung" (VeZuDa).

Zunächst gab es die Vorstellung, ein einheitliches Datenmodell von allen IT-Systemen Berlins zu erstellen. Allerdings wurde dieser zentrale Ansatz aufgrund der föderativen Struktur bald zugunsten einer verteilten Lösung fallen gelassen. Da die Datenbestände über viele Behörden örtlich verteilt sind, wurde eine VeZuDa-Architektur erarbeitet. Diese dient zum Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Verwaltungseinheiten und beschreibt, wie unterschiedliche Datenbestände den Behörden über eine einheitliche Plattform wechselseitig und landesweit zugänglich gemacht werden können.

Bei der Entwicklung dieser Architektur war das Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS engagiert. Weitere Projektpartner waren T-Systems, IKV++ Technologies, PSI, Condat sowie IVU Traffic Technologies. An dem mehrstufig seit Mitte der 90er Jahre laufenden Projekt waren und sind mehrere Teile der Berliner Verwaltung wie unterschiedliche Senatsverwaltungen, Landesämter und der Landesbetrieb für Informationstechnik beteiligt.

Kooperation der IT-Systeme

Die VeZuDa-Architektur unterstützt ein einheitliches Management von Diensten, Nutzern, Rollen sowie Vertragsbeziehungen und die Zusammenarbeit von Fachverfahren. Dabei schreibt sie keine konkreten Technologien vor und ist plattformunabhängig.

Gegenwärtig gibt es zwei Alternativen: Zur Verfügung steht die Diensteplattformen Enago der IKV++ Technologies, einem Spin-Off von Fraunhofer FOKUS, und Pagus der Deutschen Telekom. Derzeit ist in Berlin Pagus im Einsatz. Diese Integrationsplattform läuft auf den Betriebssystemen von Hewlett-Packard und Sun, während Enago vorwiegend für Linux und Windows entwickelt wurde.

Zur Verbindung der unterschiedlichen IT-Welten nutzen sowohl Enago als auch Pagus die standardisierte objektorientierte Middleware Common Object Request Broker Architecture (CORBA). Sie wurde von Object Management Group (OMG) entwickelt und definiert plattformübergreifende Protokolle und Services. Diese ermöglichen das Erstellen von verteilten Anwendungen in heterogenen Umgebungen. �ber eine XML-Schnittstelle erfolgt der Zugriff auf die strukturell und technologisch sehr unterschiedlichen Datenbestände. Zusätzlich genutzt wurden auch objektorientierte Technologien wie Unified Modeling Language (UML), Java und C++.

VeZuDa unterstützt als verfahrensübergreifende Architektur mit einer einheitlichen Schnittstelle den Zugriff auf beliebige Fachverfahren. Die Anwendungen bleiben dabei selbstständig. Angeschlossen werden können alle Dienste, die sich die erforderlichen Informationen und Daten über offene Schnittstellen aus den unterschiedlichen Fachanwendungen holen. Pagus als eine konkrete Umsetzung der VeZuDa-Architektur ist seit September 2003 im Probebetrieb. Eine endgültige Freischaltung ist ab April 2004 geplant.

Erster Dienst am Start

�ber eine einheitliche Benutzeroberfläche können Kunden nach Informationen zu Grundstücken in mehreren Fachanwendungen verschiedener Verwaltungsbereiche recherchieren.

Quelle: Fraunhofer Institut FOKUS

Der Berliner Liegenschafts-Informations-Service (BLIS) wurde als erster Dienst angeschlossen. Er führt die Daten von Fachverfahren wie Automatisierte Liegenschaftskarte (ALK), Automatisiertes Liegeschaftsbuch (ALB), Flächennutzungsplan (FNP) sowie Bodenrichtewertatlas (BRW) zusammen. Die früher umständlich händisch ausgeführte Auswertung der Daten übernimmt nun BLIS. Interessierte Investoren können bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Zugangsvertrag abschlie�en, der ihnen den Zugriff auf das System erlaubt.

�ber ein Bedienfeld im Browser können potenzielle Investoren etwa aus der Immobilienwirtschaft, Mitarbeiter aus Verwaltungen und Verkehrsunternehmen Suchanfragen eingeben. BLIS sucht dann in den einzelnen Datenbeständen mehrerer Fachanwendungen und stellt die Ergebnisse in einer Web-Anwendung bereit. Physisch bleiben die Daten dabei in der ursprünglichen Anwendung. Die Nutzer bekommen die zum Grundstück gewünschten Informationen wie Elektrizität, Bahnverbindungen und Wasserversorgung zur Ansicht auf den Bildschirm geliefert. Auch die Navigation in Karten ist möglich.

Dabei ist gesetzlich streng geregelt, wer über BLIS auf welche Daten zugreifen darf.

Auch die Benutzer- und Rechteverwaltung wird dabei über Pagus und die VeZuDa-Architektur fach- und verfahrensunabhängig realisiert. So kann sie von allen Diensten gemeinsam genutzt werden, und ein Nutzer verschiedener Dienste muss sich nur einmal authentifizieren. Weitere universell einsetzbare Komponenten der VeZuDa-Plattform sind:

Accounting/Billing: Abrechnung von Dienstnutzungen Zusammenfügen von Diensten und Fachverfahren Synchronisation der Dienstnutzung und Kooperation von Diensten Metadaten-Verwaltung: Zugriff sowie Nutzerprofile

Auch Unterstützungsdienste beziehungsweise fachneutrale Services wie ein Druck-, Verschlüsselungs-, und Koordinatenumrechnungsdienst lassen sich ohne gro�en Aufwand bereitstellen. Sogar eine Workflow Engine lässt sich als Service leicht in die VeZuDa-Plattform integrieren.

eGovernment-Export nach Brasilien

An ähnlichen Konzepten arbeiten auch die eGovernment-Verantwortlichen in Brasilien. Im Rahmen des Projektes Electronic Government Innovation and Access (eGOIA) sollen im Laufe von drei Jahren in São Paulo bereits vorhandenen eGovernment-Dienstleistungen basierend auf Internettechnologien angeboten werden.

Finanziert wird eGOIA von der Europäischen Union zur Förderung der Kooperation zwischen Europa und Lateinamerika im Rahmen der Alliance for the Information Society.

Derzeit stehen den Bürgern in São Paulo Serviceleistungen über ein weites Netz an Bürgerbüros, so genannten Poupatempos, zur Verfügung. Diese Services sind aber teilweise noch nicht in die IT-Landschaft integriert. Basierend auf den Erfahrungen aus Berlin, Deutschland und Europa sollen lateinamerikanische Bürger bald elektronische Dienste in e-Poupatempos nutzen können. Technologischer Kern von eGOIA ist die vom Fraunhofer FOKUS entwickelte Diensteplattform enago, die die Integration von vorhandenen und neuen Diensten ermöglicht.


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