Digitalministerin Dorothee Bär will Deutschland unternehmerfreundlich zur Digitalnation transformieren, dabei fehlt der deutschen Netzpolitik vor allem eine klare politische Linie. Ein Kommentar.
Mit deutlichen Aussagen hat sich die CSU-Politikerin und künftige Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär, in den letzten Tagen auf die Titelseiten vieler Medien katapultiert. Sie forderte »mehr Tempo bei der Digitalisierung« und erklärte den deutschen Datenschutz zum »Datenschutz aus dem 18. Jahrhundert«. Das klingt schön hipp, zeigt allerdings auch ein klar wirtschaftsnahes Datenschutzverständnis, das zu Lasten von Verbraucherrechten gehen könnte. Dabei hatte Bär kurioserweise noch 2013 im »Wohnzimmergespräch Netzpolitik« klargestellt, dass die Wahrung der Privatsphäre und Anonymität im Netz ein zentrales Anliegen des Datenschutzes sein müsse. Eine deutliche Wende zu den Statements der letzten Tage, in denen Bär vor allem die Lobby-Aussagen der Unternehmen wiederkäute, dass der gesetzliche Datenschutz die Fessel der deutschen Wirtschaft sei.
Nun spricht ja nichts dagegen, seine politische Meinung zu revidieren, allerdings krankt die deutsche Netzpolitik eben nicht nur an einer fehlenden digitalen Vision, wie es in den letzten Tagen oft zu lesen war, sondern auch an fehlender Kontinuität, die durch das ständige Hin und Her politischer Entscheidungsträger entsteht. Das zeigt auch wunderbar der Meinungswechsel von Justizminister Heiko Maas in Sachen Datenspeicherung. Im Dezember 2014 hatte sich Maas im SZ-Interview strikt gegen die Vorratsdatenspeicherung gestellt – sein Tweet: »#VDS lehne ich entschieden ab – verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches u kein EU-RL!«. Sechs Monate später erfolgte die Wende – auf parteiinternen Druck legte Maas einen Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vor und revidierte auch seine Position zur staatlichen Überwachungstätigkeit. Das daraufhin umgesetzte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das Telekommunikationsanbieter dazu verpflichtet, Telefonnummern, IP-Adressen und Standortdaten zu speichern, hatte im letzten Jahr für Unmut und Unsicherheiten bei Verbrauchern, Verbänden, Internetprovidern gesorgt.
Kurz vor dem Inkrafttreten des Gesetzes hatte das Oberverwaltungsgericht NRW im Juni 2017 dem Antrag des Internetanbieters Spacenet stattgegeben und ihn von der Pflicht zur anlasslosen Datenspeicherung befreit. Damit lehnte sich das OVG in seinem Beschluss an die Rechtsprechung des EuGH an, der eine derartige Speicherpraxis als nicht mit dem Unionsrecht vereinbar bewertete. Nach dem Beschluss des OVG erklärte auch die Bundesnetzagentur, von Bußgeldverfahren gegen Dienstanbieter abzusehen und hat so die Speicherpflicht bis dato faktisch ausgesetzt. Im Hinblick auf das Inkrafttreten der DSGVO im Mai drängt daher jetzt die Zeit, um eine Position zu Datenspeicherung und Datenschutz zu finden.
Hatten sich CDU, CSU, FDP und Grüne in den Jamaika-Verhandlungen noch darauf geeinigt, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung und die damit einhergehende Überwachungspraxis zu beenden, so spielten IT-Themen wie Digitalisierung, Datenschutz oder Künstliche Intelligenz in den GroKo-Verhandlungen von CDU,CSU und SPD nur eine untergeordnete Rolle. Mit dem jetzigen medialen Getöse kann daher auch Bär nicht überbrücken, dass es an verlässlichen digitalen Visionen in der deutschen Netzpolitik mangelt. Das lässt sich auch nicht mit verkürzten Aussagen zum Breitbandausbau (»keine Nachfrage vorhanden«) und ePrivacy (bringt nur Facebook und Google Vorteile) oder mit Visionen von fliegenden Autos erzwingen.
Ein erster Anfang wäre vielmehr damit gemacht, wenn sich politische Entscheidungsträger einmal klar positionieren würden. Das Hin und Her führt nämlich nicht nur zum Verdruss beim Bürger, sondern nervt auch die Industrie.