Run auf die deutschen Wimax-Frequenzen

Stunde der Wahrheit für Drahtlosbreitband

12. Juli 2006, 23:55 Uhr | Stefan Mutschler/pf

Nach einem ersten Scheitern vor einigen Jahren nimmt der funkgestützte Breitbandzugang nun seinen zweiten Anlauf. Technisch generalüberholt bietet er sich unter der Flagge des Industriebündnisses "Wimax" als Ergänzung beziehungsweise flexible Alternative zu DSL an. Erneut stehen in Deutschland große Teile der entsprechenden Funkfrequenzen zur Vergabe an, und wieder gibt es erheblich mehr Anträge, als Lizenzen zugeteilt werden können. Allerdings ist für viele Interessenten noch keineswegs klar, ob und wie sich das Geschäftsmodell "Wimax" in Deutschland rechnet.

Sicher wünschen sich im Moment mindestens hundert deutsche TK- beziehungsweise Internet-Provider
(und solche die es werden wollen) ein Orakel, das ihnen verrät, ob mit Wimax (Worldwide
Interoperability for Microwave Access) ordentlich Geld zu verdienen ist oder ob es ähnlich floppt
wie vor sechs Jahren sein Vorgänger "Point-to-Multipoint-Richtfunk" (PMP-RiFu). Statt eines Orakels
müssen oft die Analysten herhalten, aber wenn es zum Beispiel nach den Prognosen von Frost &
Sullivan aus dem Jahr 1999 ginge, hätten wir heute in Europa ein blühendes Geschäft mit dem
funkgestützen Breitband-Access, das im Jahr 2006 auf ein Umsatzvolumen von 27,5 Milliarden Dollar
zusteuerte. Leider ist dem nicht so – nicht einmal ansatzweise. In einer neuen Analyse zum
europäischen Wimax-Markt bezeichnet Frost & Sullivan diese Funktechnik sehr vorsichtig als
kostengünstige Alternative zu DSL für Gebiete, in denen sich ein DSL-Kabelnetz nicht rechnet.
Weniger vorsichtig die Empfehlung: Interessierte Unternehmen sollen entsprechende Services schnell
am Markt einführen, um Wimax als zukunftsweisende Wireless-Technologie zu etablieren. Die Prognose
von Frost & Sullivan: Die Nutzerzahl in Europa soll von rund 3000 im Jahr 2006 auf zirka 90.000
im Jahr 2010 steigen.

Als Hemmnisse identifizierten die Marktauguren in ihrer Analyse die nicht weit genug reichende
Standardisierung der neuen IEEE-802.16e-Spezifikationen (Wimax mit Roaming-Unterstützung zwischen
den Funkzellen), die im Herbst letzten Jahres verabschiedet wurden, sowie die Inkompatibilität
dieses Standards mit seinem derzeit verbreiteten Vorgänger 802.16d. Für die Lösung des ersten
Problems könnte sich die Wimax-Organisation goldene Sporen verdienen – sieht sie doch ihre Aufgabe
unter anderem auch in der Kompatibilitätszertifizierung der Wimax-Produkte unterschiedlicher
Hersteller. Entsprechende Testprozeduren sind aber sehr komplex – Fachleute erwarten
16e-zertifizierte Produkte daher frühestens in diesem Herbst. Das zweite Problem liegt am neuen
Modulationsverfahren von 16e (S-OFDMA – Scalable Orthogonal Frequency Division Multiple Access),
das Endgeräte nach dem 16d-Standard schlicht nicht beherrschen. Abgesehen davon, dass 16e
technologisch fortschrittlicher ist als 16d und daher für Wimax auch ganz neue Einsatzfelder
erschließt – theoretisch ließe sich damit sogar das heutige Mobilfunknetz ablösen – stellt sich für
die Provider eine ganz andere Frage: Wie sieht mein Geschäftsmodell aus? Abhängig von der Antwort
auf diese Frage wird dann die technologische Basis zu wählen sein. In den meisten Fällen geht es
tatsächlich um eine flexible und kostengünstige DSL-Alternative – und dafür ist der ausgereiftere
16d-Standard sicher die bessere und nicht zuletzt erheblich kostengünstigere Wahl.

