WAN-Strukturen im Umbruch: IP-Durchdringung wächst rasch

"Billigflieger" für Datenfernreisen

16. Dezember 2005, 0:15 Uhr | Stefan Mutschler/mw

Firmen sind heute oft weit verzweigt - je nach Zielmärkten entweder regional, national oder global. Die Synchronisation aller Niederlassungen, Geschäftsstellen und Büros erfolgt über Hochgeschwindigkeitsnetze, wie sie früher in Form von teuren Standleitungen beziehungsweise ATM- und Frame-Relay-Netzen das Privileg großer Unternehmen waren. IP-Technik macht die Kommunikationsschlagadern jetzt nicht nur erschwinglich, sondern auch schneller und flexibler.

Das IP-Protokoll scheint nach und nach ziemlich alles umzukrempeln, was in der IT mit
Kommunikation zu tun hat. Neben dem Internet selbst als seinem Stammterrain erobert es in
Riesenschritten die Tele- und nun eben auch die WAN-Kommunikation. Im LAN hat IP in Verbindung mit
Ethernet schon seit je her seinen Stammplatz – jedoch auch hier hat es sich in Bereiche
ausgebreitet, die traditionell von anderen Protokollen und Schnittstellen besetzt waren. Aktuelles
Beispiel ist die Anbindung von Speichersystemen und -netzen. Immer sind es dieselben zwei
Argumente, mit denen IP und Ethernet die Konkurrenten ausstechen: Einfachheit und günstiger Preis.
Dabei gilt Ersteres in Wirklichkeit heute nur noch bedingt, denn in vielen Bereichen ist IP nur das
"Trägerprotokoll", dem mitunter sogar recht aufwändig höherwertige Protokolle "aufmoduliert"
werden. So sind beispielsweise wahre Klimmzüge nötig, um das IP-Protokoll für Echtzeitservices und
Dienste mit garantierter Servicequalität zu befähigen.

Im WAN gewinnt IP mit dem Namen seiner Technologieverwandtschaft aus dem LAN zunehmend an Boden,
etwa als Metro Ethernet beziehungsweise Carrier Ethernet. Die Begriffe werden heute meist synonym
verwendet, obwohl Ethernet in Stadtnetzen bereits seit einigen Jahren im Einsatz ist und ihm eine
Reihe wichtiger Eigenschaften fehlen, die Carrier Ethernet als WAN-Technik bietet. Laut einer neuen
Studie von Infonetics Research sollen sich die weltweiten Umsätze mit Metro- beziehungsweise
Carrier-Ethernet-Equipment von 3,1 Milliarden Dollar im Jahr 2004 auf 7,6 Milliarden Dollar in 2008
mehr als verdoppeln. Das Marktvolumen in diesem Zeitraum würde sich nach den Infonetics-Ergebnissen
auf 26 Milliarden Dollar summieren. Im Ranking der Hersteller im Carrier-Ethernet-Markt liegt laut
Infonetics Cisco weit in Führung, gefolgt von Riverstone und Alcatel. Dabei ist Cisco erst kürzlich
auf den Terminus "Carrier Ethernet" umgeschwenkt – bis dahin sprach der Primus noch von Metro
Ethernet.

Mit dem anziehenden Verkauf von Carrier Ethernet Equipment soll nach den Prognosen einer anderen
Studie von Infonetics auch der Markt für Ethernet-Services einen deutlichen Schub erfahren: Er soll
zwischen 2005 und 2009 um 276 Prozent wachsen und mit 22,2 Milliarden Dollar ebenfalls ein Volumen
von klar über der 20-Milliarden-Marke erreichen. Wichtige Player wie SBC, Bell-South, Verizon, TW
Telecom, BT, France Telecom, KT, NTT, AT&T und weitere hätten bereits die Preise pro Bit für
Ethernet-Bandbreite gesenkt, was die Dynamik der Marktentwicklung noch zusätzlich anheizen
soll.

Schon im Frühjahr dieses Jahres veranschaulichte IDC mit einem Studienergebnis die herausragende
Vormachtstellung von Ethernet generell: Seit Entwicklung des Ethernet vor 32 Jahren seien rund drei
Milliarden Ethernet-Ports verkauft worden.

Ethernet wird globaler Standard

Verantwortlich für die Migration von Ethernet von einer LAN- zur WAN-Technologie zeichnet das
Metro Ethernet Forum (MEF), dessen Visionen sogar den Ethernet-"Vater" Bob Metcalfe begeistert
haben. Er ist dem MEF als Chefberater verbunden. Das MEF arbeitet an fünf Schlüsselfunktionen, in
denen das klassische Ethernet für den WAN-Einsatz zu ergänzen ist:

Skalierbarkeit,

Schutz,

Servicequalität (Quality of Service – QoS) auf Basis von Serviceverträgen,

TDM-Unterstützung (Time Division Multiplexing) und

Servicemanagement.

