EMC, VMware, Cisco und RSA hatten in den vergangen Wochen eine Reihe an bedeutenden Neuvorstellungen im Bereich Virtualisierung und Cloud-Computing, die sich erst jetzt zu einem neuen Gesamtbild in den Bereichen IT-Infrastruktur und Rechenzentrums-Automatisierung zusammen fügen. Doch leider hat diese schöne neue virtuelle IT-Welt auch viele Schattenseiten.
EMC fügt sich neuerdings unter das Dach seiner Tochtergesellschaft VMware. So sprach EMCs CEO
Joe Tucci auf der jüngsten EMC-World in Orlando sehr viel über Virtualisierung, Cloud-Computing und
Rechenzentrums-Automatisierung – aber nur noch sehr wenig über das, worin EMC der unangefochtene
Marktführer ist: Den Speicherbereich.
Grund dafür ist EMCs Chance, sich mit Hilfe von VMware auf einer neuen, wesentlich attraktiveren
Angebotsebene anzusiedeln: Dem vollautomatisierten Rechenzentrum, in dem Storage, Server und Netze
zu einer in sich geschlossenen Einheit verschmelzen.
Hierzu stellten die beiden Unternehmen jetzt gemeinsam mit Cisco eine komplett neue
IT-Infrastruktur vor, die insgesamt das gegenwärtig umfassendste Angebot im Bereich
x86-Servervirtualisierung und den zugehörigen Komponenten darstellt.
Kernstück dieser neuen Infrastruktur ist VMwares neues vSphere 4, ein Art virtuelles
Betriebssystem, mit dem es erstmals möglich ist, alle x86-Server, die Storage-Umgebung und das
zugehörige Netzwerk so zu verwalten, als handele es sich um einen einzigen Pool an Ressourcen.
Hierzu sind die Leistungsdaten von vSphere ganz beachtlich: Bis zu 1280 Virtuelle Maschinen (VM)
auf 32 Servern; durchschnittlich also 40 VMs pro Server. Damit lassen sich erhebliche Einsparungen
erzielen: 20 bis 30 Prozent sollen es bei den Servern und deren Betriebskosten sein, und bei der
Speicherinfrastruktur können die Einsparungen durch eine bessere Ausnutzung sogar bis zu 50 Prozent
ausmachen.
Ergänzt wird VMwares Software durch EMCs neue Virtual-Matrix-Architecture, mit der sich
Standard-Storage-Komponenten zu komplexen Hochleistungs-Arrays verknüpfen lassen. Diese Arrays
stehen allen VMs parallel zur Verfügung und lassen sich einfach über eine zugehörige
Management-Konsole verwalten. "Damit wird der bisherige Storage-Flaschenhals bei der
Virtualisierung weitestgehend abgebaut", sagt Tucci über die Vorzüge dieser neuen Architektur.
Ein weiterer Flaschenhals bei der Virtualisierung ist das Netzwerk. Ethernet-Switches kennen nur
physische Ports bei den Servern und erfordern eine komplexe Konfiguration. VMs über diese Switches
zu verschieben erfordert eine weitere Management-Ebene und ist darüber hinaus eine sehr
Input-Output-intensive Angelegenheit.
Hierzu hat Cisco eine neue Lösung vorgestellt. Für vSphere gibt es jetzt den virtuellen Switch
Nexus 1000v, der nur noch ein Stück Software auf der vSphere-Ebene ist. Dieser Switch modifiziert
aber den VMware Hypervisor und kann folglich nur in einem reinen Cisco-VMware-EMC-Umfeld eingesetzt
werden.
In diese neue Systemlandschaft gehört auch Ciscos Unified Computing Strategy (UCS) mit den neuen
x86-Servern. Diese nutzen zur Storage-Anbindung das Fabric Interconnect Protocol, das auf Ciscos
proprietären Data Center Ethernet (DCE) basiert.
Dass diese neue Infrastruktur in Zukunft auch entsprechend sicher ausgelegt werden kann, dafür
sorgen die Produkte der EMC-Tochter RSA. So zeigten beide Unternehmen jüngst auf der RSA-Konferenz
wie die Data-Loss-Suite von RSA mit Hilfe von VMwares vShield einen Datenschutz in einem virtuellen
Netzwerk schaffen kann.
Das alles passt in der Tat sehr gut zusammen und ist ein interessanter neuer Ansatz für die
Zukunft der Rechenzentrums-Automatisierung.
Doch diese Infrastruktur hat auch erhebliche Schattenseiten, denn sie ist völlig proprietär. Das
fängt bei vSphere an, das weder den Xen-Hypervisor, noch Microsofts Hyper-V unterstützt, und zieht
sich dann über die Virtual-Matrix-Architektur hin bis zu Ciscos virtuellem Switch und dem Fabric
Interconnect Protocol.
