QoS-Techniken können als eine neue Herausforderung an die Community gelten, das Internet wieder als ein Gemeinschaftssystem und Transportplattform für Services wahrzunehmen - und nicht nur als Sammlung zusammengeschalteter Teilnetze. Ein gutes Beispiel für die Problematik liefern VoIP-Gespräche über Provider-Grenzen hinweg.
Qualitätssensitive Dienste, die das Internet als Transportplattform nutzen, nehmen in Anzahl und Verbreitungsgrad stark zu. Während die ursprünglichen Anwendungen wie E-Mail und Websurfen hinsichtlich der Qualitätsparameter Delay, Jitter, Loss und Bandbreite relativ unempfindlich sind, benötigen Premiumdienste wie IPTV, VoD oder auch remote ablaufende Anwendungen eine bestimmte Dienstgüte der Transportplattform, um einen für den Nutzer störungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Als noch empfindlicher erweisen sich die harten Echtzeitanwendungen wie VoIP, Onlinespiele, E-Health/E-Learning, Videotelefonie und interaktives TV.
Diese Anforderungen an ein Transportnetz machen den Einsatz von Quality-of-Service-Techniken (QoS) notwendig. Innerhalb der Provider-eigenen Netze werden QoS-Verfahren bereits heute eingesetzt. Der Trend bei den Telekommunikations-Providern geht in Richtung einer Netzkonsolidierung, was bedeutet, dass die verschiedenen Netze zu einem Netz zusammengefasst werden und als eine große Transportplattform auf der Basis des IP-Protokolls fungieren sollen. Dies betrifft das Telefonnetz, das Breitbandnetz und abhängig vom Provider auch die Mobilfunk- und TV-Kabelnetze. Diese Konsolidierung führt zu einer Herausforderung für den Backbone, da verschiedene Dienste mit unterschiedlichen Ansprüchen an die Übertragungsparameter über ein einheitliches Transportnetz laufen.
Um Premiumdienste mit bestimmten Qualitätsgarantien nicht mehr nur auf das Provider-interne Netzwerk zu beschränken, werden übergreifende QoS-Techniken erforderlich. Diese können dazu beitragen, dass sich QoS-Funktionen nicht mehr an Netzen, sondern an Diensten orientieren, die auch über die Grenzen von autonomen Systemen hinweg funktionieren. Bisher kommt an den Verbindungspunkten der Provider-Netze das Overprovisioning Modell zum Einsatz. Es sorgt dafür, dass die Leitungsbandbreite ab einer bestimmten Verkehrsbelastung erhöht wird, um eine Verzögerung oder gar ein Verwerfen von Paketen zu verhindern. Alle Datenpakete erfahren hierbei eine Gleichbehandlung.
Damit lassen sich im Mittel recht gute Verzögerungswerte sowie Verlustraten für den Datenverkehr erreichen. Bei kurzfristigen Lastspitzen durch einen plötzlichen Verkehrsanstieg oder bei Überlastsituationen durch Leitungsstörungen werden alle nicht weiterleitbaren Pakete ungeachtet ihrer Dienstzugehörigkeit in gleichem Maße gebremst oder verworfen. Mit diesem momentan verwendeten Ansatz ist aus Gründen der Störanfälligkeit kein gesicherter Transport von Premiumverkehr zwischen zwei oder mehreren Providern möglich.
Der Bedarf an Interprovider-QoS lässt sich gut am Beispiel eines VoIP-Gesprächs mit zwei beteiligten Dienstanbietern veranschaulichen. Dabei werden die Signalisierungsdaten sowie die Sprachdaten des Telefongesprächs vom IP-Netz in das PSTN mittels eines so genannten Media Gateways konvertiert. Der angerufene Dienstanbieter verfügt auch über ein Media Gateway, das die Daten vom PSTN wieder auf IP-Ebene umsetzt. Da das PSTN ein leitungsvermitteltes Netz darstellt, benötigen die Verbindungen kein zusätzliches QoS.
Mit einer bestehenden QoS-Implementierung bei Provider-übergreifenden Verbindungen wäre es möglich, Premiumanwendungen abhängig von ihrem Anforderungsprofil vor Störungen bei der Übertragung zu schützen. Damit könnte der Umweg über das PSTN bei VoIP-Verbindungen wegfallen oder auch weitere Dienste wie IPTV für Kunden anderer Netze angeboten werden. Dabei läuft innerhalb jeder einzelnen Premiumklasse ein Overprovisioning ab, da jede Klasse nur eine bestimmte vordefinierte Bandbreite zugewiesen bekommt und die geforderte Übertragungsgüte bei Überlast nicht mehr zu gewährleisten wäre.
