Wie Start-up-Mentalität auch etablierten Unternehmen in Krisenzeiten helfen kann – ein Erfahrungsbericht von Thomas Fritz, Gründer und Chief Executive Officer von IoT-Spezialisten Kentix.
Der erste Lockdown versetzte viele Mittelständler in eine Art Schockstarre. Die Entscheider und Projektverantwortlichen zogen sich notgedrungen in das Homeoffice zurück und bemühten sich, mit der Situation erst einmal zurecht zu kommen: Wie hält man aus der Ferne den Betrieb am Laufen? Wie geht die Familie damit um? Diese Fragen standen im Mittelpunkt. Investitionen wurden eingefroren, Ideen aufgeschoben. Wie viele andere Unternehmen traf auch uns die Corona-Pandemie von einem Tag auf den anderen.
Meine Firma Kentix hat ihren Sitz in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz mit 45 Mitarbeitenden. Wir sind Spezialist für ganzheitliche und skalierbare IoT-Lösungen zum Schutz geschäftskritischer Infrastrukturen, angefangen vom einzelnen Serverschrank über Data-Center bis hin zu den großen Serverfarmen. Uns kleinen und mittelständischen Unternehmen wirft man oft eine gewisse Trägheit vor. Das ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. 46 Prozent der deutschen KMU-Betriebe seien als eher innovationsfern einzustufen, hieß es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus 2019. Mittelständler müssten mehr in Innovationen investieren, sonst könnten sie ihre starke Position verlieren.
Zu Beginn der Corona-Krise sah ich Szenen im Fernsehen, wo vor Schulen, Geschäften und selbst vor einigen Wohngebäuden in China simple Kontrollstände aufgebaut waren, bestehend aus Holzbänken und Tischen. Die Kontrolleure hielten ihnen ein Temperaturmessgerät gegen Stirn oder Handgelenk. Wer eine zu hohe Temperatur hatte, musste sich untersuchen lassen. Aber auf diese Weise die Temperatur zu kontrollieren, schien mir unzuverlässig. Ich dachte, das könnten wir womöglich besser hinbekommen. Angetrieben von der Idee, etwas zu entwickeln, was eine Rückkehr zum normalen Leben fördert, besann ich mich auf unsere Start-up-Zeiten, rief das Entwicklungsteam meines Unternehmens zusammen, und wir legten los. Wenige Wochen später war aus der Idee ein Produkt geworden, das auch über die Krise hinaus zu unserem Portfolio gehören wird.
Die Unternehmensberatung McKinsey hat kürzlich die Fragen gestellt: Was zeichnet Organisationen aus, die in einer solchen Krise Resilienz beweisen? Was schafft diese Resilienz? Die Berater fanden einen gemeinsamen Nenner: Agilität. Gemeint ist Innovationsfähigkeit durch schnelle Reaktion auf Marktveränderungen.
Vereinfacht ausgedrückt profitieren jene Unternehmen, die eine Start-up-Mentalität wieder erwecken oder neu etablieren. Denn jeder, der sich mit Innovation beschäftigt, weiß: Die Entwicklung neuer Produkte ist von Unsicherheiten geprägt. Deshalb ist die Planung schwierig. Es gibt kein Schema, das den Ablauf strikt vorgibt. Die Dauer ist ebenfalls nicht berechenbar. Hinzu kommt, dass Entscheidungsprozesse innerhalb eines etablierten Unternehmens oft langsam sind. Erfolgreiche Start-ups hingegen nutzen ihre Vorteile: Kleine Teams, kurze Planungs- und Feedback-Zyklen, flexible und schnelle Änderungen auf aktuelle Entwicklungen. Diese Vorgehensweise wird auch Agilität genannt.
Agilität kommt ursprünglich aus der Softwareentwicklung. Die Anfänge reichen bis in die Fünfzigerjahre zurück. Die heutigen Ansätze basieren weitgehend auf dem Agilen Manifest, das 17 Softwareentwickler 2001 in Utah formulierten. Eines der Kernprinzipien lautet: "Bauen Sie Projekte um motivierte Personen herum auf. Geben Sie ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie brauchen, und vertrauen Sie darauf, dass sie ihren Job machen." Mit anderen Worten: Agile Innovation hängt vor allem von einem motivierten Team ab. Ein weiteres Prinzip lautet, mit möglichst geringem Aufwand, dem Einsatz vorhandener Ressourcen, das bestmögliche Ergebnis für die Zielgruppe zu erreichen. Dies ist uns in der Krise gelungen. Dabei ging es unserem Unternehmen mit dem ersten Lockdown genau wie vielen anderen: Unsere üblichen Geschäfte wurden abrupt ausgebremst.