Meine treuen bayerischen Untertanen,
wie manche von euch sicher wissen, weile ich nicht unter den Toten, sondern vielmehr als
Gespenst in meinem Lieblingsschloss Neuschwanstein. Die meiste Zeit verbringe ich damit, im
Kassenhäuschen den stetig hereinströmenden Zufluss von Bargeldmitteln gelangweilt wahrzunehmen und
dabei unsichtbar, aber doch königlich-milde auf die wohlgeordneten Massen von, wie mir scheint,
meist japanischen Besuchern herabzulächeln.
Den Gesprächen einheimischer Besucher, denen mein königliches Ohr sich nicht verschließen
konnte, war zu entnehmen, dass derzeit ein gewisser Herr Guhgl – offenbar ein wohlhabender,
wissensdurstiger Privatier – Tage über Tage damit verbrachte, die Fassaden bayerischer und – man
mag es kaum glauben – sogar nicht-bayerischer Bauwerke photographisch zu erfassen. Wohlgetan, Herr
Guhgl, welch stattlich Projekt! Dieses ist, ich sage das ohne Spott, in seinen großartigen Ausmaßen
manch einem meiner Vorhaben nicht unähnlich.
Kenntnis erhalten habe ich nun von einem neuartigen Verfahren, vom plappernden Volksmund
„Verpixeln“ genannt, mit dem man wohl ein photographisch gebanntes Bürgerhaus mittels
nachträglichen Eingriffs unkenntlich machen kann, um die Privatheit eben jenes Bürgers zu schützen
und zu wahren. Auch dieses Verpixeln findet, wie ich hier kundtun möchte, mein königliches
Wohlwollen, betrachte ich doch Tag für Tag mit nur mäßigem königlichem Wohlwollen einen nicht
endenden Zug bereits erwähnter Besucher, die unter lautem Oh und Ah meine persönlichsten Gemächer
durchstreifen und besichtigen. Und die von umliegenden Anhöhen aus auch mein schönes Schloss mit
lächerlich kleinen Apparaturen photographisch zu bändigen sich bemühen – obschon sicher vergeblich,
wie ich nur mutmaßen kann.
Und deshalb fordere ich meine bayerischen Untertanen hiermit auf: Man möge umgehendst sämtliche
photographischen Abbilder meines Schlosses auf die genannte Art und Weise verpixeln. Grau in grau
möge Neuschwanstein auf Bildern erscheinen, unscharf und damit umso mysteriöser und erhabener! Denn
auch einen untoten Märchenkönig dürstet es nach Privatheit, die ihm bislang grausam vorenthalten
wurde.
Diktiert zu Hohenschwangau, den 23. November A.D. 2010,
König XXXXXX der II. von Bayern
(Name aus Gründen der Privatheit unkenntlich gemacht)
LANline/
Dr. Wilhelm Greiner