Wie in der klassischen Büroumgebung oder auch im Industrieumfeld sind bei der Errichtung und im Betrieb von Rechenzentren Normen und Standards einzuhalten. Das Beachten dieser Vorgaben garantiert zwar noch keinen reibungslosen und störungsfreien Betrieb, stellt jedoch sicher, dass wichtige Rahmenbedingungen für den Bau und den späteren Betrieb erfüllt sind.
Wie stellt sich die bisher im Rechenzentrumsumfeld geltende Normungslage dar? Neben den unendlich vielen allgemeinen Produktnormen und Vorgaben für Gebäudeteile, Anlagen und Systeme gab es bisher nur wenige Standards, die sich direkt auf das Rechenzentrum und dessen Umfeld als Ganzes bezogen haben. Diese Gruppe lässt sich noch einmal in zwei Bereiche unterteilen: Zum einen die Gruppe der Standards, die tatsächlichen normativen Charakter haben. Zu diesen gehören alle CEN/Cenelec-Normen - wie zum Beispiel die EN-50175-Serie, die EN-50174-Serie, die EN 50310 und zukünftig auch die EN-50600-Serie. Zum anderen gibt es die Vorgaben von privaten Organisationen, Bundesämtern, Verbänden oder Prüf- und Standardisierungsunternehmen. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise die Vorgaben des Uptime Institutes, die des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), die des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), die von TÜV-IT, dem TÜV-Nord oder auch vom TÜV-Rheinland.
Diese Vorgaben sind in der Regel technisch gut und helfen auch dem Anwender weiter. Allerdings gibt es bei dieser Gruppe einen entscheidenden Nachteil. Alle Vorgaben dieser Organisationen sind nicht homogen zueinander. Insbesondere in der Klassifizierung eines Rechenzentrums unterschieden sie sich teilweise erheblich. Diese Unterschiede zeigen sich nicht nur in der Bezeichnung der Verfügbarkeitsklassen selbst, wie zum Beispiel Tier I bis IV, Level 1 bis 4 oder Kategorie A bis E, sondern insbesondere auch in den technischen Vorgaben für die einzelnen Verfügbarkeitsklassen in den verschiedenen Gewerken.
Das Ergebnis sind Rechenzentren, die zwar einer bestimmten Verfügbarkeitsklasse (also Tier III oder Level 3) angehören, aber ein Betroffener muss schon sehr genau hinterfragen, welche Basis oder welche Organisation dieser Aussage zu Grunde liegt. Damit ist ein Vergleich untereinander und damit eine qualitativ hochwertige und sichere technische Bewertung fast unmöglich. Dieses Manko soll zumindest innerhalb von Europa künftig die neue Normenreihe EN 50600 beheben.
Zu den bestehenden Normen, die sich schon bisher mit Rechenzentren befasst haben, zählt vorrangig die EN-50173-Serie. Sie gibt es derzeitig in fünf Teilen, und ein sechster Teil ist in Vorbereitung. Die Norm ist so gegliedert, dass bei Anwendung in jedem Fall der Teil 1 (Allgemeine Anforderungen) mit dem jeweiligen Fachteil, also beispielsweise dem Teil 5 (Rechenzentren), zu kombinieren ist. Die aktuelle Versionen der EN 50173-1 und EN 50173-5 haben das Ausgabedatum September 2011. An dem relativ "jungen" Ausgabedatum ist bereits zu erkennen, dass die Normen gerade frisch überarbeitet sind und damit technische Änderungen und allgemeine Verbesserungen in das Normenwerk eingeflossen sind.
Zwei Änderungen und Ergänzungen sind an dieser Stelle wichtig: In der EN 50173-5 ist in der "hierarchischen Struktur" der Rechenzentrumsverkabelung eine weitere Verteilerebene hinzugekommen. Neben den bereits bekannten Hauptverteiler (HV) und Bereichsverteiler (BV) ist eine weitere Verteilerebene, der so genannte Zwischenverteiler (ZV), eingefügt. Dieser Zwischenverteiler erfüllt zwei Aufgaben: Zum einen soll er die Verkabelungslängen im Rechenzentrum verkürzen und zum anderen den Hauptverteiler von extrem großen Kabelmassierungen befreien.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der überarbeitete Anhang B "Verwendung von Verbindungstechnik hoher Packungsdichte in Lichtwellenleiterverkabelung". In diesem normativen Anhang sind die Vorgaben für die genannte Verbindungstechnik hoher Packungsdichte grundsätzlich spezifiziert. Beide Änderungen in der EN 50173-5 sind die logische Konsequenz aus der Entwicklung von 40 und 100 Gigabit Ethernet. Diese Übertragungsprotokolle werden als erstes in Rechenzentren zum Einsatz kommen und haben eine direkte Auswirkungen auf die bereitgestellte Infrastruktur.