Wimax in Deutschland

Vor der Frage nach dem geeigneten Business Case stehen im Moment auch die rund hundert
Aspiranten, die sich bis zum 28. Februar dieses Jahres bei der Bundesnetzagentur mit mehr als 900
Anträgen für die Zuteilung von Wimax-Frequenzen (in Deutschland sind das Frequenzen im Bereich von
3,4 bis 3,6 GHz) beworben haben. Nach Angaben der Agentur sind damit in sehr großen Teilen der
Bundesrepublik mehr Frequenzen beantragt worden, als aufgrund des verfügbaren Frequenzspektrums
zuteilbar sind. "Die große Resonanz und das starke Interesse vieler Firmen zeigen, dass im Bereich
funkgestützter Breitbandzugänge eine große Chance für neue Investitionen und mehr Angebotsvielfalt
besteht", so Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur. Er betonte, dass auch für die
Regionen, in denen bisher keine DSL-Angebote verfügbar sind, eine hohe Zahl von Frequenzanmeldungen
eingegangen sei. Dies zeige, "dass Pläne für drahtlose Versorgung bestehen, und so bundesweit
schnell ein flächendeckendes Breitbandangebot in Deutschland erreicht werden kann". Der Wettbewerb
im Breitbandmarkt soll nach Kurths Einschätzung durch diese Investitionspläne neue und zusätzliche
Impulse erhalten.

Bevor es soweit ist, sind allerdings für die Bewerber noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen:
Nach dem Willen der Bundesnetzagentur sollen zunächst die Interessenten untereinander verhandeln,
wer in den Streitfällen für welches Gebiet eine Zuteilung bekommt. Da das ausgeschriebene
Frequenzspektrum vergleichsweise schmal ist (in Österreich beispielsweise ist es dreimal so breit),
können sich maximal drei Bewerber ein Gebiet teilen. Nur wo keine Einigung erzielt werden kann,
will – beziehungsweise muss – die Agentur eingreifen. Das Problem dabei ist nur: Wer diese hundert
Bewerber im Einzelnen sind, darüber gibt die Behörde keine Auskunft – auch eine öffentliche Liste
existiert bislang nicht, schon gar nicht eine formale Koordinierungsinstanz. So ist über
Verhandlungsbemühungen kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Möglicherweise gehört dies bereits zum
Poker, in dessen Verlauf Experten einen regen Frequenzhandel erwarten. Von Seiten der
Bundesnetzagentur soll das Vergabeprozedere schon in Kürze in die nächste Runde gehen: Noch im
Frühjahr will sie die Festlegungen für das Vergabeverfahren zur Kommentierung veröffentlichen. Die
Vergabe der Frequenzen soll schließlich im Herbst folgen.

Was von der Bundesnetzagentur zu erfahren ist, sind allgemeine Angaben zur Struktur der
Bewerber. Diese ist demnach sehr heterogen: Neben Antragstellern aus dem Telekommunikationsmarkt
sind auch Interessenten aus den Bereichen Medien, Verlagswesen, Rundfunk und
Infrastrukturdienstleister mit dabei. Dies lässt ein breites Spektrum anvisierter Geschäftsmodelle
erahnen. Auch die Gebietsinteressen sind laut Agentur sehr unterschiedlich: Einige Bewerber hätten
Frequenzzuteilungen für das gesamte Bundesgebiet beantragt, andere für einzelne Bundesländer
beziehungsweise Teile von Bundesländern. Aber auch für regionale Versorgungsbereiche wie Städte,
Gemeinden und Landkreise seien sehr viele Anträge eingegangen.

