"Vistas Komplexität bringt uns um, sie saugt das Blut aus den Adern unserer Entwickler", schrieb Microsofts Chefentwickler Ray Ozzie in einem internen Memo. Nicht nur er ist der Ansicht, dass Vista das letzte omnipotente Standalone-Betriebssystem sein wird. "Ob Programmgröße, Arbeitsumgebung oder die Kompatibilität mit bestehenden Systemen - Vista ist einfach zu voluminös und zu schwerfällig geworden", meint Prof. Davis Yoffie von der Harvard University. Sein Kollege Prof. Michael Cusumano vom MIT bringt es noch kürzer auf den Punkt: "Vista ist zu groß und zu komplex - es ist einfach nicht mehr managebar."
In der Tat ist Vista ein Softwarekoloss geworden: Es umfasst 50 Millionen Programmzeilen, das sind 40 Prozent mehr als bei XP. Laut dem Magazin "Business Week" sollen 10.000 Entwickler fünf Jahre daran gearbeitet haben, was bei einem durchschnittlichen Jahresgehalt von 200.000 Dollar allein zehn Milliarden Dollar an Personalkosten entspricht. Steve Ballmer ist der Frage nach den Entwicklungskosten bislang ausgewichen: "Ich bin sicher, es war sehr viel Geld; aber ich glaube nicht, dass das jemand genau ausrechnen kann."
Dabei ist Vista letztlich "schlanker" ausgefallen, als es ursprünglich geplant war: Das intelligente Speichersystem Win FS und viele andere Features hat Redmond schon 2004 beim Redesign gestrichen. Schon damals war zu erkennen, dass die exponentiell ansteigende Komplexität nicht mehr beherrschbar ist und der Terminplan damit hoffnungslos ins Rutschen gerät. "Die immense Komplexität von Vista macht die weitere Produktplanung und die erforderlichen Tests schwierig, sie schafft Sicherheitsrisiken und erzeugt letztlich Frustration bei den Endanwendern und Administratoren", schrieb Ozzie damals an das Team.
Die Gründe für dieses aus der Hand Gleiten sind vielfältig: Da sind zunächst Hunderte verschiedener Hardwarehersteller, die alle auf ein optimal auf ihr System angepasstes Betriebssystem bestehen, da sind weitere Tausende an Peripheriegeräten, die alle mit ihren maximalen Möglichkeiten betrieben werden müssen, und dann sind da noch Millionen an alten Programmen, die ebenfalls weiterhin auf dem neuen System betriebsfähig sein müssen. "Microsoft erstickt an den Kompatibilitätsproblemen; dagegen waren die Probleme der alten IBM-Mainframe-Welt harmlos", sagt Mendel Rosenblum, Informatikprofessor an der Stanford University in Kalifornien. "Bill Gates? Produktstrategie, die da lautet ?One Size Fits All?, ist endgültig überholt – Vista ist der letzte Dinosuarier", lautet sein finales Urteil über Vista.
Für die Zukunft sehen die IT-Experten für Microsoft nur zwei Möglichkeiten: Entweder Software as a Service (SaaS), wie es Google bereits erfolgreich forciert, oder eine klare Absage an die Kompatibilität, zumindest in einer ähnlichen Form, wie sie Apple beim Wechsel von OS 9 auf OS X vorgemacht hat. So laufen unter OS X zwar auch die OS-9-Programme, aber nur deshalb, weil dann separat OS 9 gestartet wird.
Dabei zeichnet sich ein leichter Trend zugunsten von SaaS ab. So hat Microsoft bereits mit Windows Live und Office Live erste bescheidene Schritte in diese Richtung unternommen. Und auch Microsofts Chief Operating Officer Kevin Turner sowie Ray Ozzie sehen in diesen Architekturen die Zukunft – warnen allerdings, dass es einen beachtlichen Unterschied zwischen den einfachen Endanwender- und den anspruchsvollen Business-Anforderungen gibt: "Man kann simple Web-Spreadsheets nicht so ohne Weiteres aufmotzen, um sie dann als Business-Lösung anzubieten", warnt er die CIOs vor voreiligen Schlüssen.
Harald Weiss/wg