Cisco inszeniert das Netzwerk als Dreh- und Angelpunkt für das RZ von morgen

Griff nach dem Rechenzentrums-Zepter

17. September 2007, 22:00 Uhr |

Schon seit vielen Jahren bemüht sich Cisco intensiv, sein Standing bei den Betreibern von Rechenzentren zu verbessern. Zumindest nach den Beobachtungen von Gartner bleibt das Unternehmen jedoch bislang deutlich hinter seinen Möglichkeiten. Jetzt soll eine neue Initiative den durchschlagenden Erfolg bringen: "Data Center 3.0" bündelt dazu gezielt Produkte, Dienstleistungen und Partnerschaften. Auf seiner jährlichen Networkers-Konferenz in der US-Heimat erläuterte Cisco nähere Einzelheiten. Für die großen Visionen und Strategien kam Cisco-Chef John T. Chambers persönlich vorbei.

Was Cisco gemäß aktuellem Marketing-Chic als "Data Center 3.0" ankündigt, soll einen Generationswechsel bezeichnen, der die Vorteile zentral verbundener Mainframes (Data Center 1.0) mit denen einer verteilten Client-/Server-Architektur (Data Center 2.0) in einem neuen Netzwerkmodell verbindet. Im "rezentralisierten" Rechenzentrum der dritten Generation sind die verteilten Ressourcen in einem zentral verwaltbaren und im hohen Maße ausfallsicheren Geflecht miteinander verbunden. Dabei sollen alle Infrastrukturservices auf Basis vollständig virtualisierter Ressourcen-Pools inklusive Server, Speicher und Netzwerk dynamisch und in Echtzeit zusammenspielen. Ziel ist eine dramatische Verkürzung der Zeit, bis ein neuer Service eingerichtet ist. Müssen beispielsweise für die Einrichtung eines neuen Services bislang oft mehrere Monate veranschlagt werden, sollen es künftig nur noch ein paar Minuten sein. Darüber hinaus geht es um Verbesserungen in der Struktur und Kontrolle von Service-Levels sowie um deutlich messbare Steigerungen bei der gesamten Effektivität und nicht zuletzt auch der Zusammenarbeit.

"Data Center 3.0 ist eine langfristig angelegte Initiative, in deren Verlauf wir nach und nach zahlreiche neue Produkte und Programme herausbringen werden", so Jayshree Ullal, Senior Vice President der Data Center, Switching and Security Technology Group bei Cisco. Ihrer Einschätzung nach wird dieses Thema über die nächsten fünf bis sieben Jahre eine entscheidende Rolle bei Cisco spielen - die engere Phase mit den wichtigsten Key-Launches ist auf rund zwei Jahre projektiert. Ullal betont, dass Data Center 3.0 keine Sache von Cisco alleine ist, sondern in enger Kooperation mit zahlreichen Partnern wie beispielsweise EMC, IBM, HP, Vmware und vielen weiteren stattfindet.

