Frühjahrskonferenz der IEEE-Projektgruppe 802

Ethernet im Wandel

6. August 2012, 6:00 Uhr | Hans Lackner/sis, Voting Member bei IEEE 802.3.

Auf der Frühjahrstagung der Projektgruppe P 802 in Waikoloa, Hawaii, rückte das Thema Ethernet mit hohen Übertragungsraten in den Mittelpunkt. Zwar ist es möglich, Geschwindigkeiten bis zu 100 GBit/s zu erreichen, jedoch gibt es bisher kaum Anwendungen, die mehr als 40 GBit/s unterstützen. Neben diesem Problem beschäftigten sich die Kommunikationsexperten unter anderem mit Fragen aus dem Automobilumfeld.

Die Ethernet-Gruppe hat den 40- und 100-GBit/s-Standard bereits im Sommer des vergangenen Jahres publiziert. Daneben verabschiedeten die Experten weitere Standards, um die Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern zu ermöglichen. Die Arbeitsgruppe 802.3bj "100G Backplane and Copper" ist heute die wichtigste Aktivität von 802.3. Nach Fertigstellung der Basis-MIBs (Management Information Base) arbeitet die Gruppe nun an der Integration der noch nicht berücksichtigten neueren Standards. Weitere Gruppen, so genannte Study Groups, definieren die Ziele eines neuen Standards, wie eine Erweiterung des EPON-Standards (Ethernet Passive Optical Network), Verbesserungen im Bereich optischer Übertragung (LWL-Kabel) und die Verwendung des EPON-Protokolls auf Coax-(TV-)Netzen.

Die IEEE-Projektgruppe P 802 LMSC (LAN and MAN Standards Committee) beschäftigt sich seit Februar 1980 mit lokalen Netzen. Später kamen dann auch städtische Netze hinzu. Heute arbeitet man in elf Gruppen, und zwar mit den Schwerpunkten Ethernet und Wireless. Am stärksten sind die Funkarbeitsgruppen, von denen zwei Technical Advisory Groups sind, also Arbeitskreise, die allgemeine Regeln für die Wireless-Gruppen vorgeben. Für Fragen der Architektur, Sicherheit und Bridging ist IEEE 802.1 zuständig. Dieser Arbeitskreis ist gewissermaßen das Dach von IEEE 802.

Zudem gibt es noch 802.17-RPR (Resilient Packet Ring) und 802.23-ESIP (Emergency-Services für IP). Diese Gruppe beschäftigt sich mit IEEE-802-Techniken in sicherheitsrelevanten Anwendungen. Da die Projektgruppe P 802 de jure ein amerikanisches Normungsgremium ist, traf man vor etwa 15 Jahren eine Übereinkunft, dass die ISO IEEE 802 Standards als internationale Norm veröffentlichen sollte. Obwohl das Verfahren eingeschlafen ist, kam es jetzt wieder ans Tageslicht, da die ISO diesen Standard altersbedingt löschen wollte. Die Beteiligten einigte sich darauf, dieses Verfahren unter der Bedingung wieder aufleben zu lassen, dass niemand bei diesem Prozess Änderungen am Standard vornehmen darf. Änderungswünsche sind während den Schritten zur Standardisierung einzubringen.

Der Arbeitskreis CSMA/CD

Der Name der IEEE 802.3 CSMA/CD (Carrier Sense Multiple Access with Collision Detection) ist heute kein Programm mehr. Stattdessen arbeitet der Arbeitskreis nun rund um Full Duplex unter dem Namen 802.3 Ethernet und entwickelt neue Techniken wie EPON. Alle diese Techniken veröffentlichte die Arbeitsgruppe in einem Hauptwerk und vielen Ergänzungen. Das Hauptwerk, der IEEE Standard 802.3-2008, umfasst dabei fünf Bände (Sektionen), von der 10-MBit/s-LAN-Technik bis zur "Subscriber-Access-Technik EFM" (Ethernet in the First Mile). Zu diesem Grundwerk kommen ergänzende Standards wie beispielsweise 100 GBit/s, die 802.3 später in das Grundwerk einarbeitet. Seit der letzten Ausgabe des Grundwerks verabschiedete man zehn weitere Standards und veröffentlichte sie als Ergänzungen. Unter diesen sind zum Beispiel IEEE Std. 802.3av-2009 (10 GBit/s EPON), IEEE Std. 802.3ba-2010 (40/100 GBit/s Ethernet) oder IEEE Std. 802.3bg-2011 (40 GBit/s Single Mode PHY).

