Interessenkonflikte blockieren elektronischen Dokumentenaustausch

6. Mai 2004, 0:00 Uhr |

Interessenkonflikte blockieren elektronischen Dokumentenaustausch. Der Datenaustausch im deutschen Gesundheitswesen erfolgt zumeist noch auf Papier. Henriette Struss sprach mit Volker Paul, Projektleiter Medizinische Netze beim Fraunhofer-Institut, über die Chancen des elektronischen Datenaustauschs.

Interessenkonflikte blockieren elektronischen Dokumentenaustausch

Volker Paul, Projektleiter Medizinische Netze, Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik

Foto: Fraunhofer Institut

Wen sehen Sie als Vorreiter, beim Aufbau von Systemen zum elektronischen Dokumentenaustausch in der Medizin?

Die Apotheker haben bereits vor sechs, sieben Jahren begonnen, Systeme zur elektronischen Rezeptverarbeitung zu entwickeln. Allerdings im Alleingang - denn die politischen Rahmenbedingungen führten nicht zu einer allgemeinen Akzeptanz. Schließlich ging es auch darum, Daten über das Verordnungsverhalten der Ärzte und den Medikamentenkonsum der Patienten zu sammeln. Das stand im Konflikt zum Datenschutz. Die Lösung verlies so nie das Labor und musste überarbeitet werden. Nun ist sie stark erweitert worden und man versucht sie als universelle Lösung nicht nur für Apotheker, sondern auch für andere Branchen nutzbar zu machen. Auch einige Ärztekammern haben Ambitionen. Sie planen, in Zukunft mit elektronischem Arztausweis zu arbeiten, nur fehlt ihnen für solche Projekte das nötige Kleingeld. Die kassenärztlichen Vereinigungen bewegen hingegen große Mengen von Geld. Sie haben die Möglichkeit, Dinge wie den Einsatz neuer Technologien zu steuern. Bei Pilotprojekten und Entwicklungen engagiert sind vor allem die größten Krankenkassen in Nordrheinwestfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Für sie bergen die Projekte ja auch das größte Einsparpotential.

Was sind die Besonderheiten des digitalen Informationsflusses in der Medizin gegenüber anderen Branchen?

Die Daten in der Medizin sind noch sensibler als in anderen Branchen: Geraten Dokumente in falsche Hände, ist der Schaden nicht nur materieller, sondern auch immaterieller Natur. Die berufliche Karriere und das Ansehen einer Person können von diesen Daten abhängen.

Was verändert sich durch den Wechsel von Papier-Dokumenten zu digitalen Dokumenten.

Digitale Dokumente lassen sich elektronisch auswerten. Es kann nach bestimmten Merkmalen gesucht werden, und eine Art Rasterfahndung ist möglich. Auch können Unbefugte unauffälliger elektronische Dokumente entwenden. Das Kopieren und in die Tasche stecken von Papier ist ein physischer Vorgang, der leichter entdeckt werden kann.

Sie haben das Gefahrenpotenzial, elektronischer Dokumente in der Medizin beschrieben. Was sind die Vorteile des elektronischen Datenaustauschs?

Noch sind die Vorteile nicht nachgewiesen, es handelt sich lediglich um Glaubensbekenntnisse. Die Nutzung ist nicht weit genug verbreitet, als dass die Vorteile wirklich zum Tragen kämen. Doch das Gefahrenpotential der digitalen Dokumente ist auch gleichzeitig ihr Heilsversprechen: Durch eine schnellere Vervielfältigung und die verkürzten Transportzeiten der Daten, können diese besser anderen zur Verfügung gestellt werden. Auch kann einfacher auf bereits existierende Informationen zugegriffen werden. Ob das allerdings immer so vorteilhaft ist, ist eine Frage des Standpunktes. Die Krankenkassen sehen das sicher so, doch Ärzte sind auch Wirtschaftsunternehmen und sie haben nicht unbedingt Interesse daran, weniger Untersuchungen durchzuführen. Viele Vorteile kommen auch nur beim Empfänger - meist die Krankenkasse - und nicht beim Ersteller und Absender der Daten zum tragen. Zum Beispiel muss der Empfänger Texte nicht noch einmal eintippen. Der Arzt hat aber die Mehrarbeit der Datenerfassung. Ein Ausgleich der Interessen findet noch nicht statt. Projekte laufen so Gefahr einzuschlafen.

Gibt es keine Beispiele, bei denen beide Seiten von dem elektronischen Datenfluss profitieren könnten?

Viel versprechend sind Projekte wie das Disease Management Programm. Dem Gesetzgeber geht es bei dieser Initiative um die Sicherung der Behandlungsqualität von Volkskrankheiten wie Diabetes, Asthma oder Brustkrebs. Die Ärzte bekommen dafür vom Gesundheitsministerium Vorgaben wie sie Kontrolluntersuchungen in Berichtsbögen dokumentieren sollen. Diese Untersuchungsbögen werden zur Qualitätssicherung an eine Dokumentensammelstelle und die jeweilige Datensammelstelle der Krankenkasse verschickt. Für die Zukunft soll Disease Management aber auch erlauben, dass zum Beispiel jeder den Fall behandelnde Arzt die Befunde der Mitbehandler einsehen kann. Da diese Arbeit den Ärzten zusätzlich honoriert wird, profitieren sie in diesem Fall auch als Bereitsteller der Informationen und leisten nicht nur unbezahlte Zusatzarbeit. Doch noch wird alles auf Papier erfasst und es entstehen viele Fehler. Die Ärzte schreien deshalb nach einer elektronischen Lösung.

