Linux Desktops: Zwischen Hype und Hoffnung. Linux hat sich auf Servern auf breiter Front durchgesetzt. Im Client-Segment steht das Open-Source-System dagegen noch am Anfang. Hier sind engagierte Systemhäuser gefordert, Linux auf dem Desktop ihren Kunden schmackhaft zu machen. Und da besteht hoher Beratungsbedarf.
Wie hoch der Anteil von Linux auf Desktop-Clients derzeit tatsächlich ist, darüber sind sich die Analysten nicht einig: Das Marktforschungsinstitut IDC geht von etwa drei Prozent aus, Gartner nur von einem. Gartner-Analyst Michael Silver erklärt die Differenz: »Auf vielen PCs, die mit Linux ausgeliefert werden, wird schließlich doch Windows installiert.« Er macht starke Hindernisse für die Adoption von Linux am Desktop aus: Unternehmen verwendeten eine Vielzahl von Programmen, die nur auf Windows laufen, Makros für Microsoft Office oder Browser-Anwendungen, die nur mit dem Internet Explorer arbeiten. Weiterhin warnt das Marktforschungsinstitut Berlecon in einer Studie vom März dieses Jahres: »Open Source Software ist für eine Reihe von Einsatzbereichen, etwa im kaufmännischen Bereich, noch als eher unreif einzuschätzen.« Daneben gibt es insbesondere bei Notebooks Probleme mit den Treibern von Grafikkarten und W-Lans. Die kleinen asiatischen Hersteller verwenden nur ungern Zeit und Mühe darauf, Treiber und Patches bei Problemen zu entwickeln. Selbst Craig Mundie, CTO von Microsoft klagt: »Wenn ich die Grafikkarten-Produzenten nicht zwinge, Patches bereit zu stellen, tun die gar nichts.« Und bei Linux gibt es keinen mit der Marktmacht Microsofts vergleichbaren Player, so dass dieses Thema wohl weiter schwierig bleiben wird und ein ernstes Hindernis für den Erfolg für Linux auf dem Desktop darstellt.
Doch hier gibt es bereits konkrete Ansätze, diese Probleme zu beheben. So will etwa HP im September Notebooks mit vorinstalliertem Linux auf den Markt bringen. »Bei der Vorinstallation können wir die Funktionsfähigkeit garantieren«, versichert Alfred Steinecker-Nehls, Business Manager Linux Germany von HP. Auch Bytec, Distributor von Fujitsu Siemens, liefert vorkonfigurierte Systeme, bei denen jede einzelne Maschine zertifiziert ist. Dell dagegen will keine Linux-PCs direkt ausliefern, allerdings verkauft der Distributor Questar Dell-Geräte mit vorinstalliertem Linspire 4.5 in Italien und England. Auch IBM bietet keine Desktop-PCs und Notebooks mit vorinstalliertem Linux an, und der selbst ernannte Linux-Champion hat auch nicht die Absicht, es zu tun.
Nicht wegzudiskutieren und in der breiten Kundenmasse auch als Hauptargumente für die Linux-Systeme sind die viel zitierten Vorteile der geringeren Lizenzkosten gegenüber beispielsweise einem Microsoft-System sowie der höhere Sicherheitsfaktor. Entsprechend groß ist auch das Interesse. »Über die Hälfte unserer Kunden interessieren sich bereits für Linux auf dem Desktop«, berichtet Markus Wild, Geschäftsführer des ERP-Herstellers Bäurer, der im Herbst eigene Linux-Desktop-Projekte startet.
Doch auch wenn in Deutschland der Anteil von Linux-Desktop immerhin höher ist als weltweit, da viele deutsche Kommunen eine Vorreiter-Rolle übernommen haben, ist zunächst lediglich ein Interesse an genaueren Informationen vorhanden. Konkrete Projekte gibt es noch wenige. Diesen Informationsbedarf müssen Hersteller und auch Systemhäuser decken, die sich Linux als Kernkompetenz verschrieben haben ? und zwar auf realistischen Grundlagen. »In der öffentlichen Meinung hat sich der Glaube verfestigt, bei Linux sei alles zum Nulltarif erhältlich. Dann erlebt der Kunde plötzlich eine Überraschung, wenn man ihm aufzeigt, dass bei Linux Maintenance und Support kostenpflichtig sind und es zwar reale Kostenvorteile gegenüber einer Microsoft-Lösung gibt, diese aber begrenzt sind«, berichtet Frank Tröger, Account Manager bei Bechtle Nürnberg. Deshalb ist es mit einem bloßen Vergleich der Lizenzpreise nicht getan, eine detaillierte TCO-Analyse ist notwendig, weil in einer Migrationsentscheidung auch die Kosten für Schulung und Hardware berücksichtigt werden müssen. Eine solche hat beispielsweise das Marktforschungsinstitut Soreon erstellt: Das Fazit: Kleine Unternehmen fahren mit einer reinen Open-Source-Lösung besser, für mittlere und große Unternehmen ist ein Sun Java Desktop System oft die bessere Alternative.
