Teleoptimierung in komplexen Weitverkehrsnetzen

Wartezeitverkürzer

17. Juni 2008, 22:00 Uhr | Dr. Gerhard Henke/wg Dr. Gerhard Henke arbeitet als Technical Manager bei Ipanema.

Effizienzsteigernde Maßnahmen wie die Konsolidierung von Rechenzentren, IT-Outsourcing und -Outtasking stehen hoch im Kurs. Übersehen wird dabei häufig, dass sie im WAN zu komplexen Strukturen führen können, die anfällig für Staus in Abläufen an der Quelle und am Zielort sind. In einem Netz mit vielen kleineren Niederlassungen kann Teleoptimierung kostengünstig Abhilfe schaffen und die Anwendungs-Performance sicherstellen.

Verschiedenen Analysteneinschätzungen zufolge arbeiten insbesondere in größeren Unternehmen
mittlerweile mehr als 50 Prozent der Belegschaft in Zweigniederlassungen. Beim Zugriff auf die
meist zentral installierten Anwendungen kann es zu Performance-Problemen kommen. Insbesondere durch
TCP (Transmission Control Protocol) sind Latenzen keine Seltenheit. Um diese Verzögerungen zu
verhindern und damit negativen Auswirkungen auf die Mitarbeiterproduktivität vorzubeugen, ist eine
Beschleunigung der Datenübertragung notwendig. Einen vielversprechenden Lösungsansatz bieten
Techniken, die die Durchsatzberechnung des TCP-Protokolls direkt beeinflussen. Kann man bei
kleineren Standorten ohne eigene Datenquelle dank Teleoptimierung auf die Installation von Hardware
verzichten, reduziert dies die Kosten.

Der Schlüssel zur Teleoptimierung liegt in der dynamischen Zuteilung verfügbarer Bandbreite:
Anders als bei MPLS (Multi-Protocol Label Switching) sind die Ressourcen nicht starr auf
Serviceklassen verteilt, sondern den Anwendungen flexibel gemäß Performance-Zielvorgaben
zugeordnet. Letztere definieren für jede Applikation im Netz deren Wichtigkeit, Typ sowie relevante
Grenzwerte für Bandbreite, Verzögerung (Delay), Laufzeitschwankung (Jitter) und Paketverlust. Um
eine optimale Ausnutzung der Bandbreite zu erzielen, berechnen autoadaptive WAN-Beschleuniger (WAN
Optimization Controllers, WOCs) sekündlich neue Parameter für die Zuteilung der Ressourcen.
Voraussetzung dafür ist, dass das System die Vorgänge im Netz praktisch in jeder Sekunde genau
kennt und weiß, wie viel Bandbreite gerade erforderlich ist und wie viele Ressourcen dafür zur
Verfügung stehen.

Diese Informationen erhält die zentral installierte Steuerungssoftware durch die permanente
Kommunikation mit den Hardware-Appliances, die in den größeren Niederlassungen am Übergang vom WAN
zum LAN installiert sind und die Datenströme permanent analysieren. Für die kleineren Standorte ist
bei einem solchen Ansatz keine eigene Hardware erforderlich: Es reicht aus, die zentrale Software
dementsprechend zu konfigurieren und die Hardware-Appliances um entsprechende Softwareinstanzen zu
erweitern. Auf diese Weise lassen sich die Messwerte in 1:N-Topologien ("One-to-any", also
sternförmig) ermitteln, aber auch in komplexen Some-to-many-Netzwerken, bei denen die kleineren
Standorte simultan mit mehreren Rechenzentren kommunizieren. An ihre Grenzen kommt die
Teleoptimierung allerdings in Any-to-any-Topologien (N:N, also voll vermascht), da hier die
einzelnen Niederlassungen untereinander Daten austauschen können. Dies funktioniert nur mit
installierter Hardware vor Ort.

Datenverkehr auf Anwendungsebene erfassen

Die Hardwareboxen am Übergang vom globalen ins lokale Netz analysieren jedes einzelne Datenpaket
im gesamten Netzwerkverkehr bis hinauf zum Layer 7 des OSI-Modells (Anwendungsebene) in Echtzeit.
Die Appliances synchronisieren dafür die erhobenen Messdaten in Millisekundenabständen.

Die Erfassung und Erkennung der laufenden Anwendungen erfolgt anhand der Adressorientierung der
Datenpakete, des IP-Protokolltyps, der genutzten Ports sowie des Verbindungsaufbaus. Für jedes
Datenpaket werden einzelne Leistungsparameter wie Verzögerung, Jitter, Paketverlust und Durchsatz
genau ermittelt. Für den Datenverkehr zwischen den Rechenzentren mit Hardwareboxen lassen sich
dabei von LAN zu LAN unidirektionale Messungen durchführen, die auch asymmetrische
Netzwerkkonfigurationen wie Client-Standort/Server-Standort, asymmetrische Kapazitäten (ADSL) oder
die Überlastung in nur einer Richtung berücksichtigen.

