Network Functions Virtualization (NFV)

Netzelemente werden virtuell

13. Dezember 2013, 7:00 Uhr | Andreas Lemke/wg, Director Cloud Solution Marketing bei Alcatel-Lucent.

Network Functions Virtualization (NFV) verspricht nichts weniger, als die Art und Weise zu revolutionieren, wie Kommunikationsnetze aufgebaut und betrieben werden. Automatismen können den Netzbetrieb und das Erschließen neuer Geschäftsfelder vereinfachen, Betreiber mithin agiler machen.Wenn heute von Netzvirtualisierung die Rede ist, denkt man sofort an Cloud-Computing oder auch SDN (Software-Defined Networking). SDN ist in der ITK-Branche ein Hype-Thema. Nun gibt es ein weiteres Drei-Buchstaben-Kürzel, das inhaltlich auf den ersten Blick SDN zum Verwechseln ähnlich zu sein scheint: NFV, Network Functions Virtualization. Vor einem Jahr präsentierten in Darmstadt 13 große Kommunikationsnetzbetreiber ein Whitepaper, das als "Geburtsurkunde" des entstehenden Standards gelten kann. Im Januar 2013 konstituierte sich mit der NFV Industry Specification Group (ISG) eine Arbeitsgruppe innerhalb des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI). Über 100 Unternehmen, darunter alle großen Netzbetreiber und ITK-Hersteller, beteiligen sich mit großem Schwung an dieser Initiative. Bei NFV geht es darum, Netzelemente zu virtualisieren, um unabhängig von der Hardware zu werden. Netzfunktionen, die heute als Hardware verfügbar sind, sollen in Zukunft rein softwarebasiert sein und sich in einer Private Cloud der Netzbetreiber befinden, die diese über ihr Gebiet verteilen. Die Grundidee der Netzbetreiber bei NFV ist es, die Cloud-Prinzipien, die sich im IT-Bereich immer mehr durchsetzen, auch auf die TK-Infrastruktur anzuwenden. Die Mehrzahl der Netzelemente im Mobilfunk, für Telefoniedienste und für Breitbandinternet bestehen heute aus speziell entwickelter Hardware und darauf abgestimmte Software in einem Gerät. Sie erfüllen dabei hohe, genau definierte Anforderungen an Leistung, Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit, die direkt mit Service Level Agreements (SLAs) verknüpft sind. Anschaffung und Betrieb dieser Netzelemente und Erweiterung der Kapazitäten sind aufwendig und zeitraubend. Die Dauer dieser Prozesse misst sich in Monaten oder gar Jahren. Mit NFV will man diese Netzfunktionen virtualisieren. Dies birgt Kosteneinsparungspotenziale - die Anschaffungskosten für Software sind flexibler und niedriger als für Hardware - und zusätzliche Gestaltungsfreiheit für eine homogenere Hardwareinfrastruktur. SDN hingegen kommt ursprünglich aus dem universitären Umfeld: Forscher benötigten besseren Zugriff auf Netzprotokolle und entwickelten daher das Modell der über die Software definierten Netze. Im Laufe der Entwicklung erkannten auch Anwender aus dem IT-Bereich, dass SDN für den Betrieb der Datennetze insbesondere in Rechenzentren Vorteile bietet. Die Grundidee von SDN ist, die Netzsteuerungsebene - also zum Beispiel die Routing-Protokolle - von der Transportebene, der Weiterleitung von Datenpaketen, zu trennen. Die Steuerungsfunktionen sind dann nicht mehr jedem einzelnen Switch oder Router zugeordnet, sondern auf einem Server, dem SDN-Controller, zentralisiert. Dadurch lassen sich Netze einfacher konfigurieren und betreiben, Anwendungen können über APIs (Application Programming Interfaces) VPN- und andere Netzdienste direkt anfordern. Haupteinsatzgebiete von SDN sind Router und Switches, eventuell auch optische Übertragungsnetze. Die Datenweiterleitung (Forwarding) vollzieht sich weiterhin auf einer speziellen Hardware: auf besonders einfachen, aber leistungsfähigen und kostengünstigen Switches sowie auf virtuellen Switches innerhalb virtualisierter Server. NFV hingegen kommt aus der Telekommunikationsbranche. Hier geht es nicht um die Trennung von Steuerung und Transport oder die Zentralisierung der Steuerungsebene, sondern um die Abkehr von dedizierter Hardware und die Realisierung von Netzfunktionen in Software, die auf handelsüblichen IT-Servern laufen kann. Im Gegensatz zu IT-Netzen ist in diesem Umfeld eine starke Zentralisierung nicht immer möglich, weil die Netzfunktionen in einem geografisch verzweigten Weitverkehrsnetz sehr kritisch sind, was die Antwortzeiten und die Überlebensfähigkeit im Katastrophenfall betrifft. Eine stärkere Dezentralisierung ist bei NFV oftmals sinnvoll, um die Datenverkehrsströme lokal zu halten und um nah am Teilnehmer zu sein. NFV-basierte TK-Netze zeichnen sich durch eine höhere Dynamik als konventionelle Netze aus. Neue virtuelle Netzelemente lassen sich schnell installieren und müssen daher auch schnell an Netzstrukturen angeschlossen werden. Deshalb empfielt es sich, NFV mit SDN zu ergänzen, was genau diese geforderte Dynamik und Programmmierbarkeit bringt.   