Eine stärkere Verbindung von Wirtschafts- und Forschungspolitik sowie eine Wachstumsstrategie mit Einbezug der Gründerszene fordert Bitkom-Präsident Professor August-Wilhelm Scheer auf der CeBIT. Positiv steht der Bitkom auch der Idee des Ingenieurvereins VDI gegenüber, mit einem nationalen Technikrat auf Bundesebene verstärkt Technikunterricht zu etablieren. "Wir brauchen Entwicklung und Produktion in Deutschland, wir können nicht nur Konsumland sein", so Scheer. Und mit Blick auf Nokias Produktionsrückzug aus Deutschland: "Generell wandern Forschung und Entwicklung nicht ab, aber es ist besser, sich vorher gut aufzustellen, als sein Handy dann wegzuwerfen, wenn es zu spät ist."
Der Bitkom-Präsident fordert international wettbewerbsfähige Exzellenz-Cluster: Es seien ja
viele Technologiezentren gegründet worden, aber nur wenige seien erfolgreich. "Wir sind weit
entfernt vom Silicon Valley oder Bangalore – wir müssen klotzen, nicht kleckern.
Technologiezentren, mit denen sich Lokalpolitiker schmücken, helfen wenig."
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Neben einer besseren Verbindung von Wirtschafts- und Forschungspolitik fordert Scheer auch dazu
auf, für die Gründerszene eine Wachstumsstrategie aufzustellen.. "Die USA sind in einem
Erfolgskreislauf – es gibt viele große Unternehmen, die aus den Elite-Unis wie Stanford oder
Berkeley kluge Köpfe an sich ziehen, die mit ihren Ideen Jungunternehmen gründen, die wieder mit
den großen Unternehmen zusammenarbeiten." In Deutschland gebe es nur noch wenige großen
IT-Unternehmen wie SAP, "und deshalb funktioniert er Kreislauf nicht".
Deshalb möchte Scheer nun die Gründerszene aufgepäppelt wissen: "Es nützt doch nichts, wenn die
jungen Unternehmen nach fünf Jahren in der Konkursstatistik landen". Der IDS-Scheer-Gründer
verlangt, dass die Startups international sichtbar werden. "Da müssen sie bei Politikerreisen ins
Ausland mit dabei sein – jeder fünfte Platz für einen Jungunternehmer. Die Vorstände der großen
Unternehmen haben doch ihre eigenen Netze." Der Bitkom-Präsident sieht auch die Industrie- und
Handelskammern in der Pflicht, selbst "die Goethe-Institute, die auch einmal Ausstellungen über
Hightech-Unternehmen machen können".
Das Nachwuchsproblem drückt die IT-Branche nach wie vor. "43.000 Stellen sind offen", so Scheer,
der das Bildungssystem als Pipeline ansieht, "in der jeder auf jeden schimpft". Die Grundschule
klage, dass der Kindergarten den Kindern nicht beibringe, ruhig zu sitzen und deutsch zu sprechen,
die Universität bemängle die schlechten Mathematikkenntnisse der Abiturienten und die Wirtschaft
müsse die Absolventen der Hochschulen noch für die Praxis ausbilden. Hier müsse ganzheitlich
gedacht werden. Und: "Wir brauchen mehr Durchlässigkeit in dieser Pipeline, müssen unkonventionell
an Begabungen herangehen und sie fördern, nicht selektieren."
"Die Studienorientierung findet im Alter von zwölf Jahren statt", so Scheer, der vor allem auch
Mädchen für die Informatik gewinnen will. Der Bitkom setzt sich deshalb für Informatik als
Pflichtschulfach ein in der Sekundarstufe eins. Die IT-Branche brauche ja auch alle Neigungen: "
Idealisten für E-Health und E-Energy, Techniker als Entwickler und hohe Sozialkompetenz im
Servicebereich." Es bringe nichts, "durch die hohe Theorieorientierung alle durch einen
Flaschenhals zu drängen".
Der Bitkom hat die Kultusminister der Bundesländer wegen des Pflichtschulfachs Informatik
angeschrieben. "Die haben alle positiv reagiert", so Scheer. "Wir haben offenen Türen eingerannt –
und wir hoffen, dass nun nicht die langsamsten das Tempo vorgeben." Dass Mädchen gesondert für
Informatik gefördert werden, verargumentiert Scheer mit der Biografie der Kanzlerin Angela Merkel: "
Sie hatte sich ja beklagt, dass sie immer die Jungs mit den Ellenbogen von den Praktikumsplätzen
wegschubsen musste – und wir wissen ja, dass die Kanzlerin nicht gerade schüchtern ist."
Laut der Statistik des Ingenieurvereins VDI fehlen in Deutschland aktuell 30.000 Informatiker
und Ingenieure. VDI-Direktor Willi Fuchs setzt sich deshalb entschieden für einen
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Technologierat ein, um den Technikunterricht zu etablieren. "Das führt zu besseren Ergebnissen
bei der Rekrutierung von Techniknachwuchs, wie die Beispiele Frankreich und England belegen", so
Fuchs. "Und für diese Lösung plädieren in Deutschland alle Ingenieursvereine." Warum eine neue
Einrichtung erforderlich ist, begründet Fuchs mit der föderalen Gliederung: "Wir müssen die
Bundesländer mit integrieren. Wir fördern ja über den CIO der Bundesregierung oder den IT-Gipfel
Innovation auf nationaler Ebene – aber das Bildungssystem, das diese Innovationen voranbringen
soll, ist Ländersache. Auch Bitkom-Präsident Scheer steht der Idee nicht ablehnend gegenüber: "
Bildung ist ja Ländersache, und wenn dies hier zu einem Wettbewerb führt, ist das ein positiver
Ansatz."
Fuchs verweist auf einige Vorreiter. So habe Rheinland-Pfalz drei Stunden mehr
naturwissenschaftliche Fächer in den Unterrichtskanon aufgenommen, in Nordrhein-Westfalen sind 25
Technikzentren eingerichtet worden, in denen Lehrer auf Technikunterricht vorbereitet werden. "
Lehrstoff reduzieren und die Didaktik verbessern", das sind Fuchs‘ Vorschläge. "Und natürlich
müssen wir auch die Abbrecherquote bei den Studierenden senken."
CZ/Rochus Rademacher