EU-Kommission nach Microsofts IE-Entscheidung massiv unter Druck

Windows 7 E: Microsoft bringt die EU in Bedrängnis

14. Juni 2009, 22:57 Uhr |

Microsoft hat mit seiner Ankündigung, Windows 7 in Europa ohne Internet Explorer auszuliefern, die EU-Kommission vorerst ins Abseits manövriert.

Viel Frust in Brüssel: "Wir wollen, dass der Enduser mehr Auswahl bei den Browsern hat – nicht
weniger" hieß es am Freitag in einer Erklärung, nach dem Microsoft in einem Schreiben an die
PC-Hersteller (OEMs) mitgeteilt hatte, dass es für Europa eine "Version E" von Windows 7 geben
wird, die keinen Internet-Browser enthält.

Mit dieser Microsoft-Entscheidung hat sich das Verfahren der Brüsseler Kartellwächter auf
Abkoppelung des IE von Windows zum Eigentor entwickelt. Denn Windows 7 ohne IE bedeutet nicht nur
weniger Auswahl, sondern zunächst einmal gar keine Auswahl, denn ein System ohne Browser erlaubt
praktisch keinen Download von irgendeinem Browser.

So bieten sich für die Browser-Installation bei Windows 7 E noch drei Wege an:

1. Technisch versierte können sich vermutlich eine FTP-Verbindung einrichten, und darüber einen
Browser herunterladen. Die Lösung entfällt aber für die Masse der Endkunden.

2. Die PC-Hersteller oder der Handel installieren einen oder mehrere Browser.

3. Die Browser-Hersteller verteilen CDs, so wie es zu guten alten Internet-Pionierzeiten von AOL
praktiziert wurde.

Für den ersten Fall könnte Microsoft den Anwendern eventuell mit einem einfachen FTP-Client zu
Hilfe kommen, doch selbst dann wird diese Lösung nur von wenigen Anwendern angenommen werden.

Beim zweiten Fall werden sich die Hersteller und Händler fragen, welchen – oder welche – Browser
sie vorinstallieren sollen.

Zwei Überlegungen dürften dabei im Vordergrund stehen: Die Systemstabilität in Verbindung mit
Windows und die bisherige Verbreitung und Bekanntheit. Beides spricht für den IE.

Da diese Unternehmen aber von Microsoft unabhängig sind, lässt sich die kombinierte
Vorinstallation von IE und Windows kartellmäßig nicht angreifen, und möglicherweise installieren
einige OEMs tatsächlich mehrere Browser, um sich damit im Markt einen kleinen Konkurrenzvorteil zu
erhoffen.

Charles King von Pundit glaubt an ein solches Vorgehen: "Viele OEMs haben sich auf bestimmte
Märkte fokussiert, und sie wissen sehr gut, welche Browser-Präferenzen es bei ihren Abnehmern gibt."

Vielleicht aber entscheiden sich die meisten Hersteller doch gegen jede Browser-Installation, da
sie nicht in den milliardenschweren Kartellkampf zwischen Microsoft und der EU hineingezogen werden
wollen.

Dann bleibt nur noch Lösung drei: CDs unters Volk bringen. Wie einst von AOL, so lassen sich
auch von jedem Browser-Hersteller kostenlose CDs bei jedem Händler an Kasse auslegen, sie können
auch als Hauswurfsendung verteilt oder als Beilage in Anzeigenblättern eingelegt werden.

Abgesehen von der Umweltbelastung dieser Aktion können sich von den Browser-Anbietern nur zwei
Unternehmen eine solche Maßnahme problemlos leisten: Microsoft und Google. Ob Google aber bereit
ist, im Kampf um Browser-Marktanteile so viel Geld auszugeben, ist mehr als zweifelhaft.

Folglich wird die kostenlose CD, die man beim Kauf von Windows 7 E automatisch in die Hand
gedrückt bekommt, wohl nur den IE enthalten. Und wer sich einen neuen PC oder Laptop kauft, wird
ebenfalls in seiner Tüte nur eine IE-CD vorfinden.

