BPO: Der Sprung ins kalte Wasser
BPO: Der Sprung ins kalte Wasser Das Auslagern ganzer Geschäftsprozesse erfreut sich wachsender Beliebtheit bei Unternehmen. Eins darf dabei jedoch nie in fremde Hände gegeben werden: Die Herrschaft über die Abläufe.


Unternehmen fassen standardisierbare Routinetätigkeiten zunehmend in sogenannten Shared Service Centern (SSC) zusammen. Verteilte Einheiten einer Organisation nutzen damit Dienstleistungen wie Personal- und Reisekostenabrechnungen gemeinsam von zentraler Stelle. Dies soll konzernweit einheitliche Geschäftsprozesse realisieren sowie Aufwände und Leistungen transparenter machen. Häufig handelt es sich bei den Aufgaben eines SSCs allerdings um Tätigkeiten, die Unternehmen aus Kostengründen nach einiger Zeit komplett auslagern. SSC arbeiten zwar fest für das ehemalige Mutterunternehmen, sie müssen sich aber mit externen Anbietern am Markt messen lassen. Ihre früheren Kollegen in den Fachabteilungen sind nun ihre Kunden, mit denen sie über Preise für ihre Dienstleistungen verhandeln. Wie diese genau ausgestaltet sein sollen, regeln sogenannte Service Level Agreements (SLAs), beispielsweise in Form von Verfügbarkeiten der Dienstleistungen und Reaktionszeiten bei Störungen. Diese SLAs dienen als Kontrollinstrument für die Qualität des SSCs. Die Vorteile eines SSCs liegen auf der Hand: Einmal lassen sich durch konsolidierte Dienststellen Personalkosten sparen. Zum anderen erzielen sie Preisvorteile durch Skaleneffekte, weil sie die gleiche Dienstleistung für mehrere Stellen – teilweise länderübergreifend – erbringen. Dem stehen allerdings auch mögliche neue Aufwände gegenüber. Denn die Unternehmen müssen SSCs zunächst an einem Standort implementieren und häufig mit einer neuen technischen Architektur versehen. Schließlich lassen sich gewünschte Synergieeffekte bei den Geschäftsprozessen oft nur über geeignete Systeme erzielen. Auf eine neue Plattform zu migrieren, kann aber sehr teuer sein. Denken Unternehmen darüber nach, das SSC irgendwann zu veräußern, sollten sie besser direkt über das sogenannte Business Process Outsourcing (BPO) nachdenken. Dabei lagern sie Routineprozesse an externe Dienstleister aus. Häufig liegt der Nutzen über dem eines SSCs, da die Unternehmen statt eigenem Fachpersonal spezialisierte Ansprechpartner haben. Diese erbringen nicht nur alle Leistungen verantwortlich aus einer Hand, sie besitzen auch ein breites Anwendungs- und Branchen-Know-how. Damit verfügen Kunden zu einem Bruchteil der Kosten für eigenes Personal über spezialisiertes Fachwissen. Insgesamt gewinnen Unternehmen durch BPO eine höhere Flexibilität in den Geschäftsabläufen, denn ein fähiger BPO-Dienstleister muss in der Lage sein, die IT-gestützten Prozesse national wie international schnell an geänderte wirtschaftliche oder rechtliche Anforderungen anzupassen. Daneben erfolgen alle Leistungen weltweit nach einheitlichen Standards und sind bei Bedarf erweiterbar. Und gerade die nahezu unbegrenzte Skalierbarkeit der beauftragen Dienstleistung lässt sich durch ein SSC meist nicht oder nur mit hohen Kosten realisieren. Doch ein bereits vorhandenes SSC kann den Übergang zu einem BPO erleichtern, da alle relevanten Funktionen bereits ausgelagert sind.
