Digitale Souveränität

Warum Open Source mehr ist als eine IT-Frage

25. August 2025, 9:30 Uhr | Diana Künstler
© hodonal88 – shutterstock.com

Schleswig-Holstein baut seine digitale Infrastruktur auf Open Source. Mit der Videokonferenzlösung OpenTalk der Heinlein Gruppe geht das Land bewusst auf Distanz zu US-Plattformen. Peer Heinlein erklärt, was digitale Souveränität wirklich bedeutet und warum Open Source dabei alternativlos ist.

Während andernorts noch Teams-Lizenzen verlängert werden, startet eine Mitarbeiterin in Kiel ihre Besprechung per Open-Source-Login – ganz ohne Microsoft-Konto, ganz ohne Cloud-Schatten aus Übersee. In Schleswig-Holstein ist das kein Zukunftsszenario, sondern gelebter Verwaltungsalltag.

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+
Peer Heinlein, Heinlein Gruppe
Peer Heinlein, Geschäftsführer der Heinlein Gruppe: „Digitale Souveränität heißt: Ich weiß, wie meine Werkzeuge funktionieren und kann sie kontrollieren.“
© Heinlein Gruppe

Was einst als idealistisches Projekt belächelt wurde, ist heute strategisches Fundament: Digitale Souveränität ist kein Buzzword mehr, sondern Maßstab konkreter Projekte. Open Source ist dabei weit mehr als eine technische Entscheidung. Es ist ein politisches Bekenntnis zur Eigenverantwortung. „Digitale Souveränität heißt: Ich weiß, wie meine Werkzeuge funktionieren und kann sie kontrollieren“, führt Peer Heinlein, Geschäftsführer der Heinlein Gruppe im Gespräch mit connect professional aus.
Mit der quelloffenen Videokonferenzlösung OpenTalk zeige Schleswig-Holstein, dass Offenheit nicht nur Kontrolle schafft, sondern auch Zukunftssicherheit.

Digitale Abhängigkeit als reale Bedrohung

Ein zentrales Element dieser Strategie ist die bewusste Abkehr von proprietären Plattformen wie Teams oder Zoom. Stattdessen setzt das Land auf OpenTalk – entwickelt in Deutschland, betrieben unter eigener Kontrolle. „Open Source ist längst keine technologische Glaubensfrage mehr, sondern eine politische und gesellschaftliche Notwendigkeit“, sagt Heinlein. Die Risiken digitaler Abhängigkeit seien laut dem Geschäftsführer längst real: das Ende internationaler Datenschutzabkommen, der US Cloud Act, politische Instabilität. „Wenn wir in Konfrontation geraten, können Dienste über Nacht abgeschaltet werden.“ Das sei keine Theorie, sondern konkrete Bedrohung für Stabilität, Integrität und demokratische Selbstbestimmung.

Interessanterweise, so Heinlein, sei die Verwaltung hierzulande weiter als viele Unternehmen: „Thüringen und Schleswig-Holstein sind Leuchttürme. Sie zeigen, wie offene Standards funktionieren, wenn politischer Wille auf strategisches Handeln trifft.“

OpenTalk: Plattform und Prinzip

Die Heinlein Gruppe entschied sich, nicht auf bestehende Lösungen wie Jitsi oder BigBlueButton aufzusetzen. Stattdessen wurde OpenTalk komplett neu entwickelt mit klaren Zielen: Skalierbarkeit, Sicherheit, Barrierefreiheit, Einsatzfähigkeit für Schulen, Verwaltungen, Parlamente. Heinlein dazu: „Wir wollten Videokonferenzen nicht einfach neu machen. Wir wollten sie besser machen.“ Das Ergebnis ist eine Plattform, die etwa revisionssichere Abstimmungen, sichere Datenzonen für VS-NfD-Inhalte sowie eine konsequent durchdachte Nutzerführung bietet. Sichtbare Steuerleisten, kontrollierbare Aufzeichnungen, anonymes Feedback – alles Ergebnis direkter Rückmeldungen aus der Praxis. „Wenn 50 Leute ihre Kamera ausschalten, weil aufgezeichnet wird, redet der Referent ins Nichts. Also haben wir es besser gemacht.“ Die Plattform erlaubt daher differenzierte Aufzeichnungsrechte: etwa nur der Bildschirm, nur die Moderation oder nur aktive Sprecher:innen – je nach Bedarf. Diese Feinsteuerung sei entscheidend, so Heinlein, für Akzeptanz und Transparenz.

Sven Thomsen, Staatskanzlei Schleswig-Holstein
Sven Thomsen, CIO des Landes Schleswig-Holstein: „OpenTalk wurde durch die Fachbereiche des Landes vor der Entscheidung zur Einführung über mehrere Monate mit durchweg positiver Rückmeldung getestet.“
© Staatskanzlei.SH

OpenTalk wird bereits seit über einem Jahr im Rahmen von Pilotprojekten in Schleswig-Holstein eingesetzt. Der öffentliche Rollout startete im Juni 2025. Die Resonanz: durchweg positiv. Sven Thomsen, Chief Information Officer (CIO) des Landes Schleswig-Holstein, erklärt dazu: „OpenTalk ist an unsere E-Governmentinfrastruktur, hierbei insbesondere eine zentrale Authentifizierungslösung angebunden. Nutzerinnen und Nutzer der Landes- und perspektivisch auch Kommunalverwaltung können ihre bereits bestehenden Logins föderiert auch für die Nutzung von OpenTalk verwenden.“ Eine Integration in Fachverfahren sei zwar technisch möglich, werde derzeit jedoch nicht nachgefragt. Viel wichtiger, so Heinlein, sei der funktionale Beitrag zur täglichen Kommunikation, etwa durch barrierefreie Gestaltung.