In jeder dieser Kategorien hat das MEF besondere Anforderungen und Spezifikationen entwickelt,
die Ethernet für Carrier erfüllen muss. Wo die geforderten Spezifikationen bereits durch Standards
der etablierten Standardisierungsgremien wie IEEE und IETF abgedeckt sind, hat sie das MEF in seine
Carrier-Ethernet-Definition mit einfließen lassen. Ein Beispiel ist die Kategorie Schutz: Neben
zwei MEF-Standards, die dort bei einem Verbindungsabbruch für Failover-Zeiten von maximal 50
Millisekunden (MEF 2) und durch ein Architektur-Rahmenwerk (MEF 4) für stabile Verbindungen sorgen,
ist hier als dritte Komponente das MPLS Fast Reroute-Protokoll der IETF integriert.

Auch die Kategorie Skalierbarkeit wird durch einen bereits bestehenden Standard gestützt – hier
der 802.1, der das Netzwerkmanagement in Lokal- und Weitverkehrsnetzen regelt. Ansonsten geht es in
den Definitionen MEF 4, 9 und 11 im Wesentlichen um das UNI (User-to-Network-Interface), das als
Übergabepunkt zwischen dem Netzwerk des Anwenders und des Carriers definiert ist.

Im Sommer dieses Jahres gab es auf der Supercomm 2005 in Chicago eine groß angelegte
Demonstration von Carrier-Ethernet-Produkten. Unter der Federführung des MEF zeigten 30
IT-/TK-Ausrüster den herstellerübergreifenden Praxiseinsatz aller derzeit elf technischen
MEF-Spezifikationen für Carrier Ethernet. In einem Breitbandszenario für Triple Play (Zusammenspiel
von Internet, Telefonie und Fernsehen beziehungsweise allgemein Daten Sprache und Video auf
derselben Breitbandverbindung) wurden acht Applikationen gezeigt, die einen plastischen Einblick in
den derzeitigen Stand der Entwicklung von Carrier Ethernet vermittelten. Dazu zählten der
Internet-Access mit garantierter Bandbreite (Iometrix, Telix, Tpack), Emulation von
Leitungsvermittlung (Axxera, RAD, Resolute, Transwitch), servicesensitive Infrastrukturen
(Corrigent, Riverstone, Tellabs, Cisco, Ixia), Carrier Ethernet bis in den Access (Adva Optical,
Omnitron, Metrobility, Hatteras), IP-TV (Extreme Networks, Diatem, Alcatel, Spirent), Multi-Gigabit
Internet Access (Luminous, Sunrise, World Wide Packets), Voice over IP (Nortel, Telco, Agilent) und
konvergierte Breitbanddienste (Atrica, Fujitsu, Shenick, Covaro).

Mitte September dieses Jahres fand erstmals der "Metro Ethernet World Congress" statt.
Interessanterweise feierte diese wichtigste Veranstaltung ihr Debüt in Berlin, wo mit dem European
Advanced Networking Test Center (EANTC) gleichzeitig das erste europäische Zertifizierungsinstitut
die Aufnahme seiner Arbeit als MEF-Instanz ankündigte. Das EANTC trat auch als Veranstalter des
Kongresses auf. Wichtigster Sponsor war neben dem MEF die deutsche T-Systems. Auch die Deutsche
Telekom hat also Angebote auf Metro-Ethernet-Basis in petto. Ähnlich wie in Chicago gab es auch in
Berlin einen Interoperability Showcase – wenn auch mit zwölf Firmen in etwas kleinerem Rahmen.
Beteiligt waren hier Actelis, Agilent, Alcatel, Cisco, Ixia, RAD, Riverstone, Shenick, Siemens,
Spirent, Stratex Networks und T-Pack.

Seit Berlin gab es bereits eine weitere Ankündigung des MEF: Auf der Ethernet Expo in New York
Mitte Oktober verkündete Bob Metcalfe den Start der zweiten Phase des
MEF-Carrier-Ethernet-Zertifizierungsprogramms, das die Zertifizierung auf die Angebote von
Service-Providern ausdehnt. Mit der seit April laufenden Phase Eins wurden ausschließlich Systeme
und Ausrüstung untersucht. Auf diesem Sektor wurden bislang rund 40 Systeme als MEF-kompatibel
getestet, wobei die Zahl inzwischen recht rasch nach oben klettert. Ende Oktober hat beispielsweise
allein Cisco für zehn seiner Carrier-Ethernet-Produkte die "Metro Ethernet Forum Certifications"
erhalten. Die entsprechenden neuen Produkte für IP Next Generation Networks (IP NGNs) zielen
darauf, Service-Providern die Erschießung zusätzlicher Marktsegmente zur Differenzierung vom
Mitbewerb zu erlauben. So sollen Service-Provider ihren Kunden damit marktfähige VPNs (Virtual
Private Networks) auf Layer 2 und 3 genauso anbieten können wie integrierte Daten-, Sprach- und
Video-Dienste.

