Bereits seit ein paar Monaten ist das 5G-Mobilfunknetz von NTT und Cisco für den Einsatz in den Forschungsbereichen der RWTH Aachen aktiv. Die Installation unterscheidet sich dabei durch die mobile Ausrichtung deutlich von anderen Installationen, welche NTT vorgenommen hat. Das Projekt im Detail.
connect professional: Bitte geben Sie einen kurzen Einblick in das Projekt: Wie lange hat es gedauert, es aufzusetzen und durchzuführen? Was musste dafür wo installiert werden? Wie gestaltet sich das 5G-Mobilfunketz konkret – Stand heute?
Frank Meeßen: Unser 5G-Campusnetz basiert auf der Open-RAN-Technologie (O-RAN). Dieser Ansatz ist im Gegensatz zu traditionellen Funkzugangsnetzen nicht herstellergebunden, verwendet keine proprietären Protokolle und bietet damit eine große Flexibilität – egal welche Innovationssprünge die Technologie in Zukunft noch macht. Eine Besonderheit unseres privaten 5G-Netzes ist zudem, dass wir keine stationären Installationen haben. Das Netz ist mobil ausgelegt, das heißt, die Antennen lassen sich flexibel montieren, sodass wir allen unseren Instituten auf dem Gelände der RWTH Aachen, das sich immerhin über die ganze Stadt erstreckt, bei Bedarf 5G bereitstellen können. Durch diese Mobilität sind wir also nicht auf ein bestimmtes Gebäude oder Areal beschränkt. Da die Institute per Glasfaser angebunden sind, lassen sich die Antennen darüber hinaus relativ einfach verschieben. Man muss sie nur von der Decke schrauben, an neuer Stelle aufhängen und die Leitung freischalten, was in relativ kurzer Zeit erledigt ist.
Aktuell versorgen wir im IT-Center und einem weiteren Institut auf dem Campus rund 100 Quadratmeter an Versuchs- und Laborflächen. Nach erfolgreicher Pilotphase ist das P5G-Netz seit Ende März 2023 nun aktiv und bereit für seinen Einsatz in den Forschungsbereichen. Durch das private Funkspektrum garantieren wir eine störungsfreie Konnektivität und können unsere wissenschaftlichen Anwendungen optimal verwirklichen.
Kai Grunwitz: Durch den komplett isolierten Frequenzbereich, das heißt, das Spektrum ist vom öffentlichen Netz separiert, hat die RWTH Aachen die volle Transparenz und komplette Kontrolle über alle Netzwerkfunktionen, einschließlich einer störungsfreien Geschwindigkeit und der allgemeinen Sicherheit der Umgebung. Darüber hinaus sind die hohe Bandbreite, die Datenübertragung in Echtzeit und eine geringe Latenz die perfekten Voraussetzungen für Forschungsprojekte. Die Installation bei der RWTH Aachen unterscheidet sich durch die mobile Ausrichtung deutlich von anderen Kundeninstallationen, bei denen wir stationäre Lösungen umgesetzt haben, um zum Beispiel komplette Fertigungshallen oder das Vorfeld von Flughäfen mit 5G abzudecken. Hier sehen wir quasi „5G as a Service“, denn die RWTH Aachen bietet den schnellen Mobilfunk den unterschiedlichsten Einrichtungen auf Zuruf an.
Meeßen: Was die Projektlaufzeit betrifft – die Umsetzung ist in den Zeitraum der letzten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und unterbrochener Lieferketten gefallen. Es kam deswegen zu einigen Verzögerungen. Insgesamt verging von der Idee bis zum Go-Live rund ein Jahr. Im Normalfall hätte das Projekt nur wenige Monate gedauert.
connect professional: Welche Anwendungen – sowohl Mitarbeiter- als auch gegebenenfalls Studierenden-seitig – lassen sich nun mithilfe des neu geschaffenen Netzes realisieren? Welche Einsatzszenarien sind eventuell noch in Zukunft denkbar?
Meeßen: Wir stellen die 5G-Infrastruktur als hochschulweite und hoheitliche Dienstleistung zur Verfügung. Derzeit nutzen wir das P5G-Netz für verschiedene Forschungsprojekte. Dazu zählt beispielsweise ein EU-gefördertes Projekt rund um autonome Roboter in einer Fertigungsumgebung. Ein anderer Anwendungsfall befasst sich in Zusammenarbeit mit dem Geodätischen Institut mit der Standortbestimmung von Menschen und Objekten, um für den Notfall etwa bei einem Feuer den besten Rettungsweg zu finden. Zudem nutzen wir das private 5G-Netz gerade, um Datenübertragungen in Echtzeit im Operationssaal zu erproben. Zwar liegt der Fokus derzeit auf Forschung und Lehre, aber natürlich denken wir auch über die Möglichkeit nach, das Campus-Netz zukünftig alternativ zum WLAN einzusetzen. Dieses Einsatzszenario würde dann eine stationäre Installation voraussetzen – eine mobile Lösung, wie wir sie jetzt haben, würde dann nicht mehr ausreichen.
