Nach der Übernahme von Tenovis durch Avaya: Kritische Masse gegen Siemens. Konkurrenten und Partner staunten nicht schlecht, als Avaya vor rund vier Monaten bekannt gab, den Frankfurter TK-Hersteller Tenovis zu übernehmen. Ob die Amerikaner durch den Zukauf endlich ein ernst zu nehmender Player auch auf dem europäischen Markt werden, ist jedoch noch völlig offen.
Warum sich die junge US-Netzwerkfirma ausgerechnet die über hundertjährige »Tante« Tenovis einverleiben musste, gab Avayas Marketingvorstand Jocelyne Attal kürzlich ganz unverhohlen zu: »Wir haben jetzt die kritische Masse in Deutschland, um das Spiel gegen Siemens zu eröffnen.« Bis dato trumpfte Avaya zwar mit modernen IP-Telefonielösungen auf, die hierzulande jedoch außer im Call-Center-Geschäft kaum Käufer fanden. Im Zuge der weltweit steigenden Nachfrage nach VoIP-Lösungen für Geschäftskunden hofft Avaya durch die Tenovis-Übernahme nun aber auf einen besseren Marktzugang nach Mitteleuropa.
Zum leichten Spiel dürfte die Hatz auf den Branchenprimus Siemens nicht werden: Trotz der harten Umstrukturierung, die der bisherige Eigner Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) der früheren »Telenorma« verordnet hatte, gilt das Unternehmen als wenig Channel-freundlich, während es parallel einen kostspieligen Direktvertrieb finanziert. Der Erzrivale fuhr stattdessen in den letzten Jahren seinen Direktvertrieb spürbar herunter und belebte das Partnergeschäft unter der Leitung des Partner-Vertriebschefs Erol Kirilmaz deutlich. Der Direktvertrieb kostet Tenovis viel Geld und sorgt immer wieder für Probleme. In den vergangenen Jahren beschwerten sich bei CRN zahlreiche Systemhäuser über das Geschäftsgebaren der Tenovis-Vertriebsmitarbeiter, die immer wieder mit Dumpingpreisen im Projektgeschäft auffielen. Bei einer 800.000-Euro-Ausschreibung einer Bank im bayrischen Regensburg unterbot Tenovis beispielsweise zwei Konkurrenten um über 400.000 Euro. »Die bieten Preise jenseits von gut und böse«, ärgert sich auch ein norddeutscher Händler. Beinahe quer durch die Republik genießt der Tenovis-Direktvertrieb den zweifelhaften Ruf, mit subventionierten Kampfpreisen das Geschäft zu verderben.
Diese Vertriebspolitik soll offenbar nicht fortgesetzt werden: Avaya-Tenovis will künftig mit einem Multi-Channel-Vertriebssystem am Markt operieren. »Unser Go-to-Market-Modell beinhaltet Distributoren, Reseller, strategische und nationale Vertragspartner, Value Added Reseller sowie Direktvertrieb«, erläutert Avaya-Tenovis Vice President Germany, Michael Weiss, gegenüber CRN die neuen Pläne. Fraglich allerdings, ob der verbrannte Boden, den der Tenovis-Direktvertrieb hierzulande hinterlassen hat, schnell aufgeforstet werden kann: Selbst einstmals starke Tenovis-Partner arbeiten inzwischen lieber mit Siemens oder Alcatel zusammen.
Ungewiss ist auch, ob der Tenovis-Kundenstamm seine »Integral«-Telefonanlagen nun zügig gegen die reinen IP-Telefonlösungen von Avaya austauschen wird. Diese Bedenken hegt offenbar auch der Vice President: »Das Produkt- und Serviceportfolio wird derzeit beibehalten. Avaya-Tenovis investiert weiter in sämtliche Produktreihen und -familien.« Wie bisher werde man die Tenovis-Lösungen in Europa vertreiben, auf dessen Markt sie zugeschnitten sind. »Entscheidend ist, dass wir die Investitionen unserer Kunden schützen und weitere Ressourcen in die existierenden Techniken stecken«, verdeutlicht Weiss den Produkt-Fahrplan. Erst die nächste Produktgeneration soll in gemeinsamer Entwicklungsarbeit mit Avaya erfolgen. Allein schon wegen bestehender Kundenverträge muss Avaya-Tenovis die aktuellen Tenovis-Produkte wie die hybriden TK-Anlagen »Integral 5« und »Integral 55« voraussichtlich bis 2012 weiterentwickeln. Um die hierzulande von Avaya nur in bescheidenen Stückzahlen abgesetzten, reinen IP-Systeme »IP Office« und »Communication Manager« an den Mann zu bringen, will Avaya-Tenovis allerdings schon bald ein Terminal auf den Markt bringen, das alle Systeme unterstützt.
Weiteres Ungemach könnte Avaya beim Kampf gegen Siemens durch die prall gefüllte Kriegskasse des Widersachers drohen. Seit Monaten erwarten Analysten eine größere Akquisition des Münchner Konzerns. Nicht unwahrscheinlich, dass sich Siemens ein Unternehmen aus dem Netzwerk-Bereich einverleibt und Avaya auf diese Weise stärker als bisher Konkurrenz auf dem nordamerikanischen Heimatmarkt macht.
Mitte November letzten Jahres übernahm Avaya die Tenovis GmbH & Co. von der US-Investmentfirma Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR). Durch die Übernahme soll der außeramerikanische Anteil an den Umsätzen von Avaya von 25 Prozent auf rund 40 Prozent steigen. Der US-Konzern zahlte dafür 370 Millionen US-Dollar in bar und übernahm 265 Millionen US-Dollar Schulden.
Tenovis, zuvor als »Bosch Telecom« und »Telenorma« auf dem Markt aktiv, zählte zuletzt 5.500 Beschäftigte und setzte damit 890 Millionen Euro um ? deutlich weniger als in den Vorjahren. Das neue Unternehmen Avaya-Tenovis ist mit 7.000 Mitarbeitern und rund 200.000 Kunden die Nummer drei unter den Anbietern von Business-Kommunikationslösungen in Europa.
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