Für die Standardklasse nimmt man etwas größere Verzögerungszeiten und Paketverlustraten in Kauf. Steigt der Verkehr - aus welchen Gründen auch immer - auf einer Verbindung mit QoS-Implementierung sprunghaft an, so wird zuerst der Verkehr der Standardklasse verdrängt. Die einzelnen Premiumklassen können ihre Qualitätsvorgaben einhalten, es sei denn in der jeweiligen Klasse tritt mehr Verkehr auf, als es der vordefinierten Maximalband-breite für diese Klasse entspricht.
Wie lässt sich QoS zwischen Providern erfolgreich umsetzen? Die verschiedenen QoS-Modelle lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen. Zum einen die Integrated Services (IntServ). Dabei fordert das System für jede Verbindung einen Pfad mit den benötigten Übertragungsparametern an. Sind die Parameter auf dem gesamten Pfad bis hin zum Ziel garantiert, so wird die geforderte Bandbreite reserviert und der Ende-zu-Ende-Pfad aufgebaut. Danach ist dieser Pfad vom jeweiligen Premiumdienst nutzbar. Nach Ende der Verbindung baut ihn das System wieder ab und gibt die reservierte Bandbreite frei. Als zweite Modellfamilie existieren die Differentiated Services (DiffServ). Bei diesem Verfahren leitet jeder Netzknoten die Pakete priorisiert nach ihrer Klassenzugehörigkeit und unabhängig von den anderen Knoten weiter. Dies trägt die Bezeichnung Per-Hop-Verhalten. Dabei werden alle Pakete einer Dienstklasse und nicht nur einer Verbindung gleich behandelt.
Die Vorteile des IntServ-Modells liegen in der klar definierten, sicher garantierten Übertragungsbandbreite und damit einer feinen Granularität. Das Verfahren ist sehr gut zu kontrollieren, da jeder einzelne Pfad und damit jede einzelne Verbindung zu überwachen ist. Als Nachteile stehen die erhöhte Komplexität, damit einhergehend eine begrenzte Skalierbarkeit, ein erhöhter Daten-Overhead für den Auf- und Abbau sowie die Aufrechterhaltung der Pfade dagegen.
Das DiffServ Modell erzeugt keinen zusätzlichen Overhead, da es ausschließlich das Type-of-Service-Oktet des IP-Headers nutzt. Durch die Zusammenfassung aller Pakete einer Dienstklasse nimmt die Granularität etwas ab, da sich jegliche Änderung innerhalb der Konfiguration einer Klasse nicht nur auf eine Verbindung, sondern auf alle Verbindungen der Klasse auswirkt. Dafür ist die Komplexität recht niedrig und die Skalierbarkeit praktisch unbegrenzt. Auch im Interprovider-Bereich bleibt mit DiffServ jedes Provider-Netz weiterhin zentral und unabhängig verwaltbar, da keine Pfade über die Grenzen hinweg reserviert werden. Auf Grund der niedrigeren Komplexität und der höheren Skalierbarkeit befinden sich DiffServ-Verfahren bei einigen Providern im Backbone-Einsatz.
Die langjährigen Erfahrungen im eigenen Netz sowie erfolgreich abgeschlossene Tests im Interprovider-Bereich zwischen der Deutschen Telekom und Partner-Providern mit DiffServ machen diese QoS-Technik zur ersten Wahl, um diese auch an den Netzgrenzen einzusetzen. Dabei sorgt der Provider für ein Umschreiben der QoS-Markierungen des eingehenden Verkehrs an seinen Grenz-Routern. Das QoS- Schema des Partner-Providers ist auf das eigene QoS-Schema abgebildet.
Neben der technischen Machbarkeit einer QoS-Implementierung gilt es auch, Sicherheitsaspekte zu betrachten. Die Peering-Verträge zwischen den Providern sind um die Anzahl der Serviceklassen mitsamt ihrer maximalen Bandbreite und den übrigen Qualitätsparametern zu erweitern. Weiterhin muss der priorisierte Datenverkehr an den jeweiligen Eingangsschnittstellen der Grenz-Router in Art und Umfang geprüft und gegebenenfalls begrenzt werden, um eine Überlastsituation für die Premiumklassen im eigenen Netz zu verhindern. Zu dem Vorgehen der Provider, auf QoS Lösungen zu setzen, äußern sich auch kritische Stimmen. Im Lager der QoS-Kritiker gibt es zwei große Richtungen: Zum einen wird der Verlust der Netzneutralität, also der unbeschränkten Datenverkehr von und zu allen Punkten im Internet befürchtet. Zum anderen bezeichnen die Kritiker QoS-Techniken als unnötig und empfehlen, auf QoS zu verzichten und statt-dessen für ein stetiges Overprovisioning zu sorgen.