Beobachter schätzen, dass es etwa zehn Interessenten für eine bundesweite Frequenzzuteilung
gibt. Darunter sind laut eigenen Ankündigungen die Deutsche Breitband Dienste (DBD), die
Betreibergesellschaft Wibeg Communications, die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck und die T-Com.
Letztere plant zum einen, die Funktechnologie in Regionen aufzubauen, in denen T-DSL bisher nicht
verfügbar ist. Dort wo es funktechnisch und wirtschaftlich sinnvoll ist, sollen so für Privat- und
Geschäftskunden Breitbandanschlüsse realisiert werden.

Etwa zehn Interessenten für bundesweite Frequenzen

Darüber hinaus schwebt der T-Com eine Art "portabler" DSL-Anschluss vor: In großräumigen "Hot
Zones" (analog zu den auf sehr kurze Distanzen beschränkten "Hot Spots" mit WLAN-Technik) will die
Telekom-Tochter flächendeckend drahtlosen Zugang zum Breitbandnetz bieten. Ob das dem deutschen
Wettbewerb im ohnehin extrem stark von der Deutschen Telekom dominierten Breitbandmarkt zuträglich
wäre, steht auf einem anderen Blatt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt betreibt die T-Com ein Wimax-Netz
nur im Rahmen eines sehr begrenzten Projekts in Bonn. ISP Transkom Kommunikationsnetzwerke und
Arcor haben Wimax-Installationen in Kaiserslautern, die vornehmlich zum Testen und Erfahrungen
Sammeln dienen.

Große Chancen rechnet sich die Deutsche Breitband Dienste aus. Das noch sehr junge Unternehmen
(gegründet im August 2003) hat sich aus der Konkursmasse von Star One eine beträchtliche Zahl an
WLL-Lizenzen (Wireless Local Loop) sichern können, die der gestrandete Provider seinerzeit bei der
PMP-RiFu-Versteigerung 1999 gewonnen, beziehungsweise kurze Zeit später von Otelo (vor dem Verkauf
an Arcor) erworben hatte. Auf dieser Basis betreibt DBD bereits heute an 27 Orten ein kabelloses
Breitbandzugangsnetz, das unter dem Namen "Dslonair" vermarktet wird. Den kabellosen
Breitbandzugang auf Wimax-Basis bietet das Unternehmen unter der Marke "Maxxtelekom" seit August
letzten Jahres in Heidelberg und seit November im Berliner Bezirk Pankow an. Die Standardprodukte
für Privatkunden haben eine asymmetrische Bandbreite, die mit Download-Geschwindigkeiten von 1,5
bis 3,5 MBit/s buchbar sind. VoIP-Telefonie ist Bestandteil des Angebots. Darüber hinaus bietet DBD
individuelle Produkte mit Bandbreiten von bis zu 155 MBit/s an. Ursprünglich war geplant, binnen 18
Monaten ganz Berlin mit Wimax zu versorgen. Berichten zufolge soll es jedoch zum Teil massive
technische Probleme geben. Ob das geplante Ziel in Berlin erreicht wird, lässt sich derzeit noch
nicht absehen.

Enges Frequenzspektrum behindert Wimax-Ausbau

Zu den Gewinnern von PMP-RiFu-Lizenzen gehörten seinerzeit auch Arcor (damals noch Mannesmann
Arcor) und BT Germany (damals noch Viag Interkom, deren Mobilfunksparte heute zu O2 gehört – der
Rest, inklusive Breitbandfunk wurde zwischenzeitlich als BT Ignite ausgegründet und später in BT
Germany umbenannt). BT Germany hält sich bei Wimax heute völlig zurück, zumindest was die
Netzbetreiberseite betrifft. Grund ist aber nicht Misstrauen in Wimax, das Betreiben eines
Funknetzes passe vielmehr nicht in das strategische Konzept von BT Germany. Arcor hingegen hätte
sehr wohl Interesse gehabt, im großen Stil bei Wimax einzusteigen, die Erfahrungen in
Kaiserslautern haben das Unternehmen aber offenbar nicht überzeugt.

