Im VoIP-Markt (Voice over IP) steht ein historisches Ereignis unmittelbar bevor: Die weltweiten Umsätze bei den IP-TK-Anlagen sollen in Kürze erstmals die von klassischen Telefonsystemen überflügeln. Im Kampf um die Plätze erreicht die vor etwa einem Jahr begonnene Mittelstandsoffensive der entsprechenden Hersteller und Provider derzeit ein neues Hoch. Nicht zuletzt das Thema Managed Services nimmt in diesem Zusammenhang Fahrt auf.
Seit Jahren nehmen die Umsätze mit klassischer Telefontechnik beständig ab und die mit
IP-Technik zu. Im zweiten Halbjahr 2008 soll es nun soweit sein – der Schnittpunkt, ab dem die
IP-Umsätze höher liegen, soll erreicht werden. Einige Marktforscher hatten schon früher damit
gerechnet, jedoch flachte die Verkaufskurve der IP-Anlagen im Frühherbst vergangenen Jahres
überraschend deutlich ab. Lediglich ein Prozent betrug hier laut Dell´Oro "IP Telephony Enterprise
Report 1Q/2008" das durchschnittliche Wachstum in den Quartalen 4/2007 und 1/2008. Der Markt für
Telefonanlagen insgesamt war demnach im ersten Quartal 2008 sogar rückläufig – im Quartalsvergleich
schrumpften die Umsätze um vier Prozent auf 1,8 Milliarden Dollar und die Zahl der verkauften
Anschlüsse um zwei Prozent auf 13,9 Millionen. Ab dem zweiten Quartal 2008 prophezeit Dell´Oro
wieder ein Wachstum des Marktes, wobei die Größenordnung sehr stark davon abhänge, inwieweit es den
IP-TK-Anlagenherstellern gelingt, den Mittelstand von ihren Lösungen zu überzeugen. Hier
konstatiert Dell´Oro das bei weitem größte Wachstumspotenzial – nur jeder vierte verkaufte
TK-Anschluss basiere in diesem Segment heute auf IP-Technik.
Historisches zeichnet sich auch in der Landschaft der globalen Anbieter von TK-Anlagen ab.
Parallel zum Führungswechsel bei den Umsätzen schickt sich jetzt bei den Herstellern ein
IP-Anbieter an, die Gesamtführung im TK-Markt zu übernehmen: Bereits seit gut zwei Jahren mischt
sich Cisco regelmäßig in die Top-Five im Ranking nach verkauften Anschlüssen. Dieses wird in den
letzten Jahren unangefochten von Nortel und Avaya angeführt, während sich Siemens, NEC und
Alcatel-Lucent mit häufigen und heftigen Absatzschwankungen bei Platz drei abwechseln.
Kontinuierlich haben sich dagegen die Verkäufe beim Netzwerkprimus entwickelt: Zu Beginn des
zweiten Quartals 2008 lag Cisco bereits auf Platz zwei. Im zweiten Halbjahr 2008 gilt ein
Führungswechsel als höchstwahrscheinlich – ab dann hat Cisco auch bei den TK-Anlagen die Nase im
globalen Spiel vorne.
In Europa sieht die Sache noch etwas anders aus – nach wie vor dominieren hier Alcatel-Lucent
und Siemens im Wechsel, während Avaya und Nortel die Verfolgerrolle übernehmen. Das in Europa eher
glücklos mit Philips kooperierende Unternehmen NEC gehört hier nicht zu den Top-Playern –
stattdessen hielt sich das kanadische Unternehmen Aastra (in Deutschland mit seiner Tochter
Aastra-Detewe vertreten) eine Zeit lang auf Platz fünf. Diese Position musste Aastra bereits
letztes Jahr für Cisco räumen. Aktuell setzt Cisco in Europa bei Nortel und Avaya zum Überholen
an.
Als Zugpferd für den Mittelstand schlägt Dell´Oro beispielsweise
Unified-Communications-(UC-)Funktionen vor. Allerdings müssten diese gegenüber bisherigen Angeboten
in Installation und Pflege deutlich vereinfacht werden. Ideal wären auch Angebote als
Hosted/Managed Service. Eine deutliche Belebung gelänge im Mittelstand vor allem dann, wenn sich
Hersteller ein bestimmtes Trendthema bei den IP-TK-Anlagen zum Steckenpferd machen und dafür
mittelstandsgerechte Lösungen liefern würden. Als Beispiele nennen die Auguren neben UC etwa
Messaging und Sprachnavigation (IVR – Interactive Voice Response). Auch komplexere Aufgaben wie die
Integration von Mobiltelefonen (FMC – Fixed Mobile Convergence) und die Einbindung von entfernten
Arbeitsplätzen wären ideale Kandidaten für eine gewinnträchtige Aufbereitung als
Mittelstandsservice.
