OTT-TV hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und bietet eine flexible Alternative zum herkömmlichen Fernsehen, mit der Möglichkeit, Inhalte jederzeit und überall abzurufen. KI und ML haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf die OTT-TV-Landschaft. Sechs Innovationen im Detail.
Der Artikel befasst sich unter anderem mit folgenden Fragen:
Over-The-Top (OTT) TV bezeichnet die Übertragung von Film- und Fernsehinhalten über das Internet, direkt auf die Endgeräte der Nutzer, ohne dass diese auf traditionelle Rundfunkmethoden wie Kabel, Satellit oder terrestrische Übertragung angewiesen sind. Diese Art des Fernsehens hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und bietet eine flexible Alternative zum herkömmlichen Fernsehen, mit der Möglichkeit, Inhalte jederzeit und überall abzurufen. Bis 2028 wird erwartet, dass der europäische OTT-TV Markt jährlich um 5,67 Prozent wächst1, bis zu einem Marktvolumen von 60 Milliarden Euro. In einer Zeit, in der die digitale Transformation diverse Branchen massiv verändert, steht die europäische Telekommunikationsbranche vor einer ihrer größten Herausforderungen – und Chancen: der Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen/Machine Learning (ML) in OTT-TV-Produkte.
Dieser Artikel bietet einen tiefgreifenden Einblick in diese Entwicklung und zeigt auf, wie KI und ML die OTT-TV-Landschaft neu formen. Beleuchtet werden sechs Innovationen:
Personalisierte Werbung, angetrieben durch KI, prägt eine neue Ära im digitalen Werbemarkt. Während TV-Werbung einst auf breite Bevölkerungssegmente zugeschnitten war, ermöglicht KI heutzutage eine präzise Zielgruppenansprache durch die schnelle und gezielte Analyse umfangreicher Datensätze. Dies führt zu individualisierten Werbespots und Anzeigen, die nicht nur gezielter platziert, sondern auch inhaltlich relevanter und ansprechender gestaltet sind. Nutzer profitieren von einer verbesserten User Experience durch weniger irrelevante Werbung und mehr Werbeinhalten, die ihren Interessen entsprechen. Für OTT-Anbieter hingegen resultieren personalisierte Anzeigen in erheblichen Wettbewerbsvorteilen, da sie zu deutlich höheren Konversionsraten führen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis für Werbetreibende verbessern. Somit können höheren Einnahmen für alle beteiligten Unternehmen generiert werden.
Selbstverständlich gilt es hierbei datenschutzrechtliche Aspekte zu berücksichtigen: In der Europäischen Union erfordert die Verwendung personalisierter Inhalte die explizite Zustimmung der Nutzer. KI ermöglicht so zwar eine höhere Personalisierung, muss allerdings im Einklang mit geltenden Datenschutzbestimmungen genutzt werden, um persönliche Nutzerdaten zu schützen und somit Vertrauen in die Plattformen zu stärken.
Personalisierte Empfehlungen sind bei wachsendem OTT-TV-Markt und Content-Angebot mittlerweile von entscheidender Relevanz. KI und ML revolutionieren die Empfehlungserstellung, indem sie Echtzeitanalysen und prädiktive Modellierung nutzen. Vorschläge für Filme, Serien oder andere Inhalte basieren folglich auf einer detaillierten Analyse von Nutzerverhalten und Präferenzen. Ein positiver Nebeneffekt ist das erhöhte Nutzer-Engagement und die somit sinkende Abwanderungsrate, indem die Zeit für die Suche nach passenden Inhalten minimiert wird. Für Telekommunikationsunternehmen, die in OTT-Dienste einsteigen, bieten KI-gesteuerte Empfehlungen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Sie verbessern nicht nur die Kundenbindung, sondern liefern nützliche Nutzerdaten. Diese können strategisch für gezielte Marketingkampagnen, eigene Produktionen und die Gestaltung von Preismodellen genutzt werden.
Ein konkretes Beispiel für die Implementierung personalisierter Empfehlungen ist ein europäischer Anbieter, der zeigt, wie solche Empfehlungen in Hardware integriert werden können. Bei der sprachgesteuerten Sky Fernbedienung, die mit dem eigenen Receiver verbunden ist, führt die Frage „Was soll ich schauen?“2 zu einem individuell kuratierten Panel mit Vorschlägen von verschiedenen Streaming-Diensten wie Sky (WOW TV), Netflix und Prime Video. Diese Innovation hat sich bezahlt gemacht: Mit dem OTT-Dienst WOW TV (ehemals Sky Ticket) konnte der Anbieter seinen Marktanteil im deutschen OTT-TV-Markt im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppeln3.
