Editorial CRN 39/2017

Wasser auf die Mühlen völkisch-rassistischer Wirrköpfe

28. September 2017, 17:12 Uhr | Martin Fryba

Fake oder Fakt? Wenn selbst namhafte Nachrichtenmagazine digitale Schnelligkeit vor journalistische Sorgfaltspflicht stellen, ist es um die Qualitätsmedien schlecht bestellt. Die nächste Welle der Desinformation wird noch dramatischer.

Editorial

Montagfrüh, 11 Uhr, »Focus Online«-Eilmeldung per Facebook-Post: »Nach Wahldebakel – Seehofer stellt Fraktionsgemeinschaft mit CDU zur Debatte«. 23 Minuten später, gleicher Absender, gleicher Kanal: »Eilmeldung. Kehrtwende im Vorstand – Seehofer will an Fraktionsgemeinschaft mit CDU festhalten«. Wieder einmal wird deutlich: Die großen, klickstarken Nachrichtenmagazine sind Teil einer immer problematischeren Medienrezeption. Auf den Wahrheitsgehalt ihrer schnell über soziale Medien gestreuten Informationen kann man sich immer weniger verlassen. Das ist gefährlich, zumal viele junge Menschen Facebook mittlerweile als primäre Nachrichtenquelle nutzen – sich freilich mit Headline und Vorspann begnügen, ohne die verlinkte Nachricht überhaupt zu lesen.

Fake oder Fakt? Derzeit geht es noch um vermeintlich brisante, klickstarke Texte, bei der klassische Recherche auf der Strecke bleibt und Schnelligkeit vor Qualität zählt. Leider mit der Folge, dass sich jene bestätigt fühlen, die bekannten Medien Desinformation vorwerfen und sie pauschal als »Lügenpresse« verunglimpfen.

Die nächste Stufe falscher, genauer: gefälschter Informationen, wird das Bewegtbild treffen. Gesprochene Sprache wird auf das Gesicht von Politikern projiziert, wie das Wissenschaftler am Beispiel von synthetischen Videos des ehemaligen US-Präsidenten Obama vorführten.

Die Echtheit eines so per Software hergestellten Videos können – wenn überhaupt – dann nur in IT-Forensik ausgebildete Journalisten beurteilen. Aber: Ist das Fake-Video bei Facebook & Co. erst einmal massenhaft geteilt, wird es kaum gelingen, die Fälschung und Lüge aus der Welt zu schaffen.

Journalistische Sorgfaltspflicht, von Verlegern viel gepredigt und durch Spardiktate immer wieder konterkariert, ist heute wichtiger denn je. Fehlt sie selbst bei Qualitätsmedien, ist das Wasser auf die Mühlen völkisch-rassistischer Wirrköpfe, die zu ertragen der neue Deutsche Bundestag und 87 Prozent der Wähler fürchten müssen, die keine Rechtsextremisten gewählt haben.

Martin Fryba
CRN-Chefredakteur


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