Neben den Services selbst und der Einfachheit bei der Anwendung sind jedoch – speziell in
Deutschland – offenbar noch begleitende vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich. So beobachtet
eine aktuelle Studie des Beratungshauses Berlecon Research in Kooperation mit der Fraunhofer ESK im
Mittelstand zwar eine Tendenz zu Managed Services für Telefonanlagen. Vor allem aber kleinere
Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern scheuen demnach die komplette Auslagerung im
Hosting-Modell. Experten sehen jedoch besonders bei diesen kleineren Mittelstandsunternehmen große
Sparpotenziale durch gehostete UC-Lösungen. Letztere sollen in diesem Umfeld mit geringen Kosten,
einfacher Migration und sehr überschaubarem Verwaltungsaufwand punkten.
Konkrete Ansätze, den Mittelstand zu gewinnen, haben unterschiedliche Gesichter: Alcatel-Lucent
zum Beispiel hat dieses Jahr dazu ihre "Business Integrated Communications Solution" (BICS) als
Schlüsselkomponente ins Rennen geschickt. In einer einzigen Appliance sind hier die wichtigsten
Elemente einer UC-Lösung samt Managementsystem zusammengefasst. Die Handhabung soll zwar von den
IT-Mitarbeitern eines mittelständischen Unternehmens zu bewältigen sein, jedoch wollte
Alcatel-Lucent dem Umstand Rechnung tragen, dass sich die anvisierte Zielgruppe oft nicht selbst um
technische Einzelheiten kümmern will. Dementsprechend gibt es neben der Kauf- auch eine besonders
forcierte Mietlösung für das System. Als Anbieter für BICS als Managed Service tritt unter anderem
T-Systems auf. Spezialisierte Provider wie die Deutsche Telefon Standard (DTSt) setzen für die
Eroberung des Mittelstands rein auf IP-Centrex-Lösungen. Besonderheit bei DTSt: Bedienung aller
Telefonfunktionen über den Internet-Browser mit dem Versprechen, ohne Handbücher auszukommen. Die
in einer Servicepauschale enthaltenen Funktionen umfassen auch "Spezialitäten" wie
Mobilfunkintegration, persönlicher Anrufbeantworter, Standortvernetzung, Home-Office-Anbindung,
Anwahl über Outlook, individuelle Warteschleifenmusik, Fax-to-E-Mail sowie Telefonkonferenzen mit
bis zu 200 Nebenstellen gleichzeitig.
Arcor hat sich jüngst für ihre neue UC-Mittelstandslösungen als IP-Centrex-Service mit
Konzernschwester Vodafone zusammengeschlossen. Der Clou der gemeinsam aufgesetzten "Central-Phone"
Lösung ist eine nahtlose Integration der Mobiltelefone mit der TK-Anlage ohne Umwege über WLAN,
Dual-Mode-Phones oder Drittanbieter. "Für den Arcor-Business-Kunden gibt es künftig nur noch ein
Endgerät, einen Ansprechpartner, einen Lösungsanbieter und eine Rechnung – sowohl für den
Internetzugang, den Telefonanschluss und Mobilfunk als auch für die Telefonanlage und für
korrespondierende IT-Services", so Mark Klein, seit Februar dieses Jahres Chef des
Arcor-Geschäftskundenbereichs.
Ungeachtet der verschiedenen Bestrebungen in Richtung Managed Service gibt es heute bei den
TK-Herstellen kaum einen, der nicht eine spezielle Produktlinie für den Mittelstand im Portfolio
hat. Populäre Beispiele aus Deutschland sind etwa Siemens mit "Hipath Open Office" und Swyx mit "
Swyxware Essential" (Softwarelösung). Swyx bietet mit ihren "Web Extensions" zudem ein besonderes "
Schmankerl" an: Nutzer der Swyx-Telefoniesoftware können mithilfe dieser Erweiterung webbasierende
Inhalte wie Google Maps, Börseninformationen oder RSS Newsfeeds mit Telefonaten verknüpfen. Auf der
Basis der übermittelten Rufnummer wird beispielsweise durch die Kombination verschiedener
Webdienste wie Onlinetelefonbuch und Google Maps die geografische Position des Anrufers ermittelt.
