Infosys ESG-Radar-Umfrage

Unternehmen können das „S“ in ESG nicht mehr übersehen

9. Februar 2023, 8:10 Uhr | Autorin: Aruna Newton / Redaktion: Diana Künstler
© stockwerkfotodesign/123rf

Vor 17 Jahren wurde die Kombination von Umwelt-, Social- und Governance-Aspekten unter dem ganzheitlichen Begriff ESG von den Vereinten Nationen formalisiert. Die Auswirkungen des Klimawandels haben dazu geführt, dass sich viele Unternehmensleiter vorrangig auf den Umwelt-Aspekt konzentrieren.

Vor 17 Jahren wurde die Kombination von Umwelt-, Social- und Governance-Aspekten unter dem ganzheitlichen Begriff ESG von den Vereinten Nationen formalisiert. Die weltweite Sorge über die Auswirkungen des Klimawandels hat dazu geführt, dass sich viele Unternehmensleiter aktuell vorrangig auf den Umwelt-Aspekt von ESG konzentrieren und damit der Social- und Governance-Blickwinkel oftmals in den Hintergrund tritt.

Die Dringlichkeit des Klimaaspektes hat diese Konzentration auf die Umwelt gerechtfertigt – insbesondere im Hinblick auf die Emissionen-. Allerdings bietet eine umfassendere Berücksichtigung von ESG weitere Vorteile, die Führungskräfte vielleicht so nicht erwarten. Eine Studie von Infosys hat ergeben, dass einige Initiativen im Bereich Soziales und Governance nicht nur den Gewinn steigern, sondern die Unternehmen auch zu besseren Corporate Citizens machen. Die globale Infosys ESG-Radar-Umfrage1 unter mehr als 2.500 Geschäftsführern und Managern – elf Prozent davon mit Sitz in Deutschland – ergab mehrere Initiativen oder Schwerpunktbereiche, die mit einem höheren Umsatz- oder Gewinnwachstum korrelieren. Dabei handelt es sich nicht um standardisierte Schulungsprogramme oder Lösungen von der Stange, um die Anforderungen der deutschen oder EU-Regulierungsbehörden zu erfüllen, oder um Investoren, die Markttrends hinterherlaufen. Vielmehr sind es strukturelle Veränderungen, die die Denk- und Herangehensweise einer Firma verändern – angefangen bei der Führungsetage.

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+

Governance: niedrige Priorität, großer Impact

Bei den befragten Unternehmen hatte die Governance eine geringere Priorität als Umwelt- oder soziale Komponenten. Eine Führungskraft aus der Telekommunikationsbranche wies auf das Paradoxon hin, das hier besteht: „Governance ist ein Bereich, der, wenn man ihn gut macht, niemandem auffällt. Aber wenn es schief geht, stellt es das größte Reputationsrisiko dar”. Trotz dieses Mangels an Dringlichkeit waren die deutschen Führungskräfte am zuversichtlichsten, dass ihre Governance-Initiativen (79 Prozent) langfristige Auswirkungen haben. Das Vertrauen in ihre Bemühungen im Umwelt- und Sozialbereich lag bei knapp über 60 Prozent, wobei der Sozialbereich mit 62 Prozent den niedrigsten Wert aufwies.

Governance bringt große ungenutzte finanzielle Vorteile mit sich. Unternehmen schneiden finanziell besser ab, wenn sie über alle nachfolgenden Elemente verfügen: einen Chief Diversity Officer (CDO), einen Chief Sustainability Officer (CSO), einen ESG-Ausschuss im Vorstand und wenn der CSO auch Investitionsausgaben genehmigt. Eine Analyse der Umfragedaten ergab, dass diese vier Elemente mit einem Anstieg des Gewinn- und Umsatzwachstums um etwa zwei Prozentpunkte korrelieren. Alles, was darunter liegt, wirkt sich nicht positiv auf das Endergebnis aus.

