Green-IT-Hype auf der CeBIT 2008

Die perfekte grüne Welle

6. Juni 2008, 17:32 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner

Das Modethema "Green IT" sprang einem auf der CeBIT allerorts entgegen. Man erhielt drei Eindrücke: Erstens, praktisch alle IT-Anbieter sind grün; zweitens, alle waren schon immer grün; drittens, alle waren schon immer grüner als die Konkurrenz. Im richtigen Leben hingegen ist der Weg zum nachhaltigen IT-Betrieb eine mühsame Annäherung. So gab es auf der CeBIT auch kaum wirkliche Neuvorstellungen umweltschonender Technik.

Nicht, dass es auf der Hannoveraner IT-Messe an Produktankündigungen gemangelt hätte, die auf
die eine oder andere Weise mit dem Label "grün" versehen waren: Die Aussteller waren eifrig bemüht,
dem Messepublikum verbrauchsarme und somit Umwelt wie Budget schonende Produkte vorzustellen. Diese
reichten von Stromspar-Servern, -PCs, -Notebooks und Thin Clients über Netzwerkkomponenten,
Speichergerätschaft und Drucker bis zur RZ-Ausstattung, -Klimatisierung und zur
Virtualisierung.

Doch vor dem Hintergrund einer Fülle von Green-IT-Ankündigungen herrschte unter den von LANline
auf der CeBIT interviewten Fachleuten erstaunlich große Einigkeit über zwei Punkte: Erstens, Green
IT ist ein übergreifendes Projekt, das unternehmensweite Planung erfordert und nicht auf einzelne
Produkte oder Lösungen reduzierbar ist; zweitens, der Green-IT-Hype erlebte auf der CeBIT vorläufig
seinen Höhepunkt – während viele der umweltschonenden Lösungen erst noch reifen und dann ihren Weg
in die Unternehmen finden müssten, werde auf der CeBIT 2009 sicher ein anderes Modethema der
Green-IT-Diskussion den Rang abgelaufen haben.

Kevin O’Donovan, Strategic Marketing Manager bei Intel und als Vertreter der Climate Savers
Computing Initiative im (angesichts des Medienrummels erstaunlich kleinen) "Green IT Village" in
Halle 9 anzutreffen, brachte diesen zweiten Punkt auf den Nenner: "Green is the new normal." Die
Berücksichtigung der Aspekte Energieersparnis und Ressourcenschonung werde, so O’Donovan, schon
bald als Teil des Normalzustands in die IT-Lösungen eingeflossen sein. Als Industrievertreter muss
sich O’Donovan hier natürlich optimistisch geben. Und Energieersparnisse lassen sich auf
Komponentenebene mit neueren Intel- wie auch AMD-CPUs in der Tat belegen. Die Problematik der
Ressourcenschonung aber ist angesichts global verteilter Produktions-, Logistik- und
Entsorgungsprozesse sehr komplex. Zwar gibt es in der EU einschlägige Regelungen wie die
Richtlinien RoHS (Reduction of Certain Hazardous Substances) und WEEE (Waste Electrical and
Electronic Equipment), doch werden die Umweltschutzorganisationen sicher nach wie vor Anlass haben,
die Herstellungs- und Recyclingverfahren der IT-Industrie genau zu beobachten.

Die Climate Savers Computing Initiative propagierte auf der Messe ein ganz klares Ziel: Durch
Aktivierung der Energiespareinstellungen auf PC-Seite ließen sich, so der IT-Anbieterverbund, bis
zu 60 Prozent des Stromverbrauchs einsparen: "Das ist Software, die bereits vorhanden ist und für
die Sie schon gezahlt haben, also bitte schalten Sie sie auch ein", plädierte O’Donovan. Damit
konzentriert sich die Initiative auf mit einfachsten Mitteln schnell erzielbare Effekte, die sowohl
die Umwelt als auch den Geldbeutel der Kunden schonen. Dieses Wirtschaftsargument sei wichtig,
betont Dileep Bhandarkar, ebenfalls Vertreter der Climate Savers und Distinguished Engineer bei
Microsoft: "Der Dollar treibt das Denken." Dies bestätigte auch Exper-ton-Analyst Wolfgang Schwab
im LAN- line-Gespräch vor der CeBIT: Während Unternehmen große Server- und Storage-Systeme heute
schon unter Energieeffizienzgesichtspunkten einkauften, seien Energiespar-PCs bislang "nicht der
große Renner". Denn der Consumer-Markt vertrage höchstens einen kleinen Aufschlag für
ökofreundliche Endgeräte.

Für Öko-Server und -PCs legt sich zum Beispiel Fujitsu-Siemens Computers ins Zeug, die auf der
Messe eine Neuauflage des Scaleo Green PCs ebenso vorstellten wie ein "Null-Watt-Display": Das
20-Zoll-Display verfügt über ein Schaltelement, das es erlaubt, das Gerät im Power-Save-Modus
vollständig vom Netz zu trennen, sodass laut FSC kein Standby-Stromverbrauch anfällt. Konkurrent HP
hatte vor der Messe einen energieeffizienten PC mit Solid-State Disk (SSD) angekündigt, der
gegenüber PCs mit Festplatte weniger Stromverbrauch und bessere Haltbarkeit bieten soll.
IT-Dienstleister Computacenter hat übrigens vor, in einem Energy Lab die Stromverbrauchsaussagen
der Hersteller im Kundenauftrag per Messung zu überprüfen (www.lanline.de/kn31424236).