Daneben lassen sich auch lokale Wetterinformationen oder Sportergebnisse aus dem Zielgebiet des
Gesprächspartners ergänzen, um Anknüpfungspunkte in Kundengesprächen zu haben. 3CX hat als
europäischer Anbieter kürzlich seine Softwaretelefonanlage runderneuert und mit speziellen
Funktionen für kleinere und mittelständische Unternehmen ausgestattet. Die neue Version 6 kommt
jetzt unter anderem mit integrierten Telefonkonferenzen für bis zu 32 Teilnehmer, einer
Paging-Funktion zum Verbreiten von Nachrichten an definierte Nutzergruppen im Unternehmen und
Windows-2008-Server-Unterstützung. Letztere soll erlauben, das 3CX-Telefonsystem einfach zu
virtualisieren, ohne dass dafür ein zusätzlicher Server notwendig wäre.
Auch Cisco lässt sich in Sachen Mittelstandsengagement nicht lumpen: Erst jüngst hat sich der
Hersteller sogar mit Colt zusammengetan, um eine gemeinsame Vermarktungsinitiative für eine
speziell auf den Mittelstand zugeschnittene UC-Lösung zu starten. Das Angebot umfasst neben
Sprachübertragung und Internetzugang zahlreiche zusätzliche Funktionen je nach individuellem
Bedarf. Dazu gehören unter anderem Business-E-Mail, Firewall, Rufnummern für intelligente
Netzwerkdienste, Conferencing-Funktion sowie zusätzlicher Webspace. Nortel als Marktführer bei
Telefonanlagen insgesamt fühlte sich bislang im Bereich Mittelstandslösungen unterrepräsentiert.
Das Unternehmen hat sich kürzlich mit der Übernahme von Pingtel in diesem Sektor neu aufgestellt.
Mithilfe der Lösungen von Pingtel will Nortel die Funktionalität ihrer UC-Lösungen erweitern. Davon
soll insbesondere der Funktionsumfang von Nortels "Software Communication System 500" profitieren,
das speziell auf die Bedürfnisse des Mittelstands zugeschnitten ist. Abgesehen davon gab es in
diesem Jahr bislang kaum große Übernahmen im Bereich der TK-Anlagenhersteller – erwähnenswert ist
hier noch der Kauf des Enterprise Voice Business von Ericsson durch Aastra im März. Auch die
Open-Source-Gemeinde stürzt sich auf den vielversprechenden Markt. Tel2web beispielsweise stellte
kürzlich eine neue Serie Linux-/Asterisk-basierender Systeme vor, die neben einfacher Handhabung
insbesondere durch ihren modularen Aufbau und hohe Flexibilität glänzen soll.
Einer der großen Trends im Zusammenhang mit VoIP ist die Verschmelzung von Festnetz und
Mobilfunk (FMC) – auch abseits der aktuellen Bemühungen um den Mittelstand. Informa Telecoms
beispielsweise glaubt, dass der FMC-Markt bis 2012 ein Umsatzvolumen von 33,4 Milliarden Dollar
erreichen werde. Die Vision von FMC: Jeder Mitarbeiter ist so unter einer einzigen Nummer überall
erreichbar – ein Anruf lässt sich auf Wunsch gleichzeitig sowohl auf dem Büro- als auch auf dem
Mobiltelefon signalisieren. Adressbücher und Anrufbeantworter werden zentralisiert und damit aus
der Bindung an ihr Endgerät befreit. Und: Gespräche können ohne Neuanwahl übergeben werden – sei es
manuell durch Drücken einer Taste oder automatisch durch Roaming-Mechanismen im Hintergrund. Soweit
sich diese Funktionen durch Lösungen im Unternehmen realisieren lassen, legen die einschlägigen
Hersteller hier inzwischen eine beachtliche Kreativität an den Tag. Die meisten großen, aber auch
einige kleinere Hersteller wie etwa Innovaphone bieten zu ihren FMC-Lösungen auch eigene
(Dual-Mode-)Funktelefone an. Das Innovaphone-Gerät ist ein reines WLAN-Telefon, das aber über seine
VPN-Unterstützung auch von einem öffentlichen WLAN-Knoten irgendwo auf der Welt eine gesicherte
Anmeldung an der TK-Anlage im Unternehmen erlaubt. Ohne Einbindung in das Serviceangebot eines
Mobilfunk-Providers geraten Unternehmen jedoch leicht in eine Kostenfalle. Das gleichzeitige
Klingeln von Telefon am Arbeitsplatz und Handy beispielsweise lässt sich über die
Routing-Funktionen einer TK-Anlage sehr einfach realisieren. Nehmen die Mitarbeiter aber nun ihre
Gespräche bevorzugt mit dem Handy an, produziert diese Funktion schnell und unkontrolliert hohe
Mobilfunkgebühren.