Gegenwärtig existieren drei aktive Arbeitsgruppen, die einen Normierungsauftrag (PAR) erhalten haben: 802.3bh (Maintenance, Integration der Ergänzungen in den Standard), 802.3bj (100 GBit/s Ethernet über Kupfer und Backplanes) und 802.3.1a (Erweiterungen zur MIB-Definition). Zu diesen aktiven Gruppen kommen Study Groups, die die Ziele eines neuen Standards festlegen und einen Normierungsauftrag formulieren.

In der Regel werden Anträge der Study Groups zu Standardaktivitäten, diese behandeln dann Task Groups. Neben diesen drei Study Groups arbeitet eine Gruppe an einem Thema, das zu einem White Paper und nicht zu einem Standard führt. Zu diesem Zweck bildet man eine Ad-hoc-Gruppe (Ethernet Bandwidth Assessment Ad-Hoc), die die unterschiedlich schnelle Entwicklung von Netzen und Server-Applikationen behandelt. Neben diesen bereits in Arbeit befindlichen Themen gibt es neue Ideen, die zunächst in einem CFI (Call for Interest) landen. Dieser soll klären, ob weltweit genügend Interesse an einem neuen Standard besteht.

Aktive 802.3-Standardprojekte

In der Gruppe gibt es gegenwärtig drei aktive Projekte, die ihren Normierungsauftrag haben: Maintenance, 100 GBit/s über Kupfer und Backplanes sowie Management. Die Maintenance-Gruppe arbeitet daran, Erweiterungen in den IEEE 802.3-2008-Standard zu integrieren. Der Draft 3.0 ist abgeschlossen und die Experten arbeiten zurzeit am Draft 3.1, der der endgültige Entwurf sein soll.

Daher rechnen die Entwickler damit, dass die Arbeiten im August abgeschlossen sind. IEEE 802.3bj beschäftigt sich mit 100 GBit/s-Backplanes und der Verwendung von 100 GBit/s über Kupfer. Im September 2011 startete die Gruppe den Standard. Die Ziele sind definiert als "4-Lane 100 GBit/s Backplane", die für Verbindungen über Kupferleitungen entsprechend mit Längen bis zu einem Meter "Improved FR-4?sind. Weiter sind sie definiert als "4-Lane 100 GBit/s über Kupfer-Twin-Axial-Kabel" mit Längen bis zu fünf Meter. Darüber hinaus sind die Ziele bestimmt als:

lediglich Full-duplex Operation,

Beibehalten des 802.3/Ethernet Frames nach 802.3 MAC,

Minimum und Maximum Frame Size des 802.3 Standards,

BER von mindestens 10?12 am MAC/PLS-Service-Interface und

optional energieeffizientes Ethernet für 100G-Backplane und Twin-Axial-Kabel.

Auf der Tagung beschloss P 802, das Konzept 4-Lane 100 GBit/s Backplane zu ändern und aufzuspalten in 4-Lane PHY für den Einsatz über eine so genannte Printed Circuit Board Backplane mit einem Total Channel Insertion Loss von entweder weniger als 35 dB bei 12,9 GHz oder weniger als 33 dB bei 7,0 GHz.

Für beide Ziele verabschiedete man die entsprechenden Baseline Proposals. Ferner erzielte die Gruppe Einigkeit beim Thema Autonegotiation, FEC für PAM-2, Energy-Efficient Ethernet Operation und 100G-Base-CR4 Channel. Laut dem Zeitplan soll der Standard Anfang 2014 fertig sein, Produkte sollen Ende 2014 im Umlauf kommen.

Die Arbeitsgruppe 802.3.1a ist dabei, weitere Standards in 802.3.1 zu integrieren. Zu diesen gehören beispielsweise 802.3at PoE+ (Advanced Power over Ethernet), 802.3az EEE (Energy-efficient Ethernet) und 802.3ba 40G/100G (40/100 GBit/s Ethernet). Die Gruppe arbeitet am Draft 1.1. Im Juli will sie den Entwurf dem Arbeitskreis 802.3 zur Abstimmung vorlegen. So rechnen die Beteiligten damit, dass sie die Integration noch in diesem Jahr fertigstellen.

Die Study Groups

Study Groups befinden sich gewissermaßen auf dem Weg zum Normierungsauftrag. Beim Frühjahrsmeeting beschritten die Gruppen Extended EPON (ExEPON), Next Generation 100 GBit/s Optical Ethernet (NGOPTX) und EPON over Coax (EpoC) diesen Weg.