Den Datenverkehr fernverwalteter Standorte erkennen die Geräte anhand ihrer
Topologieinformationen. Da diese Datenströme nur eine Appliance passieren, sind unidirektionale
Messungen nicht möglich. Es lassen sich jedoch alle für den TCP-Verkehr relevanten Metriken
erfassen: RTT (Round Trip Time, also die Verzögerungen beim Versand der TCP-Pakete vom Standort A
nach B und zurück), TCP-Retransmissions und die Serverantwortzeit, also die Zeit zwischen dem
Empfang einer Anfrage und dem Start der entsprechenden Antwort durch den Server.

Dynamische Verkehrsregulierung

Auf Basis der gemessenen Livedaten gleichen derartige WOCs den aktuellen Bandbreitenbedarf
dynamisch mit der gerade verfügbaren Netzwerkkapazität ab. Dabei weisen sie jedem einzelnen
Anwendungsstrom unter Berücksichtigung seiner spezifischen Performance-Anforderungen in Echtzeit
die erforderlichen Ressourcen zu. Ein adaptiver Queuing-Algorithmus teilt die Applikationen
dynamisch in optimal abgestimmte Klassen ein.

Um zu verhindern, dass sich die Sessions der verschiedenen Anwendungen innerhalb einer Klasse
wechselseitig stören, werden die Warteschlangen mithilfe so genannter "Hierarchical Token Buckets"
bedient. Mit ihnen erhält jeder Datenstrom nur die ihm zustehenden Ressourcen. Messungsbedingt
setzt die Optimierung an den Standorten ohne Appliance leicht verzögert ein, was beim TCP-Verkehr
keine negativen Auswirkungen hat. Da jedoch die Gefahr besteht, dass beim UDP-Verkehr (User Data
Protocol) zeitliche Verzögerungen auftreten, empfiehlt sich bei einem umfangreichen Einsatz von
UDP-basierten Anwendungen wie Voice over IP der Einsatz zusätzlicher Hardware.

Beschleunigung des TCP-Verkehrs

Wird der TCP-Verkehr beschleunigt, indem man die Durchsatzberechnung des Protokolls beeinflusst,
können auch fernverwaltete Standorte voll davon profitieren. Die relevanten Messwerte werden in den
Hardware-Appliances erhoben. So macht sich der WOC sein Wissen über die benötigte und die
verfügbare Bandbreite zunutze, um damit die Kontrollfunktion des verbindungsorientierten Protokolls
zu "überlisten" und die Größe des Übertragungsfensters zu manipulieren.

Denn das TCP-Protokoll startet normalerweise – um Datenstaus zu vermeiden – bei der
Verbindungsaufnahme mit einem kleinen Zeitfenster, in dem es Datenpakete von der Quelle zum Ziel
überträgt. Verläuft die Übertragung erfolgreich, erhöht es die Fenstergröße bis zu einem
Maximalwert. Wird der Empfang der verschickten Pakete jedoch nicht permanent bestätigt, halbiert
das Protokoll das Zeitfenster wieder. Durch das ständige Vergrößern und Reduzieren des
Übertragungsfensters während des Datentransfers erreicht die Leistung im Betrieb schlimmstenfalls
nur die Hälfte des von der Infrastruktur vorgegebenen Grenzwerts. Damit verschenkt TCP
Netzkapazitäten – sowohl während der Zeit, die zum Herausfinden der maximalen Fenstergröße nötig
ist, als auch während des späteren Übertragungsvorgangs.

Ist durch die Analyse des Datenverkehrs jedoch bekannt, welche Ressourcen verfügbar sind, lässt
sich die Fenstergröße sofort auf das optimale Maß setzen. So realisiert das System für alle
Applikationen die bestmöglichen Durchsatzraten, was die Arbeit stark beschleunigt. Der optimale
Wert für die Übertragungsfenster lässt sich dabei sowohl über das Monitoring der verfügbaren
Bandbreiten als auch durch Zielvorgaben für jede Session bestimmen.

Teleoptimierung stellt eine kostengünstige Lösung dar, um in komplexen Netzwerken mit mehreren
Rechenzentren und vielen kleineren Zweigstellen stets die Anwendungs-Performance, insbesondere die
des TCP-Verkehrs, sicherzustellen. Eine dynamische Bandbreitenzuteilung vermeidet Wartezeiten an
der Quelle wie am Zielort.


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Lampertz GmbH & Co. KG

Matchmaker+