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Würdelos

»Nacht der Berufe – Berufe der Nacht«, veranstaltete kürzlich die Münchner Arbeitsagentur. Dabei handelte es sich nicht etwa um eine Werbemaßnahme, mit der man Langzeitarbeitslosen Chancen im horizontalen Gewerbe vor Augen führen wollte.

Autor:Redaktion connect-professional • 15.11.2006 • ca. 1:15 Min

Es ging schlicht und ergreifend um Berufsinformationen für Jugendliche, die man heute offensichtlich nur noch dann für ihre Karriere interessieren und motivieren kann, wenn man sie im Partybus durch die nächtliche Landeshauptstatt karrt und an den Firmentoren potenzieller Arbeitgeber ablädt. Der Kotau vor dem Zeitgeist kommt gut an, die Idee hat Konjunktur und Zukunft. Das Veranstaltungsformat der »Langen Nächte« ist überhaupt die Innovation im Event-Business und wird, nachdem die Veranstalter die museal-musikalisch interessierte Klientel weitgehend abgegrast haben, sukzessiv auf weitere Bevölkerungsgruppen ausgedehnt und ausgebaut.

Die »Lange Nacht der Schuldnerberatung « in Berlin kam zuletzt ebenfalls so gut an, dass der dortige Einzelhandel das Konzept mit einem sinnvollen Power- Shopping-Ansatz verbinden will. Die »Lange Nacht des Shoppings« führt Konsumenten bis vier Uhr morgens in die Warenhäuser, bis sechs Uhr in der Früh in die Abteilungen Ratenkauf, anschließend geht es weiter zur großen Ausnüchterung in die Verbraucherzentralen, und noch rechtzeitig vor Sonnenaufgang steuern alle Busse dann die Amtsgerichte, Dienststellen Privatinsolvenz, an. Betreuung von der Wiege bis zur Bahre, oder wie Consultants gerne sagen: Komplette Abdeckung des Verbraucher-Life-Cycles! Das Event kann jetzt schon als rundum gelungen bezeichnet werden, weil man erstens nur im Kollektiv ungeniert eine Pleite hinlegt, und zweitens die rabenschwarze Nacht den Rest der Schamesröte bei so manchem Pleitier freundlich überdeckt.

Solche Vorteile sprechen sich schnell herum. Auch die zuletzt immer wieder kritisierten Manager kommen nun auf den Geschmack. In München, Sitz der meisten Dax-Konzerne, werden die Vorstandsvorsitzenden dort künftig zu gemeinsamen Nachtsitzungen laden. Im Schein diffuser Fackelbeleuchtung wird Siemens-Chef Klaus Kleinfeld am Odeonsplatz die »Lange Nacht der Restrukturierung « eröffnen. Dass er, wie seine Kollegen, dabei eine schwarze Kapuze über dem Kopf trägt, verleiht dem nächtlichen Event jenen würdevollen Rahmen, auf den deutsche Vorstandsetagen nicht verzichten wollen.