Vollgas! Jetzt runterschalten in den Zweiten, Lenkrad rumreißen, Handbremse ziehen, gegensteuern, Handbremse lösen, Vollgas! Große Pfützenwasser-Steinchen-Matsch-Fontäne, dann Staubwolke, dann verschwindet der Rallye-Wagen hinter der nächsten Kurve. Dass solche Wendemanöver in der Haarnadelkurve auch mit Supertankern möglich sind, hat jüngst Léo Apotheker bewiesen. Denn der Chef des IT-Giganten HP - unter anderem der weltgrößte Drucker- und PC-Hersteller - hat bekanntgegeben, seine PC-Sparte verkaufen und die Entwicklung von Endgeräten auf der kürzlich für teures Geld erworbenen Smartphone-Plattform WebOS einstellen zu wollen. Gleichzeitig verkündete Apotheker, für 10 Milliarden Dollar das größte britische Softwarehaus Autonomy, einen Spezialisten für Business-Intelligence-Lösungen, zu übernehmen.
Apotheker setzt also ganz auf Enterprise-IT – kein Wunder, war er doch von SAP zu HP gewechselt. (Genau, jenes SAP aus dem Satz: „Wir würden das ja gerne anders machen, aber wir haben nun mal unsere Prozesse so in SAP abgebildet, und das zu ändern wäre einfach zu teuer.“) HPs Wendemanöver erinnert stark an jenes von IBM aus dem Jahr 2004: Damals hatte „Big Blue“ ebenfalls sein PC-Geschäft abgestoßen, um sich ganz der IT-Ausrüstung von Unternehmens-RZs widmen zu können – und das mit Erfolg. Interessant ist es, die Reaktionen zu vergleichen:
2004: Ein Aufschrei hallt durch den Markt.
2011: Ein Aufschrei hallt durch den Markt, dazu im Hintergrund deutlich vernehmbares Gekicher aus der iPad-Ecke.
Denn für manche Marktbeobachter sah Apothekers Mitteilung nach einer Panikreaktion aus, nach dem Eingeständnis, dass HP nicht gegen Apples stetig wachsende Marktmacht im Endgerätesegment ankommt. In der Tat kann es für HP nicht allzu reizvoll sein, weiter mit der Lifestyle-Marke aus Cupertino zu wetteifern. Nicht nur hat Apple alle Endgeräte-Wettbewerber (darunter auch HP) mit dem iPad schlicht abgehängt; zudem ist HP für einen immer stärker von Consumer-Ansichten geprägten Endgerätemarkt schlecht aufgestellt. Der Konzern ist – sorry, die Herren Hewlett und Packard – einfach nicht „cool“. Da muss man nur den Mann auf der Straße fragen: „He, Mann auf der Straße! Welche Marke ist denn cooler, Apple oder HP?“ – „Was, wieso HP? Die machen doch Drucker, oder? Ich mein’, wie uncool ist das denn?!“ – „Danke, Mann auf der Straße. Sie dürfen jetzt auf Ihrem iPad weiterdaddeln.“
Im Enterprise-IT-Markt – Entschuldigung: es muss natürlich „Cloud-Markt““ heißen – hingegen ist HP sehr breit aufgestellt und damit das einzige Unternehmen, das der großen blauen IBM in voller Breite – Hardware, Software, Services – Paroli bieten kann. Cholerischer Zwischenruf aus einer dunklen Ecke: „Aberaberaber! Ich hin auch noch da! Ich bin der Schönste! Ich bin der Größte! Léo Apotheker hat Angst vor mir!“ – „Is’ ja gut, Larry. Jetzt aber husch zurück ins Körbchen!“
So gesehen ist es zwar sicher eine bittere Pille, die Apotheker HP hier verabreicht (boah, was für ein Wortspiel, da bin ich sicher der erste und einzige Schreiberling, der das so formuliert!), aber es ist ein konsequenter und richtiger Schritt – eigentlich sogar ein recht später Schritt, erscheint doch IBMs Schachzug von 2004 im Rückblick geradezu als weise Entscheidung.
Ein netter Nebeneffekt: Im Enterprise-Markt muss man Apple nicht fürchten. Denn ein Konzern, der Betriebssystem-Upgrades von 3,5 GByte ausschließlich im hauseigenen App-Store anbietet, hat von Unternehmens-IT entweder keine Ahnung oder interessiert sich demonstrativ nicht dafür. Steve Jobs ist sowieso viel zu sehr damit beschäftigt, nach iMac, iPod, iPhone und iPad am nächsten genialen Produkt zu stricken: iCompletelyOwntheConsumer.
Mit Apple sollen sich also nun, geht es nach Léo Apotheker, andere Anbieter herumschlagen. Wer könnte das wohl sein? „He, Mann auf der Straße! Wenn Sie nicht gerade bei Apple Apple-Produkte kaufen, wo kaufen Sie dann ein?“ – „Na, bei Amazon natürlich! Warum?“ – „Ach, nur so…“