Ebenfalls lange auf dem Markt ist die Normenreihe EN 50174. Dort sind zwei Teile verfügbar, ein dritter ist in Vorbereitung. Beide bestehenden Teile sind getrennt und unabhängig voneinander anwendbar. Die aktuellen Versionen der EN 50174-1 und EN 50174-2 haben das Ausgabedatum September 2011. Auch in diesen erst kürzlich überarbeiteten Versionen gibt es eine Vielzahl von technischen Änderungen und Ergänzungen. Als Beispiel in der EN 50174-1 (Installationspraktiken und Qualitätssicherung) kann der Anhang B "Aufrechterhaltung der Polarität/Verbindungstechnik für Mehrfach-Lichtwellenleiter" dienen. Auch diese Überarbeitung des normativen Anhangs liegt in der Entwicklung bei den 40- und 100-Gigabit-Ethernet-Systemen begründet.
Bei der Überarbeitung der EN 50174-2 (Installationsplanung und Installationspraktiken in Gebäuden) ist ein komplett neues Kapitel "Rechenzentren" entstanden. Dort gibt es auf rund 20 Seiten sehr viele Hinweise und Vorgaben für die allgemeine Rechenzentrumsinstallation.
Auch die EN 50310 (Anwendung von Maßnahmen für Erdung und Potenzialausgleich in Gebäuden mit Einrichtungen der Informationstechnik) zeigt sich "generalüberholt". Die aktuelle Version hat das Ausgabedatum Mai 2011 und fasst nach wie vor alle Anforderungen an die Potenzialausgleichsanlage zusammen.
Zusammenfassend gilt, dass alle bereits bestehenden Normen aktuell überarbeitet und an die derzeitigen Anforderungen in den Rechenzentren angepasst sind. Was bisher fehlte, war eine Normenreihe, die das Rechenzentrum als ganze Einheit betrachtet und damit grundsätzliche Themen wie die Gebäudekonstruktion, die Stromversorgung, die Kälte- und Klimaversorgung, die Sicherheitstechnik sowie den Bereich Management und Betrieb abdeckt. Diese Lücke schließt die neue Normenreihe EN 50600. Das Bild links zeigt, wie die Normenreihe als Ganzes und der Inhalt der einzelnen Teile zusammensetzt sind. Bei der Anwendung ist der Teil 1 (Allgemeine Konzepte) stets mit der jeweils gewünschten Fachgrundnorm (50600-2-X) zu kombinieren.
Die EN 50600-1 beschreibt die Themen, die zu einer Analyse des Geschäftsrisikos und der Betriebskosten notwendig sind, um eine geeignete Klassifikation des Rechenzentrums festzulegen. Beim Klassifikationssystem geht die Normenreihe ebenfalls von einem vierstufigen System aus. Dieses Klassifikationssystem findet seine Anwendung bei den zentralen Kriterien "Verfügbarkeit", "Betriebssicherung" und "Energieeffizienz" während der Planung, in der Bauphase sowie der gesamten geplanten RZ-Betriebsdauer.
Die komplette Spannbreite der Informationen kann dieser kurze Artikel nicht wiedergeben, aber die Grundzüge des Klassifikationssystems sind einfach zu verstehen:
Klasse 1: Einfache Versorgungswege für die IT-Verkabelung sowie zur Energie- und Kälteverteilung, keine Redundanzen,
Klasse 2: Einfache Versorgungswege für die IT-Verkabelung sowie zur Energie- und Kälteverteilung, Systeme in N+1-Redun-danz,
Klasse 3: Mehrfache Versorgungswege für die IT-Verkabelung sowie zur Energie- und Kälteverteilung, Systeme in N+1-Redundanz, Wartung im Betrieb möglich,
Klasse 4: Mehrfache Versorgungswege für die IT-Verkabelung sowie zur Energie- und Kälteverteilung, Systeme in N+1-Redundanz, während der Wartung ebenfalls fehlertolerant.
Diese Klassen gelten in diesen Grundzügen über alle Teile der Normenreihe. Leider wird es eine kleine Ausnahme geben: In der EN 50600-2-3 "Regelung der Umgebungsbedingungen" wird in der Klasse 3 für die die Versorgungswege noch keine N+1-Redundanz gefordert. Diese ist in diesem Umfeld erst mit der Klasse 4 erreicht und die Fehlertoleranz im Wartungsfall nur optional. Diese Ausnahme ist nicht schön und durchbricht ein wenig die grundsätzliche Linie der Normenreihe. Dieser Kompromiss war jedoch die einzig mögliche Lösung in der Diskussion innerhalb der bei der Entstehung der Norm beteiligten europäischen Länder.