Ökonomische Vorteile standen entsprechend bei den zahlreichen Anbietern umweltfreundlicher
Einzellösungen ebenso im Fokus wie bei den Verfechtern eines unternehmensweiten Ansatzes für den
nachhaltigen IT-Betrieb. Zu letzterer Gruppe zählen vorrangig IBM und HP, die als "Vollsortimenter"
alles von der RZ-Planung und Energieverbrauchsanalysen bis zu passender Hard- und Software liefern
können. Dabei dürfe man aber die Ökodiskussion nicht auf die IT beschränken, sondern müsse sie auf
das gesamte Unternehmen ausdehnen, argumentierte Gerald Münzl, Leiter Sector and Business Line
Marketing bei IBM Global Services. So biete IBM Berater, die zum Beispiel bei einem produzierenden
Betrieb die Produktions- und Logistikprozesse in die Effizienzanalyse mit einbeziehen, da hier oft
ein deutlich größeres Potenzial schlummere als im RZ. "Es geht um das Green Enter-prise", so Münzl.
IBM kooperiere mit TÜV und Dekra, um möglichst stark standardisierte Kriterien für die Bewertung
und letztlich auch Zertifizierung der RZ-Energieeffizienz zu erarbeiten.

Dass IT- und Data-Center-Verantwortliche bislang ihren Stromverbrauchsbudget nicht verantworten
mussten, betrachtet Münzl als schrumpfendes Hindernis: Es gebe eine "klare Tendenz, die
Energiekosten nun zuzuordnen." Das bestätigte auch Klaus Rumsauer, Director Enterprise Server und
Storage bei HP. Er berichtete von einzelnen Plänen auf Kundenseite, Geschäftsbereiche mit der
Gesamtverantwortung für alle Kosten inklusive Strom, Gebäudemanagement und Fuhrpark auszustatten: "
Da stehen wir am Anfang, aber das wird nachgefragt", so Rumsauer. Solche Projekte mit direkten
Auswirkungen auf die Umwelt sind laut dem HP-Mann stets durch kommerzielle Zwänge getrieben: "Im
Zentrum steht immer die Frage: Wie lassen sich die Geschäftsprozesse optimieren?" Als wichtige
Werkzeuge sieht er neben CO2-Assessments und Kühlung vor allem die Virtualisierung im RZ, die
Verlagerung von Client-Aufgaben in das Data Center sowie Techniken wie Unified Communications (UC),
Funkchipetiketten (RFID) sowie die Optimierung des Fuhrparks.

Servervirtualisierung und -konsolidierung gelten als Hauptwerkzeuge zur Senkung der Geräte-,
Management- und Stromkosten im RZ. Mit den Energieaspekten befassen sich heute laut Wolfram Weber,
Manager Field System Engineers Deutschland bei Vmware, nicht nur Konzerne, sondern auch
KMU-Eigentümer, die die IT nur als Cost Center betrachten. Vmwares Tool DRS (Distributed Resource
Scheduler) erlaubt die auslastungsabhängige Lastverteilung samt Live-Migration virtueller
Instanzen. Laut Weber lassen sich Serverdaten für stromverbrauchsbezogenes Load Balancing per SDK
(Software Developer Kit) einbinden, ab Werk enthalten ist diese In- tegration also nicht.

Während Vmware als Virtualisierungsmarktführer in der Green-IT-Debatte immer wieder auftaucht,
hält sich Konkurrent Citrix hier auffallend zurück. John Glendenning, mit Virtualisierer Xensource
zu Citrix gestoßen und hier nun VP EMEA Server Virtualization, gesteht zu, dass Citrix in der
Green-IT-Diskussion "nicht sehr aggressiv" agiert. Citrix beschränke sich auf lokale Kampagnen und
Channel-Kooperationen. Dabei bietet Citrix zahlreiche Hilfsmittel für ressourcenschonendes
Arbeiten: die Virtualisierungslösung Xenserver, den Speicherplatz sparenden Provisi-oning Server,
gleich zwei Ansätze, um Client-Ressourcen im RZ zu bündeln – Xenapp (vormals Presentation Server)
und Xendesktop (die Alternative zu Vmwares VDI) –, sowie die Citrix-Online-Produktlinie für die
webbasierte Zusammenarbeit.

Web-Collaboration und Web-Conferencing bilden auch wichtige Punkte in Ciscos
Green-IT-Argumentation. Schließlich bietet Cisco eine Highend-Teleconferencing-Lösung, die
multinationalen Unternehmen manche CO2-belastete Flugreise ersparen kann (Kasten). Jan Roschek,
Vorsitzender des Ecoboards von Cisco Deutschland, betont Facetten der Geräteproduktion – modulares
Design, hoher Integrationsgrad der Geräte, Best-Sourcing auch nach Ökoaspekten, Überwachung der
Zulieferer – sowie Ciscos Engagement im Rahmen der Urban-Development-Initiative: In Kooperation mit
Großstädten – darunter Hamburg – will der IT-Riese helfen, die Städteplanung und -verwaltung zu
optimieren, zum Beispiel mit Telematik. Insgesamt bietet die IT also zahlreiche grüne
Lösungsansätze jenseits allen Hypes und Messerummels.


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