Grunwitz: Für smarte Fabriken, aber auch für Flughäfen, Krankenhäuser oder eben Hochschulen ist Private 5G ein höchst wirksamer Innovationstreiber. 5G bietet eine Leistung, die bislang undenkbar war. Damit wird der neue Standard zum Enabler und Beschleuniger für nahezu alle Anwendungen.
Um beispielsweise die Herausforderungen autonomer Fahrzeuge zu bewältigen, braucht man eine extrem zuverlässige Kommunikation mit geringer Latenz. Bei solch kritischen Anwendungen, bei denen schon eine Millisekunde über die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer entscheidet, spielt URLLC (Ultra Reliable and Low Latency Communications) – eines von insgesamt drei Anwendungsprofilen der jüngsten Mobilfunktechnik – seine Stärken aus. 5G ist die Grundlage für ein völlig vernetztes, intelligentes Verkehrssystem, über das Fahrzeuge und andere Ankerpunkte miteinander kommunizieren können und so überhaupt erst autonome Entscheidungen möglich sind.
Im Gesundheitswesen lassen sich mit 5G telemedizinische Anwendungen realisieren. Um wiederum eine Smart City zu betreiben, muss man in der Lage sein, die Dichte von Sensoren und Geräten zu erhöhen. In diesem Anwendungsfall kann die mMTC (Massive Machine Type Communications)-Technologie eingesetzt werden, sodass 5G die Milliarden von Sensoren und Geräten handhaben und eine effizientere Kommunikation ermöglichen kann. Die RWTH Aachen ist gerade am Entdecken, was mit dem Campus-Netz alles möglich ist.
connect professional: Vor welchen besonderen Herausforderungen standen die Umsetzenden während der Projektphase und vielleicht auch noch darüber hinaus?
Meeßen: Wie bereits erwähnt haben unterbrochene Lieferketten unseren Zeitplan nach hinten verschoben. Eine andere Herausforderung ist der Tatsache geschuldet, dass 5G-Projekte für die meisten Organisationen und Unternehmen Neuland sind.
Man braucht dediziertes Know-how, um entsprechende Infrastrukturen zu planen und aufzubauen. Zwar sind unsere IT-Kollegen in der Cisco-Welt technisch versiert – 5G ist jedoch etwas ganz anderes. Ein paar Router und Switches hat man natürlich schnell installiert, auch Antennen lassen sich relativ einfach aufhängen – das ganze Konstrukt aber zu konfigurieren und in das vorhandene Netz zu integrieren, ist eine völlig andere Aufgabe. |
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Erschwerend kommt hinzu, dass der Arbeitsmarkt für entsprechende 5G-Spezialisten mehr oder weniger leergefegt ist und wir natürlich auch nicht über einen unbegrenzten Budgetrahmen verfügen. Das heißt, unsere Mitarbeiter mussten dieses Projekt neben ihren Alltagsaufgaben betreuen. Deshalb waren wir auf einen erfahrenen Partner wie NTT angewiesen.
Grunwitz: Auch wenn man einen externen Dienstleister beauftragt – ganz ohne Vorarbeit seitens der Kunden funktioniert es trotzdem nicht. In der Design-Phase müssen Unternehmen intensiv mit dem Partner zusammenarbeiten, da nur sie ihre Prozesse, Anwendungen und Anforderungen kennen. Erst mit diesen Informationen kann der Dienstleister geeignete Technologien und Architekturen auswählen und sicherstellen, dass 5G die Erwartungen erfüllt.
Hinzu kommt: Nicht nur Forschungseinrichtungen haben begrenzte Budgets – jedes Unternehmen, auch die Industrie, muss mit spitzer Feder rechnen. Keiner baut ein 5G-Netz, weil die Technologie beeindruckt. In die Projekte werden vielmehr große Erwartungen gesetzt, allen voran eine deutliche Verbesserung der Betriebsabläufe und damit eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig zeichnen sich 5G-Projekte in der Regel dadurch aus, dass der Return on Investment nicht zu hundert Prozent quantifizierbar ist. Sogenannte Quick Wins sind schön, viele Use Cases lassen sich jedoch erst erarbeiten, wenn das Netz wirklich steht. Man braucht einen gewissen Mut und viel Begeisterung – und den hat die RWTH Aachen gezeigt.
connect professional: Welche Learnings ergeben sich aus dem Projekt? Oder anders gefragt: Würden Sie mit dem heutigen Wissen etwas anders machen, wenn Sie das Projekt noch einmal aufsetzen müssten?
Meeßen: Ein Punkt, den man keinesfalls unterschätzen darf, ist der bürokratische Aufwand – oder anders gesagt die Beantragung der Lizenzen bei der Bundesnetzagentur.