Dies war eine der stärksten Korrelationen in der Studie und die bedeutendste finanzielle Auswirkung. Allerdings gibt nur etwa ein Viertel (24 Prozent) der befragten deutschen Führungskräfte und Manager an, dass in ihrem Unternehmen alle vier Elemente vorhanden sind.

Socials: Menschen und Profit

Die Führungsriege in den Unternehmen erkennt, dass es wichtig ist, eine vielfältigere Belegschaft zu schaffen – eine, die ihre Gemeinschaften und Kunden widerspiegelt. Diese Initiativen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Die Infosys Untersuchung ergab, dass dieses Engagement auch auf den Vorstand ausgedehnt werden muss.

Eine höhere Anzahl von Frauen im Vorstand eines Unternehmens wird mit besseren finanziellen Ergebnissen in Verbindung gebracht. Jedoch sind deutsche Firmen in diesem Bereich eher rückständig. Dem Gender Diversity Index2 zufolge liegt Deutschland mit einem Frauenanteil von 33 Prozent in Vorständen und Aufsichtsräten in der unteren Hälfte Europas (Platz 12 von 19 Ländern). Die Analyse der Umfragedaten, die auch die von den Befragten gemeldete finanzielle Leistung umfasste, zeigt, dass ein Anstieg des Frauenanteils in den Vorständen um zehn Prozentpunkte stark mit einer Steigerung des Gewinnwachstums um einen Prozentpunkt korreliert. Dieser Effekt steht wahrscheinlich stellvertretend für die Vielfalt in den Vorständen, von der angenommen wird, dass sie eine breitere Perspektive bietet, die zu mehr Innovation führt. Die Ergebnisse fügen somit einen weiteren Datenpunkt zu dem bereits gemischten Bild hinzu, das sich zu diesem Thema ergibt. Zahlreiche akademische und betriebswirtschaftliche Studien haben bereits untersucht, wie sich der Frauenanteil in Unternehmensvorständen auf verschiedene Finanzkennzahlen auswirkt. Sie sind allerdings zu widersprüchlichen Ergebnissen gekommen.

Die Analyse zeigt auch, dass die Gewinne von Unternehmen stärker steigen, wenn ihre ESG-Anstrengungen eher durch die Sichtweise ihrer Mitarbeiter motiviert sind als durch ihren Ruf bei den Kunden. Dies korreliert mit einem Anstieg des Gewinnwachstums um etwa drei Viertel Prozentpunkte. Deutsche Unternehmen räumen den Verbrauchern (29 Prozent) etwas mehr Priorität ein als den Mitarbeitern (27 Prozent). Auch wenn sie nahe beieinander liegen, können diese Unternehmen zusätzliches Gewinnwachstum erzielen, wenn sie sich stärker auf ihren Ruf bei den Mitarbeitern konzentrieren.  

Diese Vorteile könnten das Ergebnis eines besseren Engagements der Mitarbeiter und eines größeren Erfolgs bei der Einstellung und Bindung von Mitarbeitern sein – was alles finanzielle Auswirkungen hat. Es spiegelt eine stärkere Konzentration auf die Ressource Mitarbeiter wider, die möglicherweise durch die laufenden Bemühungen der Unternehmen um die Schließung ihrer Qualifikationslücken gefördert wird. Dies zeigt sich in der Entscheidung von mehr als drei Dutzend deutscher Industrieunternehmen, sich bei der Ausbildung und Umschulung abzustimmen, damit die Arbeitnehmer neue Arbeitsplätze annehmen können, anstatt nur ihre alten zu verlieren.