Vor allem sei das von der Bundesnetzagentur angebotene Frequenzspektrum zu schmal, um in
interessanten Ballungszentren attraktive Datenraten anbieten zu können. Für höhere Datenraten müsse
man ein so engmaschiges Netz an Basisstationen aufbauen (Stückpreis immerhin zirka 100.000 Euro),
dass sich die Investition nicht mehr rechne. Den großflächigen Wimax-Ausbau hat sich Arcor erst
einmal abgeschminkt, wo es sich anbietet, will das Unternehmen Wimax jedoch nicht ausschließen.

Wenn es um Wimax geht, zeigt sich Intel seit einiger Zeit sehr spendierfreudig: 25 Millionen
Dollar an Pipex in England, 37 Millionen Dollar an Unwired Australia in Australien und eine sicher
beachtliche Summe, über deren Höhe die Beteiligten Stillschweigen vereinbart haben, an die DBD in
Deutschland. Diese Unterstützung von Wimax-Netzwerkbetreibern zählt zu einem langfristigen,
globalen Investitionsprogramm, das der Finanzarm von Intel, Intel Capital, aufgelegt hat.

Intel dominiert die Wimax-Szene

Die gesponserten Provider verpflichten sich im Gegenzug, beim Ausbau ihrer Netze und Dienste
sofern verfügbar Intel-Produkte einzusetzen. Neben Wimax-Chips und Technologie für Basisstationen
will Intel in diesem Jahr beispielsweise eine PC-Karte herausbringen, die Wimax unterstützt. Schon
bald sollen Wimax-Chips für Mobiltelefone und Dual-Mode-Chips für Wi-Fi und Wimax folgen. Ein
Prototyp von Letzteren wurde bereits auf dem diesjährigen Intel-Developer-Forum gezeigt. Zum Teil
ist mit der finanziellen Zuwendung auch eine direkte Beteiligung verbunden. Mit zum großen
Gesamtplan in Sachen Wimax gehören auch eine führende Rolle im Wimax-Forum (das inzwischen knapp
360 Mitglieder zählt) sowie Partnerschaften mit komplementären Technologielieferanten wie
beispielsweise Alcatel, Alvarion, Redline, Proxim Wireless (die Nachfolgeorganisation der
ehemaligen Proxim Corporation, die nach ihrem Konkurs im vergangenen Jahr von Terabeam gekauft
wurde) und Siemens Communications.

Mit Motorola hat Intel Ende letzten Jahres ein Bündnis geschlossen, um gemeinsam die
Standardisierung und Vermarktung von 802.16e voranzutreiben. Mit Huawei arbeitet Intel an "
Carrier-grade" Wimax für Telcos und mit Nokia an der schnellen Portierung von Wimax-Technologie in
Mobiltelefone. Wimax ist für Intel ein wesentlicher Geschäftszweig, aus dem das Unternehmen
möglichst schnell ein signifikantes Wachstum generieren will.

Chancen für Wimax

Die Zukunft von Wimax auf globaler Ebene scheint gesichert – in vielen weniger
industrialisierten Ländern gibt es mangels verkabelter Telefoninfrastruktur kaum eine Alternative.
In den Industrieländern und besonders in Deutschland indes bleibt die Sache bis auf weiteres sehr
spannend. Wenn es hier als primäre Zugangstechnologie nicht klappt, dann vielleicht – wie in den
USA – als Backup-Anbindung. Bellsouth, der erste Carrier in den Vereinigten Staaten, der im großen
Stil einen kabellosen Breitbanddienst anbietet, hatte nach der Katrina-Katastrophe in der
Golfregion in und um New Orleans außerplanmäßig ein Wimax-Netz aufgebaut, um die Bewohner der
Gegend so schnell als möglich wieder ans Internet zu bringen. Trotz der positiven Erfahrungen
wollen aber offenbar viele Nutzer auf das verkabelte Breitband zurück, sobald dieses wieder zur
Verfügung steht. Bellsouth bietet den Wimax-Service dort jetzt auch als Backup-Option an, die sich
für 30 Dollar im Monat zusätzlich zum verkabelten Anschluss buchen lässt. Ob das Modell Schule
macht – vielleicht mal das "Orakel" fragen …


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