OpenTalk auf einen Blick

© OpenTalk
© OpenTalk
© OpenTalk

Alle Bilder anzeigen (17)

Technologie ist Politik- und Sicherheitsfrage

Dass Open Source mehr als IT ist, zeigt auch ein anderes Beispiel: Als Anfang 2025 ein bekanntes deutsches Open-Source-Cloudprojekt an einen US-Investor verkauft wurde, gründete Heinlein kurzerhand OpenCloud, übernahm das Entwicklerteam und stellte den Weiterbetrieb sicher. „Open Source bedeutet, dass Software nicht stirbt, nur weil Eigentümer wechseln. Das ist Nachhaltigkeit in Reinform“, so der Geschäftsführer.

Auch in Sachen Sicherheit setzt OpenTalk Maßstäbe: Als erste Open-Source-Videoplattform durchläuft sie seit November 2023 das BSI-Zertifizierungsverfahren nach CC-EAL4, einem der höchsten internationalen Standards. „Zoom, Teams oder Webex erfüllen diese Anforderungen schlicht nicht – oder nur in Teilen“, so Heinlein. Dass OpenTalk modular betreibbar ist – über Heinlein, Telekom, kommunale Rechenzentren oder On-Premises – sei Ausdruck echter Wahlfreiheit. „Wer die Wahl hat, hat die Kontrolle. Und die ist keine Option mehr, sondern Pflicht.“

Heinlein: „Jede Entscheidung für proprietäre Software ist ein Echo der eigenen IT-Politik."

Deutschland wird mit diesem Kurs international wahrgenommen. Bei der UN-Konferenz „OSPOs for Good“ in New York wurden Projekte und Vermittler wie OpenDesk, OpenCode und das ZenDiS als Best Practices hervorgehoben. Heinlein betont: „Was wir hier in Deutschland aufbauen, wird weltweit als Vorbild gesehen. Das liegt auch an unserem starken Mittelstand und der Verwurzelung von Open Source in der öffentlichen Hand.“ Dass Nutzer:innen bei der Weiterentwicklung aktiv mitgestalten können – etwa durch Feature-Wünsche oder Codebeiträge –, sieht Heinlein als zentralen Vorteil. Das Motto „Public Money, Public Code“ sei gelebte Realität: Was ein Bundesland finanziert, können andere kostenlos mitnutzen. So entstehe ein echtes digitales Gemeingut. „Wir haben keine Kunden, wir haben Partner.“

Auch Sven Thomsen zieht ein positives Zwischenfazit zur Einführung von OpenTalk: „OpenTalk wurde durch die Fachbereiche des Landes vor der Entscheidung zur Einführung über mehrere Monate mit durchweg positiver Rückmeldung getestet. Gemeinsam mit anderen öffentlichen Stellen und unter Beteiligung des ZenDiS wollen wir Weiterentwicklungen insbesondere für die Anbindung von Raumkonferenzsystemen und die Nutzung von OpenTalk im Bereich der Verschlusssachenkommunikation beauftragen.“

Vergabepraxis als strategische Stellschraube

Doch selbst technische Exzellenz reicht nicht aus. Heinlein sieht die größte Hürde nicht in der Technik, sondern in der Beschaffung: „Open Source kann nur dort entstehen, wo sie gewollt und auch beschafft wird“, gibt Peer Heinlein zu bedenken. Fehlende Standards, unklare Kriterien, überlastete Vergabestellen – all das verhindere Fortschritt. Deshalb hat Heinlein selbst Vergabe-Kriterien für nachhaltige OSS-Beschaffung entwickelt, eingeflossen unter anderem in das OSBA-Positionspapier. „Es braucht Copy-and-Paste-fähige Vorlagen. Sonst bleibt es bei Lippenbekenntnissen.“ Auch dialogorientierte Ausschreibungen sollten stärker genutzt werden. Innovation müsse als Wert erkannt und als Kriterium verankert werden. Ansonsten gewinne immer nur das kurzfristig günstigste Angebot. „Software ist kein Druckerpapier. Wer nur nach Preis einkauft, zahlt später mit Sicherheit, Produktivität und Kontrolle“, resümiert der OpenTalk-Verantwortliche.


  1. Warum Open Source mehr ist als eine IT-Frage
  2. Interview: „Open Source ist kein Idealismus, sondern strategische Notwendigkeit“

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu OpenTalk

Weitere Artikel zu Video-Conferencing

Weitere Artikel zu Unified & Instant Messaging

Weitere Artikel zu Open Source

Matchmaker+