Der heute gültige Standard im Bereich von EPON stammt aus dem Jahre 2009, damals existierten 1-und 10-GBit/s-Wave-Division-Multiplexing-Techniken (WDM) über eine oder zwei Singlemode-Fasern (SMF). Für maximal 16 oder 32 Haushalte erreichen die Techniken eine maximale Länge von 30 km. Da Transceiver heute bessere Leistungscharakteristiken aufweisen, will die Study Group EPON zu ExEPON erweitern.

Zwei Ziele der Gruppe sind Subscriber Access Networks mit Point-to-Multipoint-Topologien auf Glasfasern und einem BER besser als 10?12 am PHY-Service-Interface. Zudem hat sie sich die physischen Protokolle 1G-EPON, entweder kompatibel zu PR(X)30 oder mit maximal 64 Teilnehmern und einer Mindestreichweite von 20 km, und 10G-EPON mit den gleichen Parametern zum Ziel gemacht. Ein letztes Ziel ist die Koexistenz zwischen 1G- und 10G-EPON, das heißt, es gibt eine gleiche Dämpfungsklasse für beide.

Im Bereich NGOPTX arbeiten die Beteiligten an der Entwicklung neuer Techniken. Um den exponentiell steigenden Bedarf nach Bandbreite zu decken, muss man mehr Leitungen auf weniger Raum verbauen. Dies lässt sich durch SMF mit 40 GBit/s PHY über mindesten 40 km und 100 GBit/s PHY über mindestens 500 m erreichen. Ebenso ermöglichen MMF mit 100 GBit/s PHY über mindestens 20 m und 100 GBit/s PHY über 100 m die höhere Bandbreite. Eine Koordination mit der Arbeitsgruppe "Backplane & Copper Cables" soll den Vorgang beschleunigen.

Die Gruppe EpoC definiert eine Technik, die das EPON-Protokoll auf Coax-Netze ausweiten soll. Als Ziele setzte die Gruppe Subscriber Access Networks auf Basis des EPON-Protokolls, Point-to-Multipoint auf Koaxialkabeln und hybriden Fiber/Coax-Medien. Weiter soll die Technik mit 1G- und 10G-EPON kompatibel sein, uns zwar wie im Standard 802.3 definiert. Zudem kommt eine Unterstützung von symmetrischen und asymmetrischen Datenraten mit den entsprechenden Spektren für bidirektionale Übertragung hinzu. Eine unabhängige Konfiguration von Upstream- und Downstream-Parametern und die Operation im Kabelspektrum ohne Beeinflussung der originären Services sind die letzten Ziele der Gruppe. Die Study Group hat die notwendigen Vorarbeiten wie PAR, Objectives und Kriterien zur Absicherung der Technik abgeschlossen. Mit dem Abschluss der Arbeiten ist im Sommer zu rechnen, sodass die Experten dann mit der Standardisierung beginnen können.

Bei der Betrachtung zukünftiger Konfigurationen im Datacenter zeigte sich, dass Core Networking und Anwendungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten wachsen. So benötigt man 100 GBit/s für Core Networking und 40 GBit/s für Anwendungen. Daher rief die P 802 bereits letztes Jahr eine Ad-Hoc-Arbeitsgruppe ins Leben, die dieses Phänomen untersuchen und Lösungen dafür liefern soll. Betroffen sind die Standards 802.3-2008 und 802.3ba-2010. Die Arbeitsgruppe soll nun Informationen sammeln, die 802.3 in die Lage versetzt, Bandbreitenbedürfnisse für Applikationen, Core Networks und Computing korrekt einzuschätzen. Der erste Draft 1.0 steht mittlerweile zur Verfügung.

Am Anfang der Normierung steht ein Call for Interest (CFI). In diesem Schritt untersuchen die Beteiligten, ob eine neue Technik weltweit auf genügend Interesse bei Herstellern und Anwendern stößt. Bei dem Frühjahrs-Meeting standen vier Themen auf der Tagesordnung: 1000Base-T über zwei Leitungspaare, 40 GBit/s über größere Entfernungen, Optimierung der Durchlaufzeiten durch Switches (Preemption) und neue WDM-Anwendungen.

Zudem zeigte die Gruppe, dass auch der Bereich Automotive-Industrie Ethernet vermehrt als Backbone für Datendienste im Auto einsetzt. Zu diesen Diensten gehören sowohl die Fahrzeugkontrolle wie Bremsen, Antrieb oder Motorkontrolle als auch das Infotainment. Heute setzt der Automotive-Bereich CAN (Controller Area Network), MOST (Media Oriented Systems Transport), Flexray (Konsortium von Automotive-Firmen), Ethernet (100 MBit/s) und LVDS (Low Voltage Differential Signaling) ein.