Höhere Wertschöpfung durch BPO
Ein Ziel der Prozessauslagerung ist es, die betroffene(n) Abteilung(en) von Routineaufgaben zu entlasten und somit für das Unternehmen gewinnbringender einzusetzen. Immer mehr Unternehmen erkennen diesen Nutzen: International Data Corporation (IDC) schätzt, dass die weltweiten Ausgaben für BPO von 382 Milliarden US-Dollar im Jahr 2004 auf 641 Milliarden US-Dollar bis 2009 ansteigen. Ein Paradebeispiel für die Vorteile des BPO ist das Personalwesen: Gerade HR-Abteilungen (HR = Human Resource) arbeiten häufig noch mit veralteten IT-Systemen und unterschiedlichen Lösungen an den einzelnen Standorten. Die Abläufe sind daher abteilungsübergreifend kaum transparent. Zentrale Lösungen wie Selbstbedienungsportale für Mitarbeiter im Intranet oder elektronische Personalakten sind immer noch die Ausnahme. Diese lassen sich sehr schnell von einem Dienstleister realisieren und kostengünstig mieten. Lagern Unternehmen zudem administrative Prozesse wie die Lohn- und Gehaltsabrechnung einschließlich Druck und Versand aus, haben die Verantwortlichen im HR-Bereich und ihre Mitarbeiter mehr Freiraum für strategische und beraterische Personalaufgaben wie etwa die Mitarbeiterentwicklung und –rekrutierung sowie neue Arbeitszeitmodelle. BPO-Kunden sollten allerdings vor dem Sprung ins kalte Wasser darauf achten, dass der Dienstleister nicht nur in der IT, sondern auch im Personalwesen über die erforderliche Fachkompetenz verfügt.
RoI vielfach innerhalb des ersten Jahres
Neben dem Personalwesen kann es sich aber auch in anderen Bereichen lohnen, über BPO nachzudenken. Dazu gehört beispielsweise das Dokumentenmanagement. Mit Scannen, Drucken und Versenden sollte sich kein Mitarbeiter langfristig beschäftigen. Schließlich liegen gerade im Massengeschäft des Dienstleisters große Kostenvorteile. So lässt sich das Porto durch eine hohe Versandzahl immens reduzieren. Statt in eine eigene Infrastruktur für das Dokumentenmanagement zu investieren, entrichten Kunden monatlich nur noch einen Transaktionspreis pro verschicktem Brief. Geht es um BPO für die Buchhaltung, zahlt der Kunde pro Buchungssatz. Insgesamt sind die Kosten somit immer transparent und von vornherein kalkulierbar. Erfahrungen zeigen, dass der Return on Investment (RoI) vielfach bereits innerhalb des ersten Jahres erfolgt. Andere Bereiche erfordern eine besonders große Vertrauensbasis zwischen Kunde und Dienstleister. Dazu gehört beispielsweise das Billing. Insbesondere in solchen sensiblen Bereichen müssen Auftragnehmer und Kunde Leistungen über SLAs vertraglich regeln und Bonus-/Malusvereinbarungen bei Über- oder Unterschreitung der vereinbarten Leistung treffen. Trifft dann beispielsweise eine Rechnung nicht pünktlich beim Kunden ein, ist der Dienstleister verpflichtet, eine vereinbarte Strafe zu zahlen. Das ist in einem solchen Bereich eine für den Kunden unter Umständen lebenswichtige Regelung: Denn so geraten etwa Unternehmen im Umfeld der Telekommunikation schnell an den Rand des Ruins, wenn sie über mehrere Tage keine Rechnungen versenden und der Zahlungsfluss so sehr stockt, dass der Kunde dies nur schwer wieder aufholen kann. Beim Billing-BPO muss der Dienstleister daher spezielle Monitoringlösungen und Warnsysteme betreiben, die den Kunden jederzeit über den Ablauf der Abrechnungen informieren. Beispielsweise stellt der Serviceprovider hierzu Online-Portale bereit, die über die Zahl und den Status der aktuellen Rechnungen informieren. Damit bleibt die Kontrolle über alle Prozesse jederzeit beim Kunden.
Markus Trottnow ist Leiter BPO bei T-Systems