Digitalisierung der Bildung

Kommt das digitale Klassenzimmer?

4. Dezember 2018, 12:29 Uhr | Autorem: Jenny Tobien und Basil Wegener, dpa / Redaktion: Axel Pomper
© Andriy Popov - 123RF

Ist Deutschland bereit für die Digitalisierung der Schulen? Während die Politik intensiv über das Großprojekt streitet, gehören Tablets und WLAN an manchen Schulen längst zum Alltag. Doch ganz unumstritten ist digitaler Unterricht nicht.

Für die Smartphones der Schüler gibt es ein kleines Wandregal neben der Tür des Klassenzimmers. Ausgerechnet eine Vorreiterschule in Sachen Digitalisierung lässt die Geräte im Unterricht nicht zu. Die Teenager legen sie in die passgenauen Fächer. Englisch-Kurs, 12. Jahrgangsstufe im Carolinum in Neustrelitz. Während die Politik derzeit darum streitet, auf welchem Weg alle Schüler in Deutschland bald digital unterrichtet werden könnten, gehören im Carolinum digitale Hilfsmittel und WLAN längst zum Alltag.

So haben die Jugendlichen ihren eigenen Tabletcomputer, mit dem sie sich interaktiv am Unterricht beteiligen können. Englischlehrer Jasin Peña Cabrera (30) geht mit seinem iPad auf und ab. 14 Schüler sitzen an drei großen, runden Tischen. Sie wirken sehr aufmerksam, keiner guckt aus dem Fenster auf den idyllischen See neben der Schule. Die Blicke gehen abwechselnd zum Lehrer und auf die eigenen Bildschirme. Cabrera ruft Bilder und kleine Texte auf, die zeitgleich auf den Geräten der Schüler erscheinen.

«What do you want to choose?», fragt der Lehrer und ruft Bilder von Gerichten zum Essen auf. Pizza, Salat, Hamburger. Was würdet ihr auswählen? «Definitely the pizza», sagt die 18-jährige Henriette. Auf jeden Fall die Pizza. Andere mögen die anderen Sachen lieber, es wird ein bisschen diskutiert. Dann lässt Cabrera plötzlich Bilder von Babys auf den Tablets erscheinen: kleine Mädchen in Rosa, kleine Jungs in Blau. Er fragt, wer später einmal Kinder haben möchte. Die Schülerinnen und Schüler grinsen, manche machen «Ooh» und «Aaah», weil die Babys süß aussehen.

In der nächsten Sekunde ruft der Lehrer Bilder von Baby-Augen, Baby-Haaren und anderem auf. Die Frage dazu: Welche Augen- oder Haarfarbe sich die Schüler für ihr Baby wünschen. Einige antworten spontan, andere werden aufgerufen. Dann die Frage des Lehrers: «Is it possible to do that, to "order" a baby like that?» («Ist es möglich, ein Baby auf diese Weise zu "bestellen"?»). Schon ist der Lehrer beim Thema Genmanipulation und «Designer-Babys». Eine ernste Diskussion setzt ein.

Ein Schüler meint, möglicherweise wird so etwas eines Tages tatsächlich möglich sein. Ein anderer sagt, dass ein Mensch, wenn er älter wird, es sicher nicht haben möchte, dass seine Eltern da irgendetwas ausgewählt haben. Der Lehrer startet dazu eine kleine spontane Umfrage. Die Schüler drücken auf Antwortoptionen auf den Tablets. Die anonyme Auswertung erfolgt sekundenschnell. Dazu erneut Bilder, aber auch kleine Texte und Kernsätze. Die Schüler diskutieren inzwischen über den Skandal um die angeblich ersten genetisch veränderten Babys. Manche machen sich immer wieder handschriftliche Notizen auf Papier. Ein chinesischer Forscher hatte Ende November behauptet, die Genome von Zwillingen manipuliert zu haben.

So oder ähnlich kann das ablaufen, worüber die Politik, aber auch viele Eltern, Lehrer und Schüler derzeit heftig diskutieren: Unterricht mit digitalen Mitteln. «Digitalisierung bringt die Urform der Didaktik wieder nach vorne», sagt der Rektor des Carolinums, Henry Tesch (56). Die Bundesregierung will, dass die Schulen in Deutschland ab Anfang 2019 unter anderem mit fünf Milliarden Euro vom Bund mit digitaler Technik wie WLAN und Tablets ausgestattet werden. Entsprechende Lerninhalte und Weiterbildung von Lehrern sollen den Weg in die digitale Schulzukunft ebnen.

Am 6. Dezember soll in der Kultusministerkonferenz der Länder eine Vereinbarung von Bund und Ländern beraten werden, die die Details regelt - etwa, wie das Geld für die neuen Geräte konkret zu den Schulen fließen soll. Doch das Problem ist: Bildung ist Ländersache, der Bund hat hier weder etwas zu sagen, noch darf er die Schulen grundsätzlich mitfinanzieren. Deswegen will die Koalition mit Hilfe von FDP und Grünen das Grundgesetz ändern.

Doch auch die Länder müssen mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Zuerst machten Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen mit Blick auf die letzte Bundesratssitzung in diesem Jahr ihre Ablehnung deutlich. Dann kamen noch mehrere andere Länder mit Kritik. Also wird wohl der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen - Ausgang offen.

Rektor Tesch findet den Digitalpakt überfällig. Andere Länder seien schon viel weiter, deshalb müsse es jetzt dringend losgehen. «Dann könnte es Deutschland schaffen, hinten am Zug noch mit dem letzten Wagen anzudocken.» Tesch ist überzeugt. Er hat seine Schule in jahrelangem Engagement und gegen reichlich Widerstände, wie er erzählt, mit digitalisiert. Ein Streitpunkt beim Aufbau des digitalen Lernsystems: die Tablets - und wer diese bezahlt. Geregelt ist das am Carolinum so, dass die Schüler diese selbst mitbringen. Schülern aus sozialschwächeren Elternhäusern wird das Tablet vom Schulträger, dem Landkreis, finanziert, teil mit Unterstützung des Schulvereins.


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  2. Kein vollständig digitaler Unterricht

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