Was sind die technischen Voraussetzungen für den Wechsel zum digitalen Dokumentenverkehr?

Die Verlässlichkeit und Reproduzierbarkeit der Daten bei ihrer Transformation von Papier in ein digitales Dokument und umgekehrt müssen gewährleistet sein. Dafür muss das elektronische Dokument mit Werkzeugen wie der elektronischen Unterschrift fälschungssicher gemacht werden. Die Lösungen gibt es ja, nur sind sie wenig alltagstauglich und die Akzeptanz vor Gericht ist noch sehr gering. Auch die Dokumententauglichkeit muss gewährleistet werden. Hier kommen derzeit vorrangig XML-Dokumente zum Einsatz. Sie eignen sich besonders gut, da hier Inhalt und Erscheinungsweise getrennt vorgehalten werden. Bei der Übermittlung der Inhalte muss der Absender so angeben, auf welches Stylesheet sich sein Dokument bezieht. Die Informationen werden dann einfach wieder in die elektronische Formatvorlage eingespielt und es kommt nicht zu Verschiebungen von Formaten wie zum Beispiel in Word. Der Vorteil: Stylesheets lassen sich wie Rezepte oder Überweisungen gestalten und es wird sichergestellt, dass Absender und Empfänger das gleiche sehen. Die Standards für die Kommunikation zwischen Informationssystemen von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten versucht zum Beispiel die Organisation Sciphox (www.sciphox.de) voranzutreiben. In ihr sind Interessenvertreter von Softwareanbietern sowohl für Krankenhäuser als für Ärzte, aber auch Standesorganisationen vertreten.

Und was für Herausforderungen kommen für die Beteiligten bei der Übermittlung der Dokumente zu?

Die Daten müssen verschlüsselt übermittelt werden. Das vom Bundesgesundheitsministerium ins Leben gerufene Projekt BIT4health (Better IT for health) an dem unter anderem IBM und das Fraunhofer Institut beteiligt waren, sollte hierfür innerhalb eines halben Jahres eine Rahmenarchitektur entwickeln. Mangels Zeit ist allerdings daraus eher eine Beschreibung der Prozesse geworden, als Zertifizierungsvorgaben. Deswegen werden weitere Projekte folgen, die dann Spezifikationen vorstellen.

Wie stehen die Chancen, dass sich der digitale Datenaustausch in der Medizin schnell in Deutschland etabliert?

Wegen der großen inneren Stabilität des Gesundheitswesens ist es wohl aussichtslos, alles mit einem Streich zu ändern. Wer sollte auch das persönliche Geflecht der Dienstleister und das sich jedes Quartal verändernde Regelwerk der Vorschriften für Behandlung und Abrechnung entwirren? Allein im Bereich der Ärzte sind rund 200 verschiedene Systeme im Einsatz. Der Austausch digitaler Dokumente hat so vor allem Chancen, sich über das Disease Managementprogramm zu etablieren. Befunde sollen hier behandelnden Ärzten, Krankenhäusern und betroffenen Krankenkassen gleichermaßen zugänglich gemacht werden. Natürlich dürfen dabei die Daten nur im Rahmen des Behandlungsverhältnisses eingesehen werden, damit am Ende nicht doch der gläserne Patient entsteht.

Empfehlungen für den Aufbau elektronischer Kommunikationsnetze Medizinische Netze sollten regional organisiert sein, aber bei Bedarf untereinander auch überregional Daten austauschen können. Der Datenaustausch sollte - immer auf einen konkreten Behandlungsfall bezogen - über einen temporären Zwischenspeicher auf einem ebenfalls regionalen, netzeignen Server abgewickelt werden. Gemeinsame Datenpools sind ebenso wie gegenseitiger Zugriff auf Patientenkarteien von Kollegen datenschutzrechtlich und standesrechtlich nicht tragbar. Weder der Server noch die Rechner in den Praxen sollten Verbindungen zum Internet haben. Der Datenaustausch kann Internet-Technologie nutzen, nicht jedoch das offene Web. Das System sollte eine ausreichende Verschlüsselung der Daten auch dann unterstützen, wenn der Adressat durch den Patienten nach dem Abschicken der Daten bestimmt wird (zum Beispiel bei Rezept oder Überweisung). Ein Datenaustausch sollte aus dem gewohnten Praxis-Verwaltungssystem heraus möglich sein. Proprietäre Lösungen, die nur von einem oder wenigen Systemhäusern unterstützt werden, sind eine Sackgasse. Internet kann hilfreich sein, aber nicht zum Austausch von Patientenakten. Wenn eine Praxis Internet verwendet, sollte dies auf einem isolierten Computer erfolgen, der keine Verbindung zu Rechnern mit Patientenakten hat.

Quelle: Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik


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