Den Brüsselern sei dann Dank für so viel Geld- und Ressourcenverschwendung. Natürlich passen auf
eine solche CD nahezu alle gegenwärtig verfügbaren Browser, doch wer will für diese CD die Kosten
übernehmen? Microsoft könnte eventuell dazu bereit sein – falls die EU die Redmonder darum bittet
und die EU entsprechende Gegenleistungen aufbringt.

Aber selbst wenn es den Herstellern von Firefox, Opera, Safari, Chrome und all den anderen
gelingen sollte, ihre Browser konkurrierend zum IE unters Volk zu bringen, so wird das nicht viel
an den Marktanteilen der Nutzung ändern. Grund dafür ist, dass alle Windows- und Office-Updates nur
mit dem IE möglich sind. Das heißt, alle anderen Browser werden auch in Zukunft immer nur parallel
zum IE zum Einsatz kommen. Das alleine ist vermutlich schon Grund genug, dass der Handel, auf jeden
Fall dem Kunden eine IE-CD mit an die Hand geben wird.

Mozillas CEO John Lilly hat bereits eine Vermutung, wohin die Reise gehen wird:"Ich weiß zwar
noch nicht genau, wie Microsoft sich die Distribution des IE in Zukunft vorstellt, aber es kann gut
sein, dass sie sich mit der einen Hand das zurückholen, was sie zuvor mit der anderen gegeben
haben."

Die Hoffnung Lillys und der anderen IE-Konkurrenten bestand ursprünglich darin, dass Microsoft
sein neues Windows 7 mit verschiedenen vorinstallierten Browsern ausliefert wird, unter denen sich
der Anwender beim ersten Hochfahren entscheiden soll.

Doch diese Vorstellung ist jetzt wohl endgültig vom Tisch. "Brüssel kann keinen Hersteller
zwingen, Konkurrenzprodukte zu integrieren", sagt William Page, Rechtsprofessor an der University
of Florida und Verfasser mehrerer Bücher über die Hightech-Kartellverfahren in Europa und den
USA.

Er vergleicht die Idee mit der Browser-Auswahl bei Windows mit einer Forderung an einen
Autohersteller, gleichzeitig auch die Motoren von Konkurrenzunternehmen mit anzubieten. "Sollte die
EU-Kommission so etwas von Microsoft verlangen, so haben sie beste Aussichten, dagegen vor Gericht
zu ziehen", so seine Einschätzung der Rechtslage.

Die Auswahlidee der Kommission war wohl von Anfang an ein Traum aus Tausendundeiner Nacht.
Zunächst gibt es dabei handfeste praktische und rechtliche Probleme. So lassen sich sinnvoller
Weise nur drei bis fünf Browser vorinstallieren – doch die Festlegung, um welche fünf es sich dabei
handelt, gäbe genügend Grund für direkte Kartellklagen derjenigen Anbieter, die nicht
berücksichtigt wurden.

Und schließlich: Jeder, der Microsofts Geschäftspraktiken in den letzten Jahre beobachtet hat,
weiß genau, dass Microsoft niemals seine Marktmacht für ein Fremdprodukt bereitstellen wird – schon
gar nicht bei einem strategisch so bedeutenden Werkzeug wie dem Web-Browser.

Doch genau das erhofft man sich bei Opera noch immer. "Der Microsoft-Weg ist völlig
unzureichend. Mit Windows 7 ohne IE können sie sich nicht einfach aus dem Staub machen", meint
Hakon Wium Lie, Cheftechnologe bei Opera.

In diesem Zusammenhang wird übrigens sehr deutlich, wie wichtig heute ein Browser auf einem PC
geworden ist. Da gibt es einerseits den beachtlichen Erfolg der Netbooks sowie die extrem hohen
Downloadraten bei neuen Web-Browsern; andererseits ist ein deutlicher Unwille bei den Endanwendern
zu erkennen, wenn es darum geht, von Windows XP auf Vista zu wechseln. Dies beweist, dass für viele
Anwender der Internet-Zugang inzwischen viel wichtiger geworden ist, als der Funktionsumfang des
Betriebssystems.

Harald Weiss/wg


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