Der seit 1981 genutzte CAN-Bus ist ein Low Speed Serial Data Bus, der mit CSMA/CR arbeitet, einem dominanten Kontrollbus. MOST ist eine Shared-Ring-Topologie mit 25 MBit/s (POF), 50 MBit/s (Cu) und 150 MBit/s (POF), die Autohersteller seit 2001 als Bussystem für Kontroll- und Streaming-Infotainment verwenden. Flexray - im Umlauf seit 2005 - ist ein 10 MBit/s Serial Data Bus für hochdynamische Anwendungen. Für Diagnostik- und Firmware-Upgrades während der Wartung sind Fahrzeuge vermehrt mit Ethernet (100 MBit/s) ausgestattet. Wegen der EMV-Einschränkungen ist es jedoch nicht während der Fahrt nutzbar. Seit 2002 gibt es LVDS, das über Point-to-Point Highspeed Links (1 bis 4 GBit/s) für Kameras und Displays verfügt.

Um das Gewicht der Ethernet-Installation in den Fahrzeugen zu verringern, benötigt die Autoindustrie Datenübertragung über weniger Leitungspaare als 1000Base-T. So ergibt sich eine größere Flexibilität bei den Steckverbindern. Im Jahre 2019 sollen Autohersteller jährlich über 270 Millionen Ethernet-Knoten im Auto benötigen. Aufgrund dieser Nachfrage stieß der CFI auf Interesse bei den Teilnehmern. 86 Teilnehmer der Tagung waren für die Bildung einer Study Group, die die Standardentwicklung vorbereiten soll.

Gibt es genügend Interesse an einem 40 GBit/s optischen Ethernet-Interface? Bisher ist diese Geschwindigkeit nur über zehn Kilometer verfügbar. Der Markt benötigt jedoch größere Entfernungen. Zudem ist eine solche Technik heute auch unter ökonomischen Gesichtspunkten realisierbar.

Ergebnisse der Tagung

Aus diesen Gründen beschloss P 802 auf der Tagung, dieses Thema der so genannten Study Group Next Generation 40 and 100 GBit/s Optical Ethernet zu übergeben. Weiter diskutierte man über benötigte Antwortzeiten von 100 µs. Diese sind bei 100Base-T und dem Durchlauf durch mehrere Switches nicht erreichbar, wenn man längere Frames (1.518) zulässt. Daher schlug die Gruppe 802.1 vor, die Frame-Übertragung von längeren Frames für höher priorisierte Pakete zu unterbrechen. Das Interesse an diesem CFI war allerdings gering. Eine mögliche Lösung ist der "1-GBit/s-über-2-Lanes"-Vorschlag, da die höhere Geschwindigkeit das Problem der 100 µs vermeidet.

Weiter wollte ein CFI herausfinden, wie groß das Interesse an dem Problem der Glasfaserressourcen ist. Viele Service-Provider haben offenbar nicht genügend Ressourcen, um ihre Kunden adäquat zu bedienen. Zudem ist der Zugang für 32 oder mehr Kunden über eine Faser vermehrt gewünscht. Laut dem CFI kann man das Problem mit einer Wave-Division-Multiplex-Technik lösen. Aber auch dieser fand wenig Interesse. Obwohl die Beteiligten auf der Tagung viele Themen, Standards und Gruppen besprachen, gab es weder Diskussionen über mehr als 100 GBit/s über Glasfaser noch über mehr als 10 GBit/s über sogenannte Balanced Cable.

Laut P 802 ist "2-Lane 1G" (Reduced Pair 1 GBit/s) nach dem Wandel von "Extendet 40 GBit/s" nach "Next Generation 100 Optics" eine interessante Aufgabe für die Zukunft. Ein weiteres Thema, das zu diskutieren ist, sind die Antwortzeiten von 100 µs. Da die so genannte Preemption ein Fehlstart war, bleibt Raum für das Thema "Higher Speed on Balanced Cable". Allerdings ist noch unklar, wann man dieses in Angriff nimmt.

Verschiedene im Automobilumfeld eingesetzte Bussysteme.

IEEE: Bisherige EPON-Techniken.

Der Zeitplan für die 100-GBit/s-Aktivitäten.

Die Struktur der IEEE-Projektgruppe P802.
LANline.

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