Schon bei der Vorstellung der Cisco-Server haben viele auf die proprietären Gefahren
hingewiesen. Cisco-Konkurrent Brocade brachte es damals auf den Punkt: "Ciscos Ansatz bietet viel
Performance, verlangt aber eine hohe Anfangs-Investition und schließt den User dann in ein
proprietäres Umfeld ein", sagte Brocades Vertriebschef Ian Whiting nach der Cisco-Präsentation.
Manche Analysten sehen in der neuen proprietären VMware-Dominanz bereits eine Gefahr für
Microsoft: "vSphere macht jedes Betriebssystem zu einem unbedeutenden Gebrauchsgut, das
austauschbar ist, wogegen die neue VMware-Infrastruktur nicht mehr austauschbar ist", sagt
Gartner-Analyst Tom Bittman.
Doch seitens Microsoft ist man nicht so besorgt. Jedenfalls gibt es dort bislang kaum
Gegenreaktionen. Der Absatz der Servervirtualisierung läuft vor allem als Zusatzgeschäft zum neuen
Server-System oder als Ergänzung zum System-Center.
Folglich rüsten sich vor allem die anderen Konkurrenten von Cisco, EMC und VMware zu einem
Gegenschlag. Brocade ist beispielsweise Mitglied bei "Storagelink", einer von Citrix initiierten
Gruppe, die eine Reihe an offenen Programmschnittstellen (APIs) definiert hat, über die der
Xenserver von Citrix native Funktionen der darunter befindlichen Storage-Systeme nutzen kann.
Beispiele hierfür sind Snapshots, Deduplizierung und Provisioning.
Storagelink wird inzwischen von über 20 Anbietern unterstützt. Bei den SAN-Anbietern sind es
außer Brocade noch Qlogic und Emulex; bei den Storage-Software-Anbietern gehören dazu CA,
Falconstore und Vizioncore und von den Hardware-Anbietern sind unter anderen Hewlett Packard,
Netapp und Dell mit dabei.
Doch diese Entwicklung betrachten EMC und seine Partner noch sehr gelassen. Auf die Frage an Joe
Tucci und VMware-Chef Paul Maritz, welche Pläne sie im Hinblick auf Storagelink haben, gab es als
Antwort nur ein lapidares "die kennen wir gar nicht".
Beide Unternehmen arbeiten stattdessen an einer neuen Ebene ihrer RZ-Lösungen, denn die reine
Infrastruktur reicht ihnen noch nicht. In Zukunft wollen sie auch die Basis für das immer
interessanter werdende Cloud-Computing bereitstellen.
Dazu bedarf es aber einer weiteren Ebene: Der Anwendungs-Virtualisierung. Hierbei werden
Server-Applikationen zusammen mit ihrer Middleware und dem Betriebssystem in einen "Apps-Container"
gepackt, der dann wahlfrei über die gesamte Infrastruktur verschoben und gestartet werden kann.
Dabei können diese Apps-Container auch on-the-fly auf einen Cloud-Service-Provider ausgelagert
werden, um damit Spitzenbelastungen abfangen zu können. "VMs werden demnächst in Millisekunden um
die ganze Welt verschoben", schwärmt bereits VMwares CTO Stephen Herrod. Für ihn sind VMs das Atom
eines effizienten Cloud-Computing, bei dem es darum geht, den Anwendungen die jeweils optimale
Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.
Dieser gesamte dynamische Prozess eines föderierten Nutzens einer internen und einer externen
Cloud nennt EMC eine "geschützte Cloud". Und genau das ist laut Tucci die Zukunft des
RZ-Betriebs.
Doch auch hier handelt es sich wiederum um rein proprietäres Nutzungs-Modell. So gibt es für die
geplanten Apps-Container von VMware kein einheitliches Datenformat, so dass diese nur innerhalb
einer vSphere-Umgebung gestartet werden können. Das bedeutet, dass ein in die externe Cloud
verschobener Apps-Container dort nur dann gestartet werden kann, wenn der Provider ebenfalls
vSphere einsetzt – vermutlich muss es sogar noch der gleiche Release-Stand sein.
Und damit nicht genug: Es wird schon bald auch noch Citrix- und Microsoft-Container geben,
sodass der Provider praktisch alle drei Infrastrukturen einrichten muss. Außerdem gibt es noch CA,
IBM, Oracle-Sun, Redhat und andere, die ebenfalls an diesen Funktionen arbeiten, sodass das Chaos
bald perfekt sein wird.
Harald Weiss/CZ