Die Technik an sich ist schon schwierig, aber das Ausfüllen der zahlreichen Formulare – etwa welche Funkparameter die Sender haben – stellt einen vor eine fast unlösbare Aufgabe. Darüber hinaus muss man darauf achten, dass die eigenen Sender nicht in benachbarte Areale funken. |
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Schlimmstenfalls fällt diese Störleistung erst auf, wenn das komplette Netz bereits installiert ist. Wie gesagt, 5G ist für die meisten Organisationen und Unternehmen Neuland, weshalb man sich von Anfang an einen erfahrenen Partner an seine Seite holen sollte.
connect professional: Wie gestaltete sich das Zusammenspiel zwischen NTT und der RWTH Aachen? Wie kam die Projektpartnerschaft zustande?
Meeßen: Wir haben das 5G-Campusnetz gemeinsam mit NTT entwickelt, installiert und konfiguriert. Der Betrieb läuft über uns. NTT ist ein langjähriger IT-Partner von uns, über den wir zum Beispiel unsere Cisco-Endgeräte im Router/Switch-Bereich und rund um Telefonie beziehen, sodass es nahelag, das Projekt gemeinsam anzugehen. Cisco und NTT haben sich dann bereit erklärt, einen Pilot mit uns zu starten.
Grunwitz: NTT hat in enger Abstimmung mit Cisco bereits zahlreiche P5G-Projekte umgesetzt, von diesen Erfahrungen sowie unserem tiefen Verständnis des Funknetzes Airspan Access konnte die RWTH Aachen profitieren. Darüber hinaus ist NTT der Rahmenvertragspartner der RWTH Aachen für Cisco-Produkte – das heißt, wir blicken auf eine lange, erfolgreiche Partnerschaft zurück. Aus einem initialen kleineren Projekt mit ursprünglich nur Antennenlieferung entstand schließlich eine weitgehende Zusammenarbeit.
Grundsätzlich begleiten wir Unternehmen bei der kompletten 5G-Reise – das umfasst alle Aspekte von der Erstberatung über die Planung bis zur Umsetzung und schließlich den Betrieb. Vor allem das Thema Managed Services spielt in diesem Umfeld eine große Rolle.
Die meisten Organisationen und Firmen dürften sich mit dem Aufbau und Betrieb eines privaten 5G-Netzes in Eigenregie schwertun, da es ihnen an Wissen, Erfahrung und Personal fehlt. Bis vor Kurzem war das Thema schließlich nur für Mobilfunkanbieter interessant. Die ausgewählten Architekturen müssen zudem zu den geplanten Anwendungsfällen passen. |
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So haben verschiedene Workloads unterschiedliche Computer- und Storage-Anforderungen, sodass mal kompakte HCI-Appliances und mal klassische Server mit angebundenem Storage Area Network gefragt sind. Im Falle von KI-Anwendungen werden darüber hinaus Systeme mit leistungsstarken Grafikprozessoren und speziellen Software-Stacks benötigt. Wir kennen uns mit den verschiedenen Anwendungsfällen aus und wir liefern perfekt aufeinander abgestimmte Hardware und Software.
Noch einfacher ist es, die 5G-Infrastruktur gleich als Managed Service zu beziehen – quasi als Rundum-sorglos-Paket mit monatlicher Abrechnung, ohne große Anfangsinvestition. NTT übernimmt den Aufbau und Betrieb der gesamten Umgebung. Das schließt die Integration in die bestehende Infrastruktur, die Absicherung sowie die Erweiterung, wenn die Anforderungen steigen, ein. Unternehmen können sich darauf verlassen, dass alles reibungslos funktioniert und die vereinbarten Service Level eingehalten werden.
connect professional: Welche Beweggründe haben dazu geführt, hier den O-RAN-Ansatz zu verfolgen?
Grunwitz: Open RAN ist ein Technologiekonzept der 5G-Mobilfunkkommunikation, das zusätzliche und offene Schnittstellen für bisher proprietäre Komponenten des Funkzugangsnetzes (RAN – Radio Access Network) einführt. Dadurch werden Offenheit und Interoperabilität gefördert und der berüchtigte Vendor-Lock-in vermieden. Die Innovation von Open RAN liegt also darin, dass standardisierte, erprobte Hard- und Software von verschiedenen Anbietern gemeinsam genutzt werden kann und die bestmöglichen Komponenten miteinander verbunden werden. Damit werden nicht nur Abhängigkeiten von einzelnen Herstellern verhindert, die Netzwerke sind generell auch intelligenter und automatisierter. In einem so dynamischen Markt, in dem sich viele Player versuchen und die Technologie noch viele Sprünge hinlegen wird, halten sich Unternehmen mit Open RAN alle Möglichkeiten für die Zukunft offen.