NFV: von der Idee zur Umsetzung Netzbetreiber verfolgen das NFV-Konzept, um Einsparungen bei Opex und Capex sowie durch Automatisierung zu erzielen. Erstere ergeben sich unter anderem aus dem Einsatz kostengünstigerer Mehrzweckhardware und der dann möglichen Aufteilung von Servern in mehrere virtuelle Maschinen (VMs) via Virtual Machine Monitor (Hypervisor). Dadurch können Netzbetreiber Rechenkapazitäten besser auslasten und somit den Energieverbrauch senken. Ähnlich wie in der IT-Industrie können sie dank virtualisierter Netz- und Cloud-Technik Tools einführen, die zahlreiche Betriebs- und Management-Bereiche automatisieren. Sie werden flexibler, können neue Dienste schneller aufsetzen und Ressourcen automatisch in beide Richtungen skalieren sowie dank ausgefeilter analytischer Algorithmen kontinuierlich optimieren. Außerdem erwarten Betreiber von NFV endlich eine Umgebung, die die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Services erleichtert und Innovationspotenziale eröffnet. Letztlich wollen sie neue Wege erschließen, um mit TK-Infrastrukturen zusätzlich Geld zu verdienen. Der Aufbau der Netzinfrastruktur, ihr Betrieb und das Management der Geschäftsprozesse der Netzbetreiber müssen sich aber noch beträchtlich weiterentwickeln, damit dies möglich ist. Schematisch betrachtet, gibt es vier Evolutionsschritte, die ein Betreiber auf diesem Weg gehen muss: von der einfachen Virtualisierung über die Cloud, das automatische Lifecycle-Management bis hin zur automatischen Optimierung. In der grundlegenden Virtualisierungsstufe werden die Netzfunktionen mit Hypervisoren und nicht spezialisierter Hardware betrieben, können aber durchaus dedizierte physische Ressourcen, ausgewählte Hypervisoren und angepasste Konfigurationslösungen nutzen. Die Cloud-Stufe verwendet standardisierte Schnittstellen für die Virtualisierung. Virtualisierte Netzfunktionen (VNFs) sind interoperabel und zwischen Hardwareplattformen, Hypervisoren und Cloud-Ressourcen-Management-Systemen unterschiedlicher Anbieter portierbar. Damit können die Netzfunktionen eine homogene Infrastruktur aus Servern, Speicherelementen und Datennetzen nutzen. Automatisiertes Lifecycle-Management ist die Stufe, in der Diensteanbieter Tools, ähnlich wie die in der IT, aber an die Anforderungen von Carriern angepasst, nutzen, um den Lebenszyklus der virtuellen Netzfunktionen zu managen. In der automatischen Optimierung schließlich sind VNFs so weit, dass sie sich automatisch an Änderungen der Service-Anfragen wie Kapazitätserweiterungen und -senkungen anpassen. Die Konfiguration der VNF lässt sich automatisch ändern, um den Ressourceneinsatz zu optimieren oder für den Kunden eine leistungsfähigere Infrastruktur bereitzustellen, zum Beispiel durch kürzere Latenz. Am Ende dieser Entwicklung steht quasi als Krönung die voll automatisierte Cloud: Ein Diensteanbieter hat alle virtualisierbaren Netzfunktionen implementiert und kann die gesamten NFV-Potenziale für seine Kunden und sein Geschäft heben. Auf dem Weg hierhin muss man zunächst die junge Technik so weit vorantreiben, dass man einen allgemeinverbindlichen Standard erreicht und Produkte auf Grundlage der dann gültigen Spezifikationen auf den Markt bringen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Telekommunikationsnetze ganz andere Anforderungen an Verfügbarkeit, Ausfallsicherheit, Latenzzeit, Skalierbarkeit und dezentrale Vernetzbarkeit und Steuerungsfähigkeit haben als IT-Netze. Und selbstverständlich gilt es, auch den Faktor Sicherheit zu bedenken.   Herausforderungen und Grenzen Nicht alle Netzfunktionen werden zugleich den Weg zur Virtualisierung gehen. Bei Funktionen der Steuerungs- und Management-Ebenen werden Diensteanbieter am schnellsten einen Nutzen aus der Virtualisierung ziehen. Das gilt zum Beispiel für das IP Multimedia Subsystem (IMS). Ein weiteres, sehr wahrscheinliches Anwendungsszenario ist der so genannte Evolved Packet Core im 4G-Bereich. Und virtuelle Content Delivery Networks (CDN) könnten zukünftig dedizierte CDN-Geräte ersetzen. Netzelemente, die Datenpakete mit hoher Kapazität in Echtzeit weiterleiten und deren aktuelle Implementierung Netzprozessoren oder spezielle ASIC-Schaltungen benötigt, können heute hingegen noch nicht in Software auf Servern realisiert werden oder würden eine übermäßig große Anzahl von Servern benötigen. Da Betreiber und Netzgerätehersteller gemeinsam ein großes Interesse an der Einführung von NFV haben, dürfte die Fortentwicklung des Konzepts hin zum Standard und zur Produktreife schnell große Fortschritte machen. Prototypen befinden sich bereits heute in den Labors der Netzbetreiber. 2014 werden die ersten Feldversuche erwartet, der Regelbetrieb ab zirka 2015.

Der Weg zur mittels NFV vollautomatisierten Netzbetreiber-Cloud führt über mehrere Evolutionsstufen. Bild: Alcatel-Lucent

Je nach Netzwerkhardware oder -software ist NFV unterschiedlich nützlich. Am meisten profitiert man bei kundenseitig installierten Geräten (Customer Premise Equipment, CPE). Aber auch bei Media-Servern und CDNs ist der Kontrollgewinn groß. Bild: Alcatel-Lucent

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