Mit der Einführung von KI-gesteuerten personalisierten Empfehlungen wird eine neue Epoche im OTT-TV eingeläutet. Zukünftig werden KI-Modelle an Bedeutung gewinnen, die nicht nur algorithmisch fortschrittlich sind, sondern auch lernen, sich anpassen und eigenständig verbessern können. Diese Entwicklung verspricht ein noch individuelleres Nutzererlebnis und festigt damit die Rolle der KI als grundlegendes Element für die Zukunft des OTT-TV. |
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Die OTT-TV-Landschaft ist hochkompetitiv und zeichnet sich durch eine hohe Abonnentenfluktuation aus. Daher ist es für Anbieter essenziell, eine dynamische und ansprechende Inhaltsbibliothek zu kuratieren, die sich kontinuierlich an die Interessen und Vorlieben der Nutzer anpasst. Angesichts der hohen Kosten für den Erwerb oder die Lizenzierung von externen Inhalten sowie der Eigenproduktion, sind diese Entscheidungen ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg und die langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Die detaillierte Analyse der Nutzerdaten (beispielsweise Sehverhalten, persönliche Präferenzen, Echtzeitinteraktion) mittels KI und ML ermöglichen es, Inhalte zu identifizieren, die hohe Zuschauerzahlen und ein hohes Nutzerengagement versprechen sowie darüber hinaus zukünftige Trends verlässlich vorauszusehen. So können OTT-Anbieter fundierte, datengetriebene Entscheidungen über die Akquisition und Produktion von Inhalten treffen. Dadurch können einerseits die Risiken in Verbindung mit den hohen Investitionssummen minimiert werden. Andererseits wird sowohl Engagement als auch Bindung der Nutzer erhöht, indem sie regelmäßig neue Inhalte sehen, die nicht nur auf ihre aktuellen Vorlieben abgestimmt sind, sondern auch zukünftige Trends berücksichtigen.
KI-getriebene Predictive Content Discovery wird bei OTT-Anbietern eine Schlüsselrolle bei Entscheidungen über den Kauf und die Produktion von Inhalten spielen. Durch Nutzerdatenanalyse und Trendvorhersagen können die Anbieter ihre Portfolios nicht nur kosteneffizienter gestalten, sondern auch das Nutzererlebnis signifikant verbessern und dadurch die Kundenloyalität stärken.
Spracherkennungssysteme haben sich in den letzten Jahren, insbesondere durch die rasante Entwicklung von KI und ML, erheblich weiterentwickelt. Sie sind heute genauer und kontextbezogener denn je und werden immer besser darin, natürliche Sprache zu verstehen. Somit verändern sie nicht nur grundlegend die Art und Weise, wie wir mit Technologie interagieren und Informationen abrufen. Sie spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit.
Für die Nutzer von OTT-Plattformen resultiert der Einsatz von KI-gesteuerten Spracherkennungssystemen in einer intuitiveren und inklusiveren Nutzererfahrung. Sie ermöglichen es, mittels Sprache durch die Plattform zu navigieren und Inhalte abzurufen (siehe Beispiel der Sky-Fernbedienung unter Punkt 2). Die verbesserte User Experience sorgt somit für eine stärkere Kundenbindung. Darüber hinaus liefert die gesteigerte Interaktion mit der Plattform eine Vielzahl wertvoller Nutzerdaten, die zu einem besseren Verständnis der Nutzer beitragen und die Optimierung von personalisierten Empfehlungen sowie zielgerichteter Werbung (siehe Punkt 1 & 2) ermöglichen. Trotz der rasanten Weiterentwicklung stehen Spracherkennungssysteme noch immer vor Herausforderungen wie der Interpretation verschiedener Akzente, Dialekte und Sprachmuster, der Filterung von Hintergrundgeräuschen und der Deutung von mehrdeutigen Befehlen. Darüber hinaus haben Datenschutz und Datensicherheit bei der Speicherung und Verarbeitung der Sprachdaten einen hohen Stellenwert.