Hehre Ziele hat Cisco in Sachen Rechenzentrum auch schon früher kunstvoll formuliert - allein die Umsetzung schien bislang nicht engagiert genug. Das war zumindest die Essenz aus einem Gespräch, das LANline vor gut einem halben Jahr mit Thomas Bittman, Vice President & Gartner Fellow bei Gartner Research führte (siehe LANline 1/2007, Seite 14 ff.). Damals monierte Bittman, dass Cisco die Rechenzentrumsleute mehr bei ihren aktuellen Problemen unterstützen müsse, um im RZ nachhaltig Fuß zu fassen. Als Beispiel nannte er die Servervirtualisierung: "Jeder redet von Konsolidierung und Virtualisierung, aber niemand fragt nach den Konsequenzen für das Netzwerk. Es wäre Ciscos Job, hier einen schlüssigen Plan vorzulegen und Beratung zu leisten. Das tun sie aber bislang kaum, beziehungsweise nicht engagiert genug", so Bittmans Worte damals. Und als ob Cisco es gehört hätte, wird die neue Rechenzentrumsstrategie jetzt von einem glühenden Bekenntnis zu einer neuen Rolle des Netzwerks begleitet: "Das Netzwerk ist die Lebensader des neuen Rechenzentrums, es ist wie nichts anderes allgegenwärtig, neutral und skalierbar", führt Ullal aus. "Das Netzwerk ist der gemeinsame und elementare Ort für alle Services und für die Durchsetzung von Richtlinien und Vorschriften, und es ist das Fenster schlechthin für die Sicht auf das Business. Das Netzwerk ist neutral gegenüber Herstellern und Geräten, transparent und ohne Einflussnahme hinsichtlich Geräten und es ist ein standardbasierter Integrationspunkt. Zuguterletzt ist das Netz sowohl vertikal - also hinsichtlich der Performance - als auch horizontal skalierbar - also hinsichtlich der Anzahl der Netzknoten, der Entfernungen und der Rechner - oft auch der virtuellen Maschinen. Virtualisierung sorgt zudem für skalierbare Services."

Cisco definiert das Netzwerk jetzt als zentralen Angelpunkt für eine neue Sicht auf die IT- beziehungsweise RZ-Infrastruktur. Während es bis heute üblich ist, die verschiedenen Bereiche der IT - Clients, Server, Storage, Security, Applikationen etc. - als Silos zu betrachten, die weitgehend getrennt voneinander organisiert und verwaltet werden, gehe es künftig um eine übergreifende, horizontale Sichtweise, über die sich die einzelnen Elemente jedes Silos mit einem gemeinsamen Management-Tool zu einem logischen Gebinde schnüren lassen. Ein solches Tool darf damit als Schlüsselkomponente im bis auf Netzwerkebene virtualisierten Rechenzentrum der Zukunft gelten.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich die hohe Bedeutung, die Cisco dem zur Networkers angekündigten "Vframe Data Center" als zentraler Komponente des Data Centers 3.0 beimisst. Als Appliance-Plattform, die Ethernet-, Fibre Channel- und Infiniband-Netze siloübergreifend in einem "Unified Fabric" unterstützt, erlaubt es Vframe, die gesamten Ressourcen einer Rechner-, Netzwerk- und Storage-Infrastruktur in einem Pool virtueller Services zusammenfassen und dynamisch auf diese zugreifen. Über eine grafische Benutzerschnittstelle lassen sich Applikationen in Form von Templates vorbereiten. Diese sollen sich in Minutenschnelle an den Start bringen lassen. Während des Betriebs sollen sie selbst für die Anbindung der nötigen Ressourcen sorgen. Gibt es Defizite, bringt die Software einen entsprechenden Hinweis. Vframe, eine Weiterentwicklung der Steuerungskonsole des vor gut zwei Jahren übernommenen Unternehmens Topspin, beinhaltet auch eine Schnittstelle zur Anwendungsprogrammierung (API) und ist laut Cisco sehr einfach in weitere Managementapplikationen sowie in Lösungen für die Server- und Storage-Virtualisierung integrierbar.

Neben dem Vframe Data Center hat Cisco bereits konkret neun weitere Produkte und Systeme in der Pipeline. Dazu gehörten beispielsweise der MDS 9222i Multiservice Modular Switch als Plattform für den Einsatz sehr schneller SAN- und SAN-Extension-Lösungen, der für die Ansprüche von mittleren und großen Unternehmen entwickelte MDS 9134 Multilayer Fabric Switch sowie in Cisco SAN-Fabrics integrierte Storage-Media-Encryption- (SME-) Module. Letztere erlauben Ciscos Angaben zufolge die Datenverschlüsselung im heterogenen Umfeld von allen an ein SAN angeschlossenen Laufwerken. Mit dem ebenfalls angekündigten "Data Mobility Manager" soll sich eine SAN-basierte Datenmigration im heterogenen Speicherumfeld unterbrechungsfrei durchführen lassen.

