Ein angebliches Tucholsky-Gedicht über den Börsencrash macht derzeit im Internet die Runde und sorgt für einiges Erstaunen. Selbst seriöse Zeitungen wie die Zeit und auch Lehrer fallen darauf herein. Dabei würde ein wenig kritische Recherche reichen, um es als Fälschung zu enttarnen.
»Wenn die Börsenkurse fallen, regt sich Kummer fast bei allen, aber manche blühen auf: Ihr Rezept heißt Leerverkauf.«. So beginnt ein Gedicht, das derzeit in Deutschland die Runde macht und für einige Verwunderung sorgt. In eindringlichen Worten macht sich der Autor über die Banken und Broker her und spottet etwa: »Keck verhökern diese Knaben Dinge, die sie gar nicht haben«. Und sogar die Bankenrettungspakete finden ihre Erwähnung in Zeilen wie »Der Gewinn, der bleibt privat, die Verluste kauft der Staat«. Angeblich stammen diese prophetischen Zeilen von Kurt Tucholsky und wurden schon ein Jahr nach dem Börsencrash von 1929 in der Weltbühne veröffentlicht.
Als Email und in Foren, Blogs, etc. macht diese Geschichte nun ihre Runde und verbreitet sich immer weiter. Tatsächlich jedoch kann man aus der Geschichte um das Gedicht eher etwas über den richtigen Umgang mit dem Internet und seinen Suchmaschinen lernen, als über Tucholsky. Denn wer auf Google und Co nur die Suchbegriffe »Tucholsky, Börsenkurse« eingibt, der findet wirklich einige hunderten Seiten, die den Hoax bestätigen. Wer jedoch, ganz abgesehen vom völlig Tucholsky-untypischen Stil, an Tucholskys Wissen um Derivate (in der heutigen Form erst seit den späten 70er Jahren), Leerverkäufe und ähnliches gesunde Zweifel hegt und deshalb bei der Suche noch den Zusatz »Fälschung« eingibt, wird schnell eines besseren belehrt. Denn das Gedicht stammt weder von Tucholsky, noch aus der Vergangenheit.