ESG gewinnt in Deutschland an Fahrt

In einer ESG-Welt haben die Unternehmen die schnell zu erreichenden Erfolge bereits hinter sich gelassen. Sie haben ihren Energieverbrauch gesenkt, ihre Mitarbeiter in ESG-Initiativen geschult und sich von den rein männlichen Vorständen der Vergangenheit befreit. Eine stärkere Konzentration auf die Mitarbeiter und eine größere Vielfalt in den Vorständen scheint nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Dennoch gehen die Befragten im Allgemeinen langsamer mit den Veränderungen um, die am stärksten mit dem Gewinnwachstum korrelieren. Das könnte den finanziellen Nutzen von ESG einschränken.

Insgesamt hat die Umfrage festgestellt, dass Unternehmen, die nicht über die oben genannten Führungspositionen oder Strukturen verfügen, diese in Zukunft wahrscheinlich auch nicht einführen. Allerdings nehmen deutsche Unternehmen diese Veränderungen in der Unternehmensführung in größerem Maße an als die Stichprobe insgesamt. Mindestens die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen hat ESG-Funktionen in der Führungsetage: Chief Security Officer (CSO) (50 Prozent), Chief Digital Officer (CDO) (64 Prozent) und ESG-Ausschuss im Vorstand (63 Prozent). Diese Unternehmen liegen nicht nur über dem weltweiten Durchschnitt, sondern haben auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, die ESG-Rollen in Zukunft zu übernehmen und ihren internationalen Wettbewerbern weiter voraus zu sein. Die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen gibt an, dass sie einen CSO haben, und 41 Prozent planen, diese Position in Zukunft zu schaffen. Auch die Pläne, weitere neue ESG-Führungspositionen aufzubauen, liegen nahe der 40 Prozent Marke, verglichen mit dem weltweiten Durchschnitt von weniger als einem Drittel.

Die größten Veränderungen werden wahrscheinlich von den Unternehmen ausgehen, die bereits einen CSO haben. Fast ein Drittel der deutschen Unternehmen (31 Prozent) verlangen von ihrem CSO die Genehmigung von Investitionsausgaben. Das entspricht in etwa dem weltweiten Durchschnitt. Zudem planen 40 Prozent der deutschen Teilnehmer an dieser Umfrage, ihrem CSO in Zukunft diese Befugnis zu erteilen – ein größerer Anstieg als der von den Unternehmen insgesamt genannte Anteil von einem Drittel. Dieser Ansatz zielt darauf ab, mehr ESG-Kompetenzen in der Führungsetage zu verankern. Dennoch geben nur 20 Prozent der Befragten aus deutschen Unternehmen an, dass ihre Firmen die Vergütung der Führungskräfte an ESG-Kennzahlen binden. Das entspricht in etwa dem Gesamtdurchschnitt der Umfrage.

Aruna Newton, Infosys
Autor: Aruna Newton, VP and Head ESG Governance & Reporting, Infosys
© Infosys

Es liegt auf der Hand, dass ein starkes ESG-Engagement in der Unternehmensführung in einer größeren Wirkung in der realen Welt resultiert – ein lohnendes Ziel. Die Infosys Analyse deutet darauf hin, dass dieses Engagement auch der Schlüssel dafür ist, dass ESG-Initiativen einen Beitrag zum Endergebnis leisten und nicht nur ein Element der Unternehmens-Compliance mit minimalen Investitionen sind. Die mangelnde Bereitschaft, der Führungsstruktur mehr ESG-Rollen und -Verantwortung zu übertragen, könnte schwerwiegende Folgen haben, wenn die Unternehmen ihren Ansatz nicht ändern. Die Kluft zwischen den ESG-Habenden und den Nicht-Habenden könnte sich vergrößern und einige Organisationen in einem sich schnell verändernden, volatilen Markt nicht mehr wettbewerbsfähig machen.

1 https://www.infosys.com/about/esg/insights/esg-radar-report.html
2 https://web-assets.bcg.com/11/da/a12d8d70468c90910affcee51702/bcg-gender-diversity-index-germany-2022.pdf.pdf


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu CE Infosys GmbH

Weitere Artikel zu Digitale Transformation

Weitere Artikel zu Digital Workplace

Matchmaker+