Digitalisierung der Bildung

Kommt das digitale Klassenzimmer?

4. Dezember 2018, 12:29 Uhr | Autorem: Jenny Tobien und Basil Wegener, dpa / Redaktion: Axel Pomper

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Kein vollständig digitaler Unterricht

Tesch kennt den Bildungsbetrieb seit Jahrzehnten. Während der friedlichen Revolution hat er in Leipzig studiert, war bei den Montagsdemos teils auch dabei. 1990 fing er als Lehrer an. Tesch war bereits Schulleiter, als er 2006 für fünf Jahre als CDU-Bildungsminister in die Regierung seines Landes wechselte. Zwischenzeitlich war er Präsident der Kultusministerkonferenz. Dann kehrte er nach Neustrelitz zurück.

Doch wie kommen die digitalen Lehrmethoden an die Schulen? Englischlehrer Cabrera meint, er habe sein Pizza-Designerbaby-Programm selbst zusammengestellt. Doch auch Schulbuchverlage bemühen sich, passende Angebote zu machen. Das Carolinum nutzt ebenso wie 66 andere Schulen in Deutschland die Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts (HPI). Dank des vom Bundesministerium für Bildung unterstützten Projekts können Schüler und Lehrer quasi von überall arbeiten. «Alles was es braucht sind Tablets und ein Browser», sagt Matthias Luderich vom HPI in Potsdam.

Im Unterricht aber auch von zu Hause können die Schüler auf Lernmaterialien zugreifen, eine Software zum Zusammenarbeiten und einen Messenger nutzen oder gemeinsam Office-Dokumente bearbeiten. «Und anders als die Angebote amerikanischer Unternehmer ist die HPI-Schul-Cloud datenschutzkonform, sagt Luderich.

Auch er betont, dass das nur ergänzende Methoden sind: «Einen vollständig digitalen Unterricht, in dem ich im schlimmsten Fall keinen Lehrer mehr brauche, sondern eine Software - das ist weder realistisch noch wünschenswert.»

Die Digitalisierung in der Bildung ist nicht unumstritten. «Nachdenken First», warnte Wolfgang Schimpf, Schulleiter eines Göttinger Gymnasiums und Vorsitzender der niedersächsischen Direktorenvereinigung kürzlich in der «Süddeutschen Zeitung». Er wünsche sich «keine Verweigerung, aber auch keine unkritische Übernahme», sondern eine «Digitalisierung mit Augenmaß».

Lehrkräfte würden sich künftig häufiger als Moderator, Anreger und Berater verstehen. «Doch dürfen sie dabei nicht vergessen, dass wir sie vor allem als Helfer für die Persönlichkeitsentwicklung brauchen», so Schimpf. Und: «Das Einmaleins oder neue Lateinvokabeln, Lernen also, das vor allem der Wiederholung bedarf, werden Formen künstlicher Intelligenz in der Tat bald besser vermitteln können. Das anspruchsvolle Gespräch über die Faustlektüre in der Oberstufe aber kann der beste Computer nicht ersetzen.»

Matheunterricht im Carolinum, Raum 304. Lehrer Hans-Herbert Larisch steht mit seinen 65 Jahren kurz vor der Rente. Sorgen, dass seine Schüler nicht mehr eigenständig lernen, hat er nicht. «Ich kann mich noch erinnern, als die Taschenrechner in der DDR in der Schule eingeführt wurde, da hieß es auch, die Kinder können bald nicht mehr rechnen.»

Larisch gibt den Schülern eine Aufgabe mit einer Gleichung. Kurvendiskussion. Kurz danach werden die Ergebnisse besprochen: Ein Schüler zeigt auf einem riesigen Flachbildschirm vorne rechts im Raum, was er erarbeitet hat. Hier sieht man eine Kurve in einem Koordinatensystem, die durch die Gleichung beschrieben wird - je nach Änderung von Zahlen in der Gleichung ändert sich die Form der Kurve. «Das kann man viel leichter nachvollziehen, als wenn das alle erst mal in ihr Heft zeichnen», sagt Larisch.

Nervt es die Schüler nicht, ständig einen Bildschirm vor der Nase zu haben und digital sein zu müssen? Jakob (17) aus der Matheklasse meint: Nein. «Diese Technik ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.» Neben dem iPad hat er daheim eine Spielkonsole, einen Laptop - sowie ein Smarthome-System, mit dem man beispielsweise die Beleuchtung steuern kann.

Doch sind die Schüler von ihren Tablets nicht auch abgelenkt? Internetzugang haben die Geräte während Klassenarbeiten oder Abitur nicht. Im regulären Unterricht in der Regel schon. Dass die Schüler zwischendurch nicht mal auf dem iPad daddeln, kann der Rektor nicht ausschließen. «Wir haben ja früher auch mal Schiffe versenken gespielt, wenn es langweilig war», sagt Tesch. Er meint: «Wir müssen die Technik, wenn sie da ist, nutzen und nicht verteufeln.»

Und er möchte nicht ständig betonen müssen, dass er, die Lehrer und nach Möglichkeit auch die Schüler auch Bücher lesen. Das sei doch selbstverständlich, sagt Tesch. «Natürlich muss der Mensch schlafen», meint er weiter. Dass die Handys abends oder auch in der Schulmensa weggelegt werden, betrachtet er als Ausdruck von «kulturellem Anstand».

Auch Lehrer andere Schulen kommen zur Weiterbildung ans Carolinum nach Neustrelitz. Ihnen rät Rektor Tesch zu Mut und Tempo: «Fangt einfach an, denn die Digitalisierung ist morgen nicht zu Ende.»


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