Die Herausforderung auf dem Weg in diese Zukunft ist nicht nur, dass Menschen Daten und KI verstehen, sondern auch, dass Daten und KI die Menschen verstehen. Durch den Einsatz von KI in Unternehmen und durch die Zuweisung von eigenen Rollen, Verantwortlichkeiten, Informationsflüssen und Handlungsaufforderungen können Unternehmen lernen, die psychologische Verfassung und Profile ihrer Mitarbeiter besser zu verstehen und Unternehmensprozesse so umzugestalten, dass sie Verhaltensweisen aus dem wirklichen Leben entsprechen. Beispiel: Bilderkennungs- und Natural Language Processing-Algorithmen, die riesige Datensätze mit visuellen oder textuellen Informationen verarbeiten und anhand von Mustern und Gemeinsamkeiten kategorisieren. Im HR-Kontext können diese Methoden eingesetzt werden, um relevante Mitarbeiterdaten zu sammeln, die helfen, gezielt Anreize zur Verbesserung der Motivation am Arbeitsplatz, der Leistung und der Zufriedenheit mit dem Job zu identifizieren. Das Management kann diese Informationen nutzen, um präventive Maßnahmen anzustoßen und die Situation vorab lösen.
Ein weiterer Punkt, um die Psychologie von Daten zu verstehen, ist, sich ihrer Grenzen bewusst zu sein: In einer Welt, in der die Datenmenge exponentiell wächst, sind auch das Risiko der Überlastung dadurch und die Frage nach ihrer Qualität zu berücksichtigen. Unternehmen müssen sich darüber im Klaren sein, dass Menschen nur eine bestimmte Menge an Daten aufnehmen können. Über mehr Daten zu verfügen, bedeutet nicht zwangsläufig über bessere Daten zu verfügen. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Jüngste Forschungen aus den USA auf dem Gebiet der Neurowissenschaften haben gezeigt, dass das menschliche Gehirn eine Kapazitätsgrenze hat. Wird sie überschritten kann ein Phänomen namens „Aufmerksamkeitsblindheit“ auftreten, bei dem wir verfügbare Informationen ignorieren, selbst wenn sie für uns nützlich sind.
Man muss auch das Risiko schlechter Daten berücksichtigen – wenn Mitarbeiter mit Datensätzen arbeiten, die ungenaue oder unangemessene Daten enthalten oder in denen Datenpunkte fehlen. In solchen Fällen kann es passieren, dass Mitarbeiter zwar verfahrenstechnisch korrekt mit den Daten umgehen, sich aber dennoch zu falschen Annahmen verleiten lassen, die zu schlechten oder falschen Ergebnissen führen. Die Einführung von Prozessen zur Erfassung von Daten, die festlegen, welche Daten aus welchem Grund und auf welche Art und Weise gesammelt werden sollen, kann helfen sicherzustellen, dass Mitarbeiter ihren Teil dazu beizutragen, dass Daten korrekt erfasst werden.
Darüber hinaus sollte man sich bei der Suche nach einem höheren Reifegrad seiner Daten an den Ausspruch von Albert Einstein erinnern, dass nicht alles, was gezählt werden kann, zählt und nicht alles, was zählt, auch gezählt werden kann. Führungskräfte sollen sich darüber im Klaren sein, dass, wenn alles durch die Datenlinse betrachtet wird, alle Aspekte ihrer Arbeit auf quantifizierbare Messungen und Metriken reduziert werden kann. Das birgt das Risiko, dass emotionale Zusammenhänge an Wert verlieren. Die Datenwissenschaften aggregieren einzelne Datenpunkte, wodurch die Nuancen individueller Emotionen verloren gehen können und damit die einzigartigen Merkmale menschlicher Zusammenarbeit. Wie kann man beispielsweise Qualitäten wie Loyalität, Kreativität, Empathie und Humor, die alle zu einem zufriedenen und produktiven Arbeitsumfeld beitragen können, mit einer exakten Kennzahl versehen? Grundsätzlich besteht das Ziel von KI nicht darin, alles auf unterschiedliche Datensätze zu reduzieren. Vielmehr sollte es darum gehen, die Menschlichkeit eines Arbeitsumfelds und damit das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu verbessern.
Im Kern ist KI eine menschliche Technologie und muss auch als solche verstanden werden. In der Zukunft werden diejenigen die begehrtesten Arbeitgeber sein, die in einer zunehmend datenzentrierten Welt in der Lage sind, Arbeitsplätze zu schaffen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Deswegen gilt es zu formulieren, wie Daten im gesamten Unternehmen genutzt werden sollen, um Mitarbeiter dabei zu unterstützen, besser, schneller und intelligenter mehr zu erreichen. Das erfordert nicht nur ein Verständnis dafür, welche Möglichkeiten in Daten stecken, sondern auch für die psychologischen und verhaltensspezifischen Grenzen derjenigen, die mit ihnen arbeiten. Wenn es Führungskräften gelingt, ihre KI-Initiativen so auszurichten, dass KI-Anwendungen und die von ihnen gesammelten Daten „Hand in Hand“ mit menschlichen KollegInnen arbeiten, können sie die Einzigartigkeit ihres Unternehmens noch verstärken. Diese Einzigartigkeit kommt von den Menschen, die für das Unternehmen arbeiten.
Dr. Anne Hsu, Verhaltenspsychologin und Dozentin für Computerwissenschaften an der Queen Mary University of London
Die Lenovo Infrastructure Solutions Group – vormals Lenovo DataCenter Group – hat im Frühjahr dieses Jahres vier ExpertInnen danach befragt, was für Auswirkungen verschiedene neue Technologien auf die Menschen haben, die mir ihnen arbeiten. Die daraus entstandenen Beiträge, unter anderem der von Anne Hsu, sind Ergebnis dieser Befragung.