Auf der WAN-Seite soll ein neues Release von Ciscos Wide Area Application Services (WAAS) eine schnellere Verschlüsselung aller Daten bieten, die auf Ciscos WAAS-Geräten gespeichert sind. Ebenfalls neu ist das "Data Center Assurance Program" (DCAP). Dabei handelt es sich um ein kostenloses Online-Tool zur Auslegung und Konfiguration von Rechenzentren.

Auch Cisco-Chef John T. Chambers zeigte sich in Anaheim angesichts der Data-Center-Entwicklungen in seinem Hause sehr euphorisch, stellte sie jedoch während seiner Keynote und einer Talk-Runde mit der anwesenden Presse in einen größeren Kontext. Das Internet trete nun in Phase zwei und müsse sich hier in Sachen Zusammenarbeit, soziale Vernetzung und nicht zuletzt durch erheblich verbesserte Produktivität behaupten. Das Stichwort lautet hier Telepresence, ein elementarer Baustein dieser zweiten Phase des Internets.

Was sich dahinter verbirgt, versuchen zahlreiche Unternehmen schon mehr als zehn Jahre lang unter dem Begriff Video-Conferencing zu etablieren - mit größtenteils eher bescheidenem Erfolg. Angesichts der Entwicklungen im Internet, an denen Cisco sicher einen nicht unwesentlichen Anteil hat, sieht Chambers für Telepresence nun die Zeit gekommen - und wittert einen Milliarden-Dollar-Markt. Die Preise für entsprechende Systeme spielen seiner Überzeugung nach nur eine untergeordnete Rolle, viel wichtiger seien hohe Übertragungsqualität ("fast wie live dabei") und einfache Bedienung.

"Die enormen Kosteneinsparungen, die aus dem Wegfall etlicher Geschäftsreisen resultieren, sorgen für eine schnelle Amortisation der Investitionen", so Chambers. Gleichzeitig hob er auch den positiven Effekt auf die Umwelt hervor, ein Thema, das ihm sehr am Herzen liege und durchaus auch bei den Rechenzentrumsentwicklungen eine wichtige Rolle spiele. Stichwort: weniger Energieverbrauch durch effizientere Ressourcennutzung mittels Virtualisierung.

Cisco werde laut Chambers auch langfristig ein "Netzwerkunternehmen" bleiben, dabei jedoch Stück für Stück neue Teilmärkte besetzen und sich im ISO-Kommunikationsmodell noch stärker als bisher über alle sieben Schichten ausbreiten. Cisco wird also immer mehr auch zu einem Softwarehaus. Als Beispiele für neue Teilmärkte nennt Chambers neben Telepresence auch Unified Communications, IPTV und "Content" im weiteren Sinne: "Über unsere Media Solutions Group wollen wir nicht Inhalte an sich anbieten - jedoch alles, was entsprechende Provider dafür brauchen." Türöffner für einige neue Märkte, darunter beispielsweise fast alles, was mit drahtloser Kommunikation zu tun hat, sind laut Chambers heute nicht mehr die großen Unternehmen, sondern die Heimanwender beziehungsweise kleinen Büros. Hier ist Cisco über seine Marke Linksys präsent. Im Zuge der erwarteten Migration entsprechender Produkte in den Business-Markt denkt Chambers nun daran, Linksys in Cisco zu integrieren.

Wie auch immer man zu Cisco stehen mag - der Moloch bewegt sich nach wie vor erstaunlich agil und zielgerichtet am Markt. Und was noch wichtiger ist: mit kontinuierlich meist sehr respektablen Gewinnen. Die neue Rechenzentrumsinitiative scheint geeignet, viel weiteres Umsatzpotenzial abzugreifen.

Stefan Mutschler/wg


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