Ökonomische FMC-Lösungen, die als abgestimmter Service unter Beteiligung von Mobilfunk-,
Festnetz- und Breitbandanbieter vermarktet werden, sind noch rar. Der Grund für die schleppende
Integration des Mobilfunk-Sprachverkehrs in eine durchgängige IP-Lösung liegt Beobachtern zufolge
im Wesentlichen in den Mobilfunk-Providern. Diese haben kein Interesse, ihre eigenen Tarife zu
torpedieren – dementsprechend drücken sie bei VoIP eher auf die Bremse, zumindest wenn es um die
Gebühren geht. Dies trifft sogar dann zu, wenn – wie im Fall Arcor und Vodafone – Fest- und
Mobilfunk-Provider für eine Lösung kooperieren. Die Deutsche Telekom hatte 2006 mit "T-One" einen
FMC-Service mit WLAN-VoIP-/GSM-Handy am Start, hat ihn aber schon ein halbes Jahr nach Einführung
wieder eingestellt, da nur "mehrere Tausend" Kunden sich für das Produkt entschieden hätten.
Inzwischen kommen vereinzelt FMC-Angebote auf den Markt, die den Handysprachverkehr per
IP-TK-Anlage auf ein IP-Netz routen und damit eine Menge Geld sparen, anstatt Kosten zu produzieren
– speziell bei internationalen Verbindungen. Orange Business Services etwa offeriert mit "Unik"
nach diesem Prinzip einen Service, den es in Varianten für große Unternehmen, für den Mittelstand
und sogar für Privatanwender gibt. In allen Fällen werden die Gespräche hier jeweils auf das
globale "Orange-Business-Talk"-Netzwerk weitergeleitet. Leider deckt die Hauptmarke der France
Telecom damit nur wenige europäische Länder ab – neben Frankreich sind dies im Moment Spanien,
England und Polen.
Der zweite Ansatz, IP-Telefonie auf das Handy zu bringen, besteht in der Installation eines
VoIP-Clients am Handy, der direkt mit einer Mobilfunk-Daten-Flatrate zusammenarbeitet. Ein Beispiel
dafür ist das Skype-3G-Internettelefon, das durch den Provider "3" (Hutchison 3G Austria)
vermarktet wird. Auch hier sperren sich die etablierten Mobilfunker – den Service gibt es deshalb
bislang nur in Großbritannien und Österreich. Allerdings ist er ohnehin eher auf Privatanwender
zugeschnitten – für die Business-Kundschaft gilt er hinsichtlich Handhabung, Stabilität und
Sicherheit als unzureichend. Deshalb sieht Qporter Schweiz jetzt mit einem neuen Service ihre
Chance: Die VoIP-Software "Qtalk" für Mobiltelefone als Consumer- wie auch als Business-Lösung
verfügbar. Letztere läuft über verschlüsselte Verbindungen und soll daher zumindest dem
Sicherheitsanspruch von Unternehmen gerecht werden. Den Qtalk-Client gibt es derzeit für Geräte auf
der Basis von "Symbian S60 3rd Edition" und Windows Mobile 5/6, aber auch Versionen für Apple
Iphone und Blackberry sollen in Kürze folgen.
Qtalk ist in der Schweiz sowie jetzt auch in Österreich und in Deutschland verfügbar. Allerdings
existiert eine große Einschränkung: Die Kommunikation läuft derzeit nur innerhalb des
Provider-eigenen Q-Net. Jedoch hat das Unternehmen angekündigt, in Kürze auch Kommunikation in die
herkömmlichen Fest- und Mobilfunknetze anzubieten. Wann und zu welchen Konditionen steht noch in
den Sternen. "Unser Ziel ist es, mit Qtalk die großen Kostenvorteile von VoIP endlich auch für
Millionen von Handynutzern verfügbar zu machen", erklärt Oswald Ortiz, Präsident und CEO bei der
Qporter-Mutter Qnective. "Herausgekommen ist bereits mit dem ersten Release eine Produktreihe, die
das Potenzial hat, internationale Mobilfunkmärkte völlig neu zu segmentieren."