Zum ersten Punkt ist zu erwidern, dass es trotz der reservierten Bandbreite für die Premiumverkehrsklassen immer noch eine Mindestbandbreite für den Standarddatenverkehr geben wird. Weiterhin ist es ein großer Unterschied, ob einzelne Anwendungen gezielt gebremst oder gar gesperrt oder ob bestimmte Anwendungen bevorzugt behandelt werden. Hier geht es lediglich um eine bessere Behandlung spezieller Dienste. Der übrige Datenverkehr macht keine Unterschiede zwischen den Anwendungen. Darüber hinaus gibt es Anwendungen wie beispielsweise die Notruffunktionen über VoIP, die laut Gesetzgeber nutzbar und vor Abbruch geschützt werden müssen. Dies ist ohne QoS nicht effektiv möglich, da Lastspitzen oder Leitungsausfälle nicht vorhersehbar sind.
Auch die momentan auf dem Markt befindlichen IPTV-Angebote wären ohne QoS im Zugangsnetz nicht störungsfrei nutzbar. Weiterhin bleibt anzumerken, dass das Internet ein zusammen geschaltetes Netzwerk vieler unterschiedlicher Provider darstellt, in dem es immer wieder zu einer schlechteren oder überhaupt keiner Erreichbarkeit bestimmter Teilnetze kommen kann. Dies kann mit gestörten oder nicht ausreichend ausgebauten Verbindungen oder aber auch durch Unstimmigkeiten zwischen einzelnen Providern zusammenhängen. Somit ist auch bereits heute nicht garantiert, dass jeder Punkt des Internets jederzeit und mit ausreichender Bandbreite zu erreichen ist.
Der zweite Punkt, die Forderung nach stetigem Overprovisioning, ist nur teilweise berechtigt. Im Backbone eines Netzes kann es durchaus sinnvoll sein, generell mehr Bandbreite zur Verfügung zu stellen als auch im täglichen Betrieb gefordert ist. Es ist dabei aber zu berücksichtigen, dass dies nur dort geschehen kann, wo eine Bandbreitenerhöhung problemlos möglich ist. Gerade dabei liegt das Problem im Provider-übergreifenden Bereich und im Zugangsnetz. Diese Netzsegmente sind im Ausbau oft komplizierter und auch kostenintensiver als eine Bandbreitenerhöhung im Core-Netzbereich. Aber auch im Backbone können QoS-Techniken bei Störungen die empfindlichen Dienste vor einem Qualitätsverlust schützen.
Im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung des Internets ist davon auszugehen, dass die Bedeutung von QoS weiter wachsen wird. Gerade auch die schnell wachsenden Dienste für mobiles Internet sind von funktionierenden QoS-Techniken abhängig, da sich die Datenraten im Mobilfunk nicht in dem Maße und Tempo steigern lassen, wie es für die neuen Anwendungen wünschenswert wäre. Eine Konsolidierung der Netze hat bei einigen Providern bereits begonnen und der Trend wird sich fortsetzen.
Weiterhin nimmt die Bedeutung einer stabilen und breitbandigen Internetanbindung für Firmen und Privatpersonen noch zu. Neue zeitkritische Dienste wie beispielsweise Femtozellen werden vermehrt Verwendung finden. QoS stellt eine Technik dar, die in Netzwerken von Innen nach Außen wächst.
Im Backbone und im Zugangsbereich ist sie bereits teilweise implementiert, steigt in ihrer Verbreitung und ermöglicht ein serviceorientiertes Arbeiten. Wird QoS im Interprovider-Bereich eingesetzt, sind endgültig alle Teile des Netzes in der Lage, Premiumdienste sicher zu übertragen. QoS-Techniken können als eine neue Herausforderung an die Community gelten, das Internet wieder als ein Gemeinschaftssystem und Transportplattform für Services wahrzunehmen und nicht nur als zusammengeschaltete Teilnetze.