Eine der technologischen Kreativschmieden in Sachen Carrier Ethernet ist der in Deutschland noch
wenig bekannte US-Hersteller Yipes. Das Unternehmen hat vergangenen September globale
Multipoint-Ethernet WAN-Lösungen auf VPLS-Basis (Virtual Private LAN Service) vorgestellt. Im Kern
kombiniert die VPLS-Technologie die Vorteile des Ethernet mit denen des Multi-Protocol Label
Switching (MPLS). Damit erlaubt VPLS skalierbare Multipoint-to-Multipoint switched
Ethernet-Services, die mehrere Standorte mit einer Anbindung an ein einziges gemeinsames
Ethernet-LAN ausstatten – und das auf globaler Ebene. Um ein vollständig vermaschtes MPLS-Netz mit
LSPs (Label-Switched Paths) aufbauen zu können, über das alle Yipes-Ethernet-WAN-Services auf Layer
2 arbeiten, nutzt Yipes die M-Series-Multiservice-Routing-Plattformen von Juniper Networks. Auch
einige der großen IT-/TK-Lieferanten wie etwa Alcatel und Cisco haben VPLS-Lösungen auf der Roadmap
beziehungsweise im Programm – weitere werden mit zunehmender Verbreitung von VPLS-Services sicher
rasch hinzukommen. Ein Problem sind allerdings zum Teil unterschiedliche VPLS-Implementierungen. So
hat Cisco mit H-VPLS eine spezielle hierarchische VPLS-Variante im Alleingang eingeführt. Laut
Cisco soll H-VPLS die Skalierbarkeit von VPLS verbessern.

Service-Provider setzen in Sachen WAN-Infrastruktur immer mehr auf IP-NGNs. Bernd Kraft, Country
Manager und Marketing Director bei MCI Deutschland etwa sieht einen entscheidenden Vorteil in einem
intelligenten Informationsmanagement, mit dem Nutzer Dienste flexibel an ihre Anforderungen
anpassen können. "Das NGN überführt die unterschiedlichsten Übertragungsverfahren und
Netzstrukturen in eine konvergente Netzwerkarchitektur", so der MCI-Manager. "Das Dienstangebot von
NGNs ist wesentlich umfassender als das von konventionellen Telekommunikationsnetzen. Da ein NGN
offene und standardisierte Schnittstellen hat, ist eine schnelle Realisierung und Einbindung neuer
Funktionen und Dienste möglich." Aber nicht nur Flexibilität ist gefragt. Durch beispielsweise
Zentralisierung von Servern, Call-Centern, Anwendungen im CRM (Customer Relations Management),
Einbindung von Sprache und Mobility brauchen Unternehmen wesentlich leistungsfähigere
WAN-Infrastrukturen als noch vor ein paar Jahren. WAN-Technologien, ihr richtiger Einsatz und das
Zusammenspiel sowie vor allem das Management wird immer komplexer. Um trotzdem das Netzwerk in den
Griff zu bekommen, wird in Zukunft Service im WAN wie QoS, SLAs oder Netzmanagement immer
wichtiger.

Vor diesem Hintergrund hat beispielsweise BT im April dieses Jahres einen MPLS-Service
eingeführt, der sechs anstatt der üblichen drei Serviceklassen bietet.

Vanco als VNO (Virtual Network Operator) empfiehlt Unternehmen heute generell die Überprüfung
des WAN-Designs. Fast jedes Unternehmen könne mit einem Re-Design eine bessere technische Lösung
oder/und erheblich niedrigere Kosten erzielen. Ein virtuelles Netzwerk hängt nicht von der
Infrastruktur eines einzelnen Telco-/Netzwerk-Betreibers ab. Dies schafft Freiräume, um die
Standortanbindungen und eingesetzten Technologien individuell und flexibel zu gestalten und laufend
den neuen Geschäftsprozessen und -anforderungen anzupassen.

Die Schlüsseltrends im WAN sind für die Nutzer sehr erfreulich: Flexibilität, Performance und
Stabilität steigen, während die Preise rapide fallen. Einer globalen Standortvernetzung steht also
nichts mehr im Wege.


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