Betrug auf OTT-Plattformen ist ein zunehmend besorgniserregendes Phänomen, das sowohl für Konsumenten als auch Anbieter schwerwiegende Konsequenzen haben kann. Am berüchtigtsten ist wohl der Anzeigenbetrug: Betrüger verkaufen die Werbeplätze und blähen die Zuschauerzahlen künstlich auf. Aber auch Inhalts-, Service- und Kontobetrug sind weit verbreitet. Unternehmen verlieren beispielsweise Millionen durch Kontobetrug, bei dem ein Konto von mehreren Nutzern genutzt wird, als in der Lizenzvereinbarung festgelegt ist (sogenanntes Account Sharing). Betrügerische Machenschaften können ebenfalls Konsumenten schaden, indem ihre Sicherheit gefährdet und somit ihr Vertrauen in die Plattform untergraben wird. Auch finanzielle Folgen sind nicht auszuschließen, da Einnahmeverluste häufig an die Kunden weitergegeben werden.
Der Einsatz von KI ist für die Aufdeckung und Verhinderung solcher betrügerischen Machenschaften von zentraler Bedeutung. Durch die Nutzung in den Bereichen Verhaltensanalyse, Mustererkennung, Benutzerauthentifizierung und Anzeigenüberprüfung können verdächtige Aktivitäten erkannt und Warnungen ausgelöst werden. So wird Betrug schneller identifiziert und verhindert. Dennoch bleibt der Kampf gegen die Betrüger eine fortlaufende Herausforderung, die ständige Wachsamkeit, technologische Innovationen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Anbietern und Strafverfolgungsbehörden erfordert.
Nachhaltigkeit gewinnt auch in der OTT-TV-Industrie an Bedeutung, wobei der Schwerpunkt auf der Minimierung des Energieverbrauchs und der Einführung umweltfreundlicher Technologien liegt:
Durch effizientere Inhaltskompression und optimierte Datenzentren von „Green-Streaming“-Initiativen kann der Energieverbrauch mithilfe von KI gesenkt werden, was zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen führt. Dies ist ein wichtiger Schritt von OTT-Anbietern in Richtung einer nachhaltigeren, ESG-konformen Branche, was zunehmend in den Fokus von Verbrauchern und Investoren rückt.
Diese sechs beleuchteten Technologien unterstreichen das transformative Potenzial von KI und ML bei der Gestaltung der Zukunft des OTT-Fernsehens. Darüber hinaus bieten sie Telekommunikationsanbietern die Möglichkeit, sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu sichern und ihre Marktposition zu stärken. Da sich die OTT-Landschaft stetig weiterentwickelt, wird die Integration von KI- und ML-Technologien zweifellos eine zentrale Rolle bei der Förderung von Innovation, Kundenbindung und Nachhaltigkeit in diesem dynamischen Sektor spielen. Die Herausforderung für Telekommunikationsunternehmen besteht nun darin, den Wert der vorgestellten KI-Anwendungsfälle sowie künftiger Anwendungsfälle zu bewerten und sie mit einem Telco Strategy Framework (zu finden im Whitepaper4) abzugleichen, um so die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft zu stellen.
Philipp Günther ist als Prinicipal bei mm1 der Experte für die digitale Transformation mit Schwerpunkt auf Digital- und Datenstrategien, unter anderem im TV-Markt.
Karl Wegner ist als Senior Consultant bei mm1 tätig und spezialisiert auf digitale Innovation & Strategie sowie Customer Loyalty und Marketing.
Tom Dumke beschäftigt sich als Consultant bei mm1 hauptsächlich mit Digitaler Innovation, Datenstragie, aber auch Social Commerce und Start-ups.
Daniel Sommer hat sich als Junior Consultant bei mm1 neben seiner Startup-Gründung auf digitale Innovation & Strategie sowie Geschäftsmodellinnovation spezialisiert.
Helene Wiedemann betreut als Werkstudentin bei mm1 die Digital Innovation Practice und beschäftigt sich mit Generativer KI sowie Entrepreneurship und innovativen Geschäftsmodellen.
1 https://www.statista.com/outlook/amo/media/tv-video/ott-video/europe?currency=EUR
2 https://www.sky.de/hilfe/geraete/bedienung/sky-fernbedienung/befehle-fuer-die-sprachsteuerung-sky-q
3 https://www.chip.de/news/Neuer-Streamingdienst-in-Deutschland-verdreifacht-Marktanteil-nach-Start_184766089.html
4 https://mm1.com/de/ueber-uns/aktuelle-publikationen/whitepaper-die-zukunft-des-ott-tv-wie-ki-und-ml-die-angebote-der-telekommunikationsunternehmen-in-der-eu-umgestalten/