Die Aufbruchsstimmung in Mülheim an der Ruhr und in der noch jungen Hochschule Ruhr West passt so gar nicht zur Trägheit mancher Spitzenpolitiker. Aber auch die deutsche »Ingenieurskultur« sorgt nicht gerade dafür, dass Deutschland die Kluft zu den USA und China bei Künstlicher Intelligenz schließen kann.
Klar hatte Dieter Weißhaar eine Einladung ins NRW-Wirtschaftsministerium geschickt, es hätte ja so gut zusammengepasst: Die Easy World 2019 vergangene Woche mit rund 400 Kunden und Partnern in der Stadthalle Mülheim an der Ruhr, auf der der CEO von Easy Software mit hochrangigen Politikern hätte verkünden können, dass der Softwarehersteller eine Stiftungsprofessur für angewandte Künstliche Intelligenz an der Hochschule Ruhr West (HRW) vergibt. Die Forschung im Bereich Digitalisierung/IoT ergänzen, wie sie jetzt schon an dieser Hochschule gelehrt wird, jungen Talenten in Mathematik, Informatik und Wirtschaftswissenschaften einen weiteren Forschungsbereich anzubieten und schließlich die Region und nicht zuletzt die eigene Softwarefirma zu stärken: Hätte es eine bessere Öffentlichkeit für einen Landespolitiker gegeben, als sich mit dieser privatwirtschaftlichen Zukunftsinitiative selbst ein Stück weit moderner und für Hightech aufgeschlossener zu geben? Doch selbst der Staatssekretär hatte Wichtigeres vorgeschoben und blieb der Easy World fern.
Also verkündete der Easy Software-Chef Weißhaar in der Pressekonferenz die Gründung und Finanzierung einer Stiftungsprofessur. Hochschul-Rektorin Susanne Staude freut sich schon auf die Besetzung des neuen Lehrstuhls, der ihre erst zehn Jahre junge und überfüllte HRW noch attraktiver machen dürfte.
»Wir warten nicht auf die Politik, sondern nehmen Technologieförderung jetzt selber in die Hand«, sagt Weißhaar. Der CEO appelliert zudem an weitere Unternehmen in der Region, sich des Zukunftsthemas Künstliche Intelligenz anzuschließen. Sie können sich einem Freundeskreis anschließen und die Initiative finanziell unterstützen. Nicht ganz uneigennützig freilich, wie sich jedes Unternehmen von einer Stiftungsprofessur den Zufluss junger Talente verspricht, die es frühzeitig zu entdecken und an sich zu binden gilt.
Was wäre sonst die Alternative? Man müsste Technologien aus den USA und China, den beiden derzeit führenden Forschungsnationen auf dem Felde von Analytics und Künstlicher Intelligenz, einsetzen. Digitale Unternehmen, die ihre Branche disruptiv verändern, bzw. schon verändert haben, kommen selten aus Europa. Noch werden in Deutschland auf Spitzenniveau Autos und Maschinen gebaut, noch wird Deutschlands Wirtschaft um die Duale Ausbildung/Studium im Ausland beneidet.
Doch wie lange noch?
Wie lange noch kann sich der um Perfektion bemühte Ingenieur bei BMW um die restlichen zwei bis drei Prozent Effizienz-Optimierung kümmern, während sein Markt wegbricht, Kunden ein anderes Mobilitätsbewusstsein entdecken und zu anderen Marken oder Produkten greifen? Es ist ja nicht nur die konsequente Elektromobilität, die Tesla als Vorreiter unter Autoherstellern erscheinen lässt, sondern auch die konsequente digitale Vernetzung des Automobils, die Deutschlands Schlüsselindustrie derzeit herausfordert.
Man wünschte, dass sich deutsche Ingenieurskultur mit selbstlernenden Systemen genauso intensiv befasst wie mit Spaltmaßen. »Heute fressen die Schnellen die Langsamen«, sagt Weißhaar mit Blick auf Digitalisierung und Zukunftstechnologien. Noch kann Deutschland im Rennen um angewandte Künstliche Intelligenz eine Rolle spielen, ist der CEO überzeugt. »Aber viel Zeit sollten wir nicht verstreichen lassen«.