»Die erste Aufgabe unserer Partner ist die Beratung«, fordert Hubert Schweinesbein, Director Technical Partner Services, EMEA Suse Linux AG. Wenn die Händler kompetent in der Beratung seien, sei es auch sehr wahrscheinlich, dass sie den endgültigen Implementierungsauftrag erhielten. Doch hier konfrontieren die Linux-Distributoren ihre Partner mit einer schwierigen Aufgabe. »Mittelständische Kunden sind kaum bereit, für Beratung zu zahlen, sondern versuchen sich die Informationen aus anderen Quellen zu beschaffen«, gibt Tröger zu bedenken. Selbst die Stadt München hat sich über mehrere Monate intensiv beraten lassen und startet jetzt erst mit der eigentlichen Ausschreibung: Es könnte sein, dass dann andere Anbieter zum Zug kommen, als die, welche die Beratung geleistet haben. So rechnet sich Red Hat gute Chancen aus, Novell den Auftrag in München wegzuschnappen. Das verärgert Horst Nebgen, Geschäftsführer von Novell: »Wir müssen die Kunden dazu erziehen, dass auch Beratung etwas kostet.« Das gelte nicht nur für den öffentlichen Bereich, sondern auch für die gesamte Industrie.
Für Hans-Joachim Schmid, Leiter des Business Development Centers des Systemhauses Unilog, das die Landeshauptstadt München beraten hat, ist die Folgerung klar: »Der Berater muss sich stellen und bereit sein, sein erarbeitetes Konzept zu einem Festpreis dann auch umzusetzen.« Das europäische Vergaberecht sei allerdings ein Hindernis, da nicht gewährleistet ist, dass der Berater auch den Implementierungsauftrag erhält.
Als interessantes Geschäftsfeld könnten sich die Branchen Banken und Versicherungen erweisen. »Banken setzen oft noch das veraltete Betriebssystem OS/2 von IBM ein, und es existiert hoher Migrationsdruck«, erklärt Schweinesbein. IBM sichert zwar seinen Kunden im Banken-Umfeld unbegrenzten Bestandsschutz für OS/2 zu, dennoch hält auch Schwaller ein Upgrade für sinnvoll: »Vor allem bei der Migration auf kostengünstige Thin-Client-Systeme bietet Linux auf dem Desktop strategische Vorteile im Hinblick auf Preise und Sicherheit«, urteilt er. Big Blue unterhält Beratungs-Center, wo der Hersteller gemeinsam mit seinen Partnern branchenspezifische Migrationsszenarien ausarbeitet.
Generell wird die Industrie zunehmend auf Linux aufmerksam. So hat etwa der ERP-Anbieter Abas bereits einige Projekte in dieser Hinsicht durchgeführt, zum Teil direkt, zum Teil mit Partnern. Auch der ERP-Hersteller Bäurer plant für Linux auf dem Desktop, will erste Pilotprojekte aber erst im Herbst angehen. Beide ERP-Anbieter wollen ihren Kunden in erster Linie Alternativen zu Microsoft bieten und empfehlen ihnen einen Mischbetrieb, wenn im Unternehmen Anwendungen, beispielsweise CAD, eingesetzt werden, die nur auf einem Windows-PC laufen. »Heterogene Landschaften werden der Normalfall sein, weil es noch Jahre dauern wird, bis auch die CAD-Software auf Linux portiert wird«, erklärt Wild. So würden bei den Kunden dann eben die Konstrukteure auf Windows-Arbeitsplätzen arbeiten, das Marketing mit Macs und der Rest mit Linux-Desktops.
Lange Zeit galt als entscheidendes Hindernis für den Durchbruch von Linux-Desktops mangelnde Qualität und geringe Benutzerfreundlichkeit. Beides ändert sich mit raschen Schritten. Eigentliches Kernstück des Linux-Desktops ist Open Office, aktuell in der Version 1.1.2 verfügbar, beziehungsweise der große Bruder Star Office 7 Product Update 3, der sich dadurch unterscheidet, dass er lizenzpflichtige Komponenten von Drittanbietern enthält, etwa Wörterbücher. Die Kernentwicklungsmannschaft bei beiden Produkten ist aber die gleiche: »Wir wollen auch künftig dafür sorgen, dass Star Office und Open Office nicht auseinander driften«, verspricht Carsten Müller, Product Marketing Manager bei Sun. Konkurrenz hat Sun auf absehbare Zeit nicht zu erwarten: Corel hat zwar die Pilotlösung Wordperfect for Linux entwickelt, bietet diese als Feldversuch bisher aber nur in den USA an.
Die McNealy-Company hat mit dem Kernstück Star Office noch ein erweitertes Paket geschnürt, das Java Desktop System (JDS), das noch Browser, E-Mail, Kalender, Instant Messaging und weitere Funktionen enthält. Die Komponenten sind bei JDS aufeinander abgestimmt, ein wesentlicher Vorzug gegenüber einer reinrassigen Linux-Lösung, wo sich die Benutzerführung in den einzelnen Programmen doch teilweise erheblich unterscheidet.
Auch die Sun-Wettbewerber Suse und Red Hat setzen bei ihren Desktop-Angeboten auf Open Office als Kernbestandteil. Suse legt aber seinem Paket etwa vier verschiedene Browser bei, eine Situation, die zu erheblichem Wildwuchs im Unternehmen führen würde, würde man die Installation den Anwendern überlassen. Deshalb fordert Schweinesbein, die Systemhäuser sollten schon am Anfang ihren Kunden genau aufzeigen, was die für sie jeweils beste Lösung ist und diese einheitlich im Unternehmen implementieren.
Die Anwender müssen zudem motiviert werden, dass der Umstieg für sie positiv ist. Hier muss die Geschäftsführung klare Signale setzen und auch die Systemhauspartner das Gespräch mit der Belegschaft suchen. Ist die anfängliche Skepsis überwunden, die bei jedem Wechsel eines Programms vorhanden ist, ist die wesentliche Arbeit bereits getan. Laut einer Usability Studie mit typischen Office-Arbeitern des Instituts Relevantine glaubten 80 Prozent der befragten Linux-Anwender, binnen einer Woche auf dem neuen System genau so kompetent zu sein wie zuvor auf Windows.
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1. Sun Java Desktop System
Das Sun Java Desktop System enthält eine auf Gnome basierende Arbeitsoberfläche, Star Office 7, Anwendungen für Browser, E-Mail, Kalender und Instant Messaging sowie die Linux-Betriebssystemumgebung. Konnektoren zum Sun Java Enterprise System ermöglichen eine durchgängige Systemlösung.
In der Version 2 sind Desktop-Management-Funktionalitäten hinzugekommen: Damit koordinieren Systemadministratoren Zugangsrechte für einzelne Mitarbeiter, Gruppen und für das gesamte Unternehmen. Derzeit gilt noch ein Preisnachlass von 50 Prozent bis zum 31. Dezember 2004. Statt dem Lizenzpreis pro Desktop von 92 Euro zahlen Kunden im Rahmen dieser Promo-Aktion 46 Euro (oder 23 Euro pro Mitarbeiter).
2. Suse Linux Desktop
Der Suse Linux Desktop arbeitet mit MS Office, MS Outlook und IBM Lotus Notes zusammen mittels Codeweaver Crossover Office. Er kann als Thin-Client oder Desktop-Client verwendet werden (alternativ KDE oder Gnome) und enthält Open Office sowie Star Office. Ein SAP-Client ist ebenso enthalten wie eine Vielzahl von Browsern und sonstigen Tools. Das Basis-Paket mit Installationskit und und Maintenance-Programm für bis zu fünf Workstations kostet 630 Euro. Bis Ende dieses Jahres soll der Suse- mit dem Ximian-Desktop verschmolzen werden.
3. Red Hat Desktop
Die Red Hat Desktop-Umgebung, die noch nicht auf dem Markt ist, bietet Open Source-Büroanwendungen einschließlich E-Mail-Client, Browser und Office Suite. Red Hat Desktop ist für Konfigurationen mit Red Hat Network Proxy- und Satellite-Servern vorgesehen. Das Paket mit 50 Lizenzen kostet 3.500 Dollar pro Jahr.
4. Alternativen
Es gibt noch weitere Desktop-Pakete, die allerdings kommerziell weniger bedeutsam sind. Dazu zählt der Xandros Desktop, der auf der Debian/GNU-Distribution basiert. Die Business-Edition kostet 130 Dollar.
Ein weiteres Paket, das auf Debian basiert, entwickelt derzeit das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unter dem Codenamen »Epross«. Dieser Desktop ist speziell für die Bedürfnisse von Behörden ausgelegt.
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www.novell.de
www.sun.de
www.hewlett